Erdsystemforschung:Die Erde erhält einen jährlichen Gesundheitscheck

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Waldbrand in Portugal bei Sever do Vouga. Die Erderwärmung macht Feuerkatastrophen wahrscheinlicher. (Foto: Bruno Fonseca/dpa)

Denn Forscher warnen: Wenn sich nichts ändere, seien bald sieben von neun „planetaren Grenzen“ überschritten. Erstmals zeigen nun Weltkarten, wie es um die Erde bestellt ist.

Von Hanno Charisius

Wäre die Erde ein Patient, würde man ihren Zustand wohl als kritisch bezeichnen müssen. So kann man den ersten Bericht zur planetaren Gesundheit lesen, den ein Forscherteam unter Federführung des Resilienzforschers Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am Montag präsentiert hat. Zahlreiche Vitalparameter seien durch das Tun des Menschen in einen gefährlichen Bereich getrieben worden, das Funktionieren des globalen Ökosystems sei somit stark gefährdet.

Der Bericht beschreibt, dass die Erde bereits in sechs von neun definierten Bereichen die als sicher geltenden „planetaren Grenzen“ verlassen habe. Hinlänglich bekannt ist das für die Erderhitzung. Die anderen Bereiche umfassen die Versauerung der Ozeane, den Zustand der Ozonschicht, das Artensterben und den Verlust ökologischer Funktionen, den Süßwasserverbrauch, die Umwandlung von Natur in Nutzfläche, Aerosole in der Luft und Chemikalien sowie andere neuartige Substanzen in der gesamten Biosphäre und schließlich gestörte Nährstoffkreisläufe auf dem Planeten.

Laut dem sogenannten planetaren Gesundheitscheck, den das Team um Rockström am Montag präsentiert hat, befinden sich eigentlich nur noch die Ozonschicht und die Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen innerhalb der Belastungsgrenzen des Planeten. Die Versauerung der Ozeane habe den Gefahrenbereich noch nicht ganz erreicht, in absehbarer Zeit werde aber auch hier die Grenze überschritten, sagte Levke Caesar während der Vorstellung des Berichts vor Journalisten. „Unsere aktualisierte Diagnose zeigt, dass lebenswichtige Organe des Erdsystems geschwächt werden.“ Dies führe zu geringerer Widerstandsfähigkeit und einem wachsenden Risiko, dass Kipppunkte überschritten werden. Alles zusammengenommen stehe die Erde kurz vor dem Hochrisikobereich. Die Menschheit hat demnach in den meisten Bereichen den sicheren Handlungsspielraum verlassen, das planetare Ökosystem womöglich irreversibel Schaden genommen.

Wo viele Menschen leben, ist es um die Artenvielfalt schlecht bestellt

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den Gesundheitszustand der Erde genauer zu bestimmen. Das Konzept der planetaren Grenzen hat zuletzt viel Aufmerksamkeit bekommen. Johan Rockström präsentierte es mit einer Gruppe von Gleichgesinnten im Jahr 2009. Seither wurde das Konzept immer wieder grundlegend kritisiert und auch mehrfach überarbeitet. Vor gut einem Jahr meldete ein Team um Rockström, dass die sechste planetare Grenze durch das Tun des Menschen übertreten wurde: die Verschmutzung des Planeten durch menschengemachte Chemikalien. Die Gruppe betonte damals, dass die Belastung der Biosphäre mit neuartigen Substanzen wahrscheinlich bereits seit langer Zeit viel zu hoch war, doch lagen erst 2023 die Daten vor, um diese Annahme handfest zu belegen.

(Foto: SZ-Grafik; Quelle: Science Advances)

Rockströms Team möchte mit dem neuen Bericht nun jährliche Gesundheitschecks einführen, statt wie zuvor lediglich alle sechs bis acht Jahre ein Update zu den planetaren Grenzen zu liefern. Nicht, wie er betont, weil sich in einem Jahr ungeheuer viel verändern würde, „zum Glück“. Sondern, weil die Menschheit regelmäßig erinnert werden müssten.

Der neue Bericht unterscheidet sich zwar kaum von der jüngsten Bestandsaufnahme vor einem Jahr. Doch Rockström rechtfertigt ihn auch damit, dass erstmals versucht worden sei, in Weltkarten abzubilden, wo es wie um die Gesundheit der Erde steht. In der Karte zur Versauerung ist etwa zu sehen, dass zwar alle Weltmeere betroffen sind, der Südliche sowie der Arktische Ozean aber in besonderem Maße.

Artensterben und der Verlust ökologischer Funktionen, das zeigt die zugehörige Weltkarte sehr klar, gehen mit der Bevölkerungsdichte in der Region einher. Wo viele Menschen leben, ist es besonders schlecht um die Artenvielfalt bestellt. Weite Teile Nord- und Südamerikas, fast ganz Europa, Indien und China liegen weit im Hochrisikobereich. Weite Teile des Amazonas- und des Kongobeckens sowie die riesigen borealen Wälder der Nordhalbkugel befinden sich demnach noch im sicheren Bereich.

Grün sind Regionen gefärbt, in denen die Ökosysteme noch im sicheren Bereich liegen. Je dunkler der Farbe, desto heftiger hat der Mensch in die ökologischen Kreisläufe eingegriffen. Die grobkörnige Darstellung hängt mit der teils sehr geringen räumlichen Auflösung der vorliegenden Daten zusammen. (Foto: Planetary Health Check)

Zudem soll der jährliche Bericht in einer Übersicht festhalten, wie sich die Belastungen in den einzelnen Bereichen verändert haben. Somit erlaube der jährliche Bericht besser, den Fortgang zu dokumentieren, sowohl Verschlechterungen als auch Verbesserungen. Der Jahresbericht sei ein entscheidender Schritt bei der Überwachung und Sicherung der Stabilität der Erde.

Die für den Planeten gerade noch verkraftbare Erwärmung liege bei 1,5 Grad Celsius, die mit Sicherheit überschritten werden. Deshalb müsse die Menschheit darauf hinarbeiten, diesen „Overshoot“ wieder in den Griff zu bekommen, indem die Erde wieder abgekühlt werde, sagte Rockström. „Wir müssen wieder in den sicheren Bereich zurückkommen.“

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