Erdbebengefahr in Japan:Zittern um Fukushima

Vor fast einem Jahr führte ein Starkbeben zur Kernschmelze in Reaktoren des Atomkraftwerks Fukushima-1. Nun drohen im Osten Japans neue Beben, warnen Geologen. Unter dem Katastrophen-AKW sollen sich Erdspalten gelockert haben.

Patrick Illinger

Das havarierte japanische Atomkraftwerk in Fukushima ist von weiteren Erdbeben bedroht, sagen Geologen der japanischen Tohoku-Universität in Sendai. Laut ihrer Studie haben sich infolge des Starkbebens vom 11. März 2011 unter dem japanischen Festland Gesteinsspalten gelockert. Diese könnten jederzeit größere Erdstöße auslösen.

Media allowed into Japan's tsunami-damaged nuclear power plant

Infolge des Tsunamis vom 11. März 2011 geriet das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi außer Kontrolle, mehrere Blöcke explodierten. Geologen rechnen mit weiteren Erdbeben in der Region.

(Foto: dpa)

Für ihre Studie haben die Forscher 6000 Beben in Japan in den Jahren 2002 bis 2011 analysiert. Nach Angaben der Wissenschaftler kann man mit Hilfe solcher Daten ins Erdinnere blicken "wie mit einem Tomographen in der Medizin". Ihre Resultate veröffentlichen die Geologen im Internet-Journal Solid Earth, das von der Europäischen Geologenvereinigung EGU herausgegeben wird.

Als wollte die Natur diese Studie bestätigen, erschütterte am Dienstag ein starkes Beben den Osten Japans. Wie die US-Erdbebenwarte mitteilte, lag das Epizentrum des Bebens der Stärke 6,0 gut 160 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tokio. Auch die japanische Wetterbehörde verortete die Erschütterungen unweit des schwer beschädigten Atomkraftwerks Fukushima. Der Kraftwerksbetreiber Tepco teilte unterdessen mit, die Anlage sei bei dem neuen Beben nicht beschädigt worden.

Genau das wäre jedoch zu befürchten, sollten die Erkenntnisse der Forscher aus Sendai zutreffen. Sie sehen das seit dem Tsunami vom März 2011 ruinierte und verstrahlte Atomkraftwerk Fukushima von weiteren Starkbeben bedroht. Nach der Analyse der Erdbeben seit dem Jahr 2002 halten es die Forscher für wahrscheinlich, dass sich im Zuge des Megabebens vor elf Monaten unterirdische Flüssigkeiten gelöst haben, die nun wie ein Schmiermittel vorhandene Erdspalten ins Gleiten bringen können.

Als Beleg für ihre Thesen führen die Geologen um Dapeng Zhao ein Beben an, das im April die 60 Kilometer südwestlich vom Fukushima-Reaktor gelegene Region Iwaki erschütterte. Mit der Stärke 7 auf der Richter-Skala war es das heftigste Beben auf dem japanischen Festland seit der Katastrophe vom 11. März. Tatsächlich hat der Erdboden rund um Iwaki seit März 2011 ganze 24.000 Mal gezittert. Zhao und seine Kollegen fürchten nun, ein ähnlicher geologischer Mechanismus wie in Iwaki könnte auch Fukushima erschüttern.

"Die Gefahr weiterer Beben ist hoch"

Frederik Tilmann vom Geoforschungszentrum Potsdam beurteilt die Theorie von den unterirdischen Fluiden auf Basis der aktuellen Datenlage skeptisch. Seiner Ansicht nach könne das Iwaki-Beben vom vergangenen April auch die Folge großräumiger Spannungsänderungen in der Region sein. "Die Gefahr weiterer Beben ist hoch, mit und ohne die unterirdischen Fluide", sagt Tilmann.

Zhao und sein Kollege Ping Tong vermuten indes aufgrund ihrer Datenanalyse, dass sich unter der Ruine der Kraftwerks Fukushima Daiichi gefährliche Mengen geologischer Fluide angesammelt haben. Diese könnten demnächst in der Umgebung des Reaktors ein starkes Beben auslösen. Wann genau können die Forscher nicht vorhersagen, allerdings sprechen sie von der "nahen Zukunft". Behörden und Kraftwerksbetreiber ermahnen sie dazu, die havarierte Reaktoranlage gegen Erdbeben zu sichern, um eine weitere nukleare Katastrophe zu vermeiden.

Erst in dieser Woche ist bekannt geworden, dass Japan den Betreiber des Katastrophen-Atomreaktors von Fukushima mit weiteren 6,7 Milliarden Euro unterstützen will. Das Geld soll zusätzlich zu bereits zugesagten 8,7 Milliarden Euro an den Stromversorger fließen, beschloss die Regierung in Tokio am Montag.

Bis Ende März 2013 benötigt Tepco nach Schätzungen einer von der Regierung beauftragten Expertenkommission rund 44 Milliarden Euro für Entschädigungen und weitere rund zehn Milliarden Euro für den Rückbau von vier der sechs Reaktoren in Fukushima. Die Arbeiten dazu werden demnach etwa 40 Jahre dauern. 16 der 17 Atomreaktoren Japans sind derzeit vom Netz genommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: