Naturkatastrophen:Die Welt ist kaum vorbereitet

Naturkatastrophen: Pakistanische Frauen tragen im September 2022 Habseligkeiten aus ihrem überschwemmten Haus in Sindh.

Pakistanische Frauen tragen im September 2022 Habseligkeiten aus ihrem überschwemmten Haus in Sindh.

(Foto: Fareed Khan/picture alliance/dpa/AP)

Erdbeben, Überschwemmungen oder Stürme sollen bis 2030 deutlich weniger Schäden anrichten. Wissenschaftler warnen nun: Dieses Ziel der Vereinten Nationen sei kaum noch zu erreichen.

Von Christoph von Eichhorn

Mehr als 50 000 Menschenleben hat das jüngste Erdbeben in der Türkei und Syrien bereits gefordert, und noch immer steigt täglich die Zahl der bestätigten Todesfälle. Viele Menschen wären wohl noch am Leben, wäre erdbebensicherer gebaut worden, wäre in der Region mehr in Katastrophenschutz investiert worden. Doch wie ein nun veröffentlichter Bericht zeigt, hätte es viele andere Regionen wohl ebenfalls sehr hart getroffen. Die Welt ist demnach äußerst unzureichend auf Naturkatastrophen wie Erdbeben, Überschwemmungen, Dürren oder Stürme vorbereitet. Zugleich wächst infolge der ökologischen und klimatischen Krise der Schaden, den solche Extremereignisse anrichten.

Erarbeitet hat die Bilanz die in Paris ansässige Wissenschaftsorganisation "International Science Council" (ISC) anlässlich der Halbzeit des sogenannten "Sendai Rahmenwerks für Katastrophenvorsorge". Diese Vereinbarung auf UN-Ebene sieht vor, die durch Naturgefahren hervorgerufenen Risiken zwischen 2015 und 2030 substanziell zu verringern, neue Risiken zu vermeiden und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Extremereignissen zu stärken.

Von diesen Zielen ist die Welt weit entfernt. "Das Ausmaß von Katastrophen und ihre Folgen für Leben, Existenzgrundlagen und Ökosysteme nehmen zu", heißt es in dem Bericht. Dies mache hart erarbeitete Entwicklungen in vielen Teilen der Welt zunichte. So waren zuletzt 170 Millionen Menschen im Jahresdurchschnitt von Naturkatastrophen betroffen. Zwischen 2005 und 2015 lag diese Zahl noch bei 48 Millionen. Zudem steigen die ökonomischen Verluste, die sich solchen Katastrophen zurechnen lassen, langfristig an, auf nunmehr rund 350 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Todesfälle wegen Naturereignissen sind insgesamt rückläufig

Allein 2021 wurden 432 Naturkatastrophen gezählt, bis 2030 könnten es 560 Naturkatastrophen pro Jahr sein, sollte der Trend anhalten. Vor allem die Zahl der Überschwemmungen steigt. Neue Kombinationen von Stressfaktoren, etwa wegen Klimaveränderungen, würden schneller zunehmen als erwartet, schreibt der ISC.

Zugleich heben die Experten hervor, dass mittlerweile deutlich bessere Informationen zur Verfügung stehen, um auf Katastrophen reagieren zu können. Das hat dabei geholfen, die Zahl der Todesfälle aufgrund von Naturereignissen insgesamt zu senken. Zwischen 2015 und 2020 kamen demnach im Schnitt jährlich 42 000 Menschen bei Naturkatastrophen ums Leben, 15 000 weniger als im Schnitt der zehn Jahre davor. Erdbeben stellen die tödlichsten Katastrophen dar, sie verursachten seit 1990 jeden zweiten Todesfall aufgrund von Naturereignissen. Dass die naturbedingten Todesfälle insgesamt rückläufig seien, beispielsweise bei Extremwetterlagen, sei besseren Frühwarnsystemen und einem stärkeren Katastrophenschutz zuzuschreiben.

Trotz dieser Fortschritte sei es "sehr unwahrscheinlich", dass die Ziele des Sendai-Rahmenwerks bis 2030 erreicht würden. So fließen derzeit nur fünf Prozent der Entwicklungshilfe für Naturkatastrophen in die Prävention von Risiken. Der Großteil wird zum Wiederaufbau nach Katastrophen verwendet. Dieses Verhältnis müsse sich ändern, mahnen die Forscher.

Wie viele Leben es retten kann, wenn sich Orte gut vorbereiten, zeigt ein Beispiel aus Indonesien. Als 2004 ein Tsunami den Inselstaat traf, starben auf der Insel Simeuluë von rund 80 000 Einwohnern nur sieben Personen. Dort gab es jährliche Übungen für einen solchen Ernstfall. In der benachbarten Provinz Aceh, die darauf verzichtete, starben von den etwas mehr als fünf Millionen Einwohnern etwa 150 000.

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