Erde extrem:587 Kilometer unterirdisch

Der tödliche Unfall eines Höhlenforschers machte die Mammoth Cave in Kentucky zum Schauplatz des ersten großen Medienereignisses des 20. Jahrhunderts. Heute besuchen jedes Jahr 500.000 Touristen das größte Höhlensystem der Erde.

Markus C. Schulte von Drach

Am 30. Januar 1925 wurde William Floyd Collins seine Leidenschaft zum Verhängnis. Der bekannte Höhlenforscher hatte sich wieder einmal unter die Erde begeben, um einen neuen Zugang zur Mammoth Cave in Kentucky zu finden.

Erde extrem: Das Höhlensystem der Mammoth Cave in Kentucky erstreckt sich über 587 Kilometer.

Das Höhlensystem der Mammoth Cave in Kentucky erstreckt sich über 587 Kilometer.

(Foto: Foto: visitusa.com)

Nach einigen Stunden drohte seine Lampe zu verlöschen und Collins machte sich auf den Rückweg. Doch dann ging alles schief. Während der Farmer sich durch die engen Spalten zwängte, ging sein Licht aus. Dann löste sich ein Stein von der Decke und fiel auf sein Bein.

Der Brocken war nicht sehr schwer, doch er verklemmte sich so, dass Collins weder vor noch zurück konnte. Er war gefangen, keine 50 Meter vom Ausgang entfernt, in einer Tiefe von etwa 16 Metern.

Es dauerte nicht lang, da wurde Collins von seinen Freunden vermisst. Bereits am nächsten Tag hatten sie ihn entdeckt. Doch seine Pechsträhne hielt an. Zwar konnte Collins mit Nahrung versorgt werden, selbst eine Glühbirne wurde zu ihm hinabgelassen. Doch trotz intensiver Bemühungen gelang es nicht, ihn zu befreien.

Mehrmals zwängte sich sogar ein Reporter, Skeets Miller, durch die Erdspalten bis zu dem Farmer, um ihn zu interviewen. Collins wurde zum internationalen Medienereignis. Zeitungsreporter reisten an und berichteten täglich von den Rettungsbemühungen. Das neue Medium Radio verbreitete die Nachrichten aus Kentucky über den Äther in alle Welt. Das Unglück wurde zum ersten großen Medienereignis des 20. Jahrhunderts.

Aus Chicago reiste sogar ein Chirurg an, um Collins' eingeklemmten Fuß zu amputieren - doch er kam nicht an den Farmer heran. Dann, nach etwa einer Woche, brach der Gang, den die Helfer nutzten, ein, der Zugang war verschüttet.Einige Tage war die Stimme des Höhlenforschers noch zu hören, während der die Helfer einen Rettungsschacht gruben.

Doch sie kamen zu spät. Am 17. Februar erreichten sie Collins. Doch der war inzwischen - vermutlich am 13. Februar - an Erschöpfung gestorben. Erst nach einigen Monaten gelang es, den Toten zu bergen.

Doch unter die Erde begab sich Floyd Collins auch nach seinem Tod noch mehrmals. Zuerst wurde sein Leichnam in der Crystal Cave, einer Höhle, die seiner Familie gehörte, in einem Sarg mit gläsernen Deckel aufgebahrt. 1929 wurde der Körper gestohlen. Als er wieder auftauchte, fehlte das linke Bein. Wieder brachte man ihn in die Crystal Cave. Und 1989 wurde Collins schließlich endgültig aus der Höhle geholt und auf dem nahen Flint Ridge Cemetery beerdigt.

International berühmt wurde mit dem Hobbyforscher zugleich auch die größte Höhle der Erde: die Mammoth Cave, zu der Sand Cave, Collins' tödliche Falle, gehört. Mit einer kartierten Gesamtlänge von offiziell 587 Kilometern ist sie weitläufiger als jedes andere bekannte Höhlensystem - und noch immer sind nicht alle Gänge erschlossen.

Ein Sklave erforscht die Höhle

Der Mammoth Cave National Park, zu dem die Höhle gehört, ist sein 1981 Teil des Unesco-Weltnaturerbes und seit 1990 gehört er zum Biosphärenreservat. Entstanden sind die unterirdischen Öffnungen in einer Kalksteinschicht, die unter Sandstein liegt.

Erde extrem: Floyd Collins war einer der bekanntesten Höhlenforscher der USA.

Floyd Collins war einer der bekanntesten Höhlenforscher der USA.

(Foto: Foto: Mammoth Cave National Park)

Im amerikanisch-britischen Krieg von 1812 bis 1815 bauten die Amerikaner in den Höhlen Salpeter ab, das für Schießpulver gebraucht wurde. Die Quelle des Salpeters war der Kot der Fledermäuse, die damals noch in großer Zahl in den Gängen lebten. Nach dem Krieg begannen die Eigentümer, die Gänge touristisch zu erschließen.

Als Höhlenforscher tat sich zwischen 1840 und 1850 ein afroamerikanischer Sklave hervor. Steven Bishop war 1838 von seinem Eigentümer zusammen mit dem Höhlensystem an John Croghan verkauft worden, der Bishop damit beauftragte, Touristen durch die Gänge zu führen.

Doch der Sklave begnügte sich nicht damit. Er begann damit, das System zu kartieren und gab vielen Höhlen ihre Namen. Angeblich nutzte er die Höhle sogar, um geflüchtete Sklaven auf dem Weg nach Norden zu verstecken.

Erste Besucher vor 4000 Jahren

Erde extrem: Jedes Jahr nehmen etwa 500.000 Touristen an einer Höhlentour teil.

Jedes Jahr nehmen etwa 500.000 Touristen an einer Höhlentour teil.

(Foto: Foto: Daniel Schwenn, Verwendung gemäß der GNU-Lizenz für freie Dokumentation)

Aber bereits lange bevor die weißen Siedler im 18. Jahrhundert die Höhle entdeckt hatten, kannten die Einheimischen die unterirdischen Gänge. So wurden in der Mammoth Cave indianische Mumien entdeckt, die dort offenbar begraben worden waren. Die ersten Besucher, so wird vermutet, kamen vor 4000 Jahren.

Dass das riesige Höhlensystem in Kentucky entstehen konnte, liegt daran, dass die Region vor 355 Millionen Jahren ein seichtes Meer war, in das aus dem Norden ein Fluss mündete. Über den Meeresboden aus Kalkstein legte sich in der Flussmündung eine Schicht aus Sandstein. Vor etwa 280 Millionen Jahren sank der Meeresspiegel, der Grund stieg aufgrund der Plattentektonik an, die Bodenschichten zerbrachen. Vor etwa 10 Millionen Jahren begann sich das Höhlensystem zu bilden, als Regenwasser in die Spalten eindrang und den Kalkstein aushöhlte.

In dem einzigartigen Ökosystem, das inzwischen jährlich etwa 500.000 Menschen besuchen, leben etliche speziell an das Höhlenleben angepasste Tiere, zum Beispiel verschiedene Fledermausarten, augenlose Fische und blinde Salamander.

Was es allerdings in der Mammut-Höhle niemals gegeben hat, sind Mammuts. Der Name stammt von den weißen Siedlern, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von den riesigen Ausmaßen der Höhle beeindruckt waren.

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