Bei dem Erdbeben in Nepal am 25. April ist der Untergrund wie ein überdehnter Klettverschluss aufgerissen. Vom Epizentrum 80 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kathmandu jagte der Puls der Zerstörung in 70 Sekunden gen Osten und kam 60 Kilometer östlich der Hauptstadt zum Stehen. Das zeigen zwei neue, detaillierte Auswertungen der aufgezeichneten Messdaten. Das Beben erreichte die Magnitude von 7,8. Forscher warnen jetzt aber auch vor noch schwereren Erdstößen im Westen des Landes, wo sich seit Jahrhunderten Spannung in der Erdkruste aufbaut.
Wegen der großen Erdbebengefahr im Himalaja sind in Nepal GPS-Sensoren installiert, deren Position kontinuierlich per Satellitennavigation erfasst wird. Die Messungen zeigen, wie sich das Land am 25. April um 1,5 Meter hob und zwei Meter nach Süden schob, als im Untergrund verkeilte Gesteinsschichten brachen ( Science, online).
Die Gegend ist erdbebengefährdet, weil sich die indische Erdplatte etwa zwei Zentimeter pro Jahr unter die eurasische Platte schiebt. Die Spannung entlud sich am Epizentrum und dann der Reihe nach an weiteren Stellen entlang der Bruchlinie, jeweils sechs Sekunden lang. Diese Zeitdauer blieb konstant, solange der Untergrund felsig war. Ein Sensor, der im Becken von Kathmandu installiert war, zeichnete jedoch längere Ausschläge auf.
Die Hauptstadt ist auf einer dicken Schicht Sediment errichtet, in der sich einige Schwingungen des Bebens aufschaukelten. Sie schüttelten die Gebäude im Fünfsekundentakt, was zum Einsturz der höchsten Häuser und Baudenkmäler führte. Dieser sogenannte Resonanzeffekt verlängerte die Dauer der Erdstöße um 20 Sekunden und dürfte für viele der 9000 Todesopfer verantwortlich sein. In der Gegend von Kathmandu hatte es zuletzt 1833 ein ähnlich schweres Beben gegeben. Zudem war die Hauptstadt 1934 von Erdstößen im Osten des Landes getroffen worden, wodurch 20 000 Menschen den Tod fanden.
Nun warnen Seismologen, die Spannung an der Plattengrenze im Westen Nepals habe sich seit mindestens 510 Jahren nicht entladen. Dort könnte der Untergrund um mehr als zehn Meter gestaucht sein (Nature Geoscience, online). Sollte der Boden plötzlich nachgeben, ist ein Beben um 8,5 denkbar. Das könnte sogar die indische Hauptstadt Delhi erschüttern.