Für Gerd Rosenkrantz war es eine Konstante seines Lebens: "Ich habe immer erwartet, dass ich noch einmal eine Kernschmelze in einem Atomkraftwerk erlebe. Aber trotzdem kommt es immer anders, als man denkt." Der Atomexperte der Organisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) war am Samstag nach Stuttgart gefahren, um an der lange geplanten Menschenkette vom Kernkraftwerk Neckarwestheim in die Hauptstadt Baden-Württembergs teilzunehmen.
AKW Fukushima: Zerstörtes Dach des Atomreaktors
(Foto: REUTERS)Über eine mobile Internetverbindung hatte er dort die Bilder vom gesprengten Reaktorgebäude gesehen. Und kurz vor 13 Uhr bekam er die erste Meldung, die seine Befürchtungen zu bestätigen schien: Im Block 1 des japanischen Atomkraftwerks Fukushima-I hatte es eine Kernschmelze gegeben, meldete tagesschau.de unter Berufung auf offizielle japanische Quellen.
Kurz darauf ließ die Regierung in Tokio eher beruhigenden Nachrichten verbreiten: Premierminister Naoto Kan vermied in einem Statement das Wort "Kernschmelze". Es habe zwar eine Explosion im Kernkraftwerk Fukushima-I gegeben, ergänzte sein Kabinettchef Yukio Edano, aber nicht im Reaktor des Blocks 1. Stattdessen habe es eine Wasserdampf-Explosion in einer Kühlmittelpumpe gegeben. Der Reaktor solle nun mit Meerwasser gefüllt werden, dem Borsäure beigemengt werde. Diese bremst die andauernden Kernreaktionen im abgeschalteten Reaktor. Diese Nachricht verbreitete dann auch die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco): Die innere Reaktorhülle sei intakt.
"Das wäre in der Tat die erfreulichere Version, wenn nur Geräte oder die Turbinen im Maschinenhaus explodiert wären", sagt Rosenkrantz. Aber auch ein solcher Verlauf setzt womöglich erhebliche Mengen Radioaktivität frei. Und es ist keinesfalls ausgeschlossen, dass die Hüllen um den Reaktorkern nicht auch noch zerstört werden, oder eine Kernschmelze noch beginnt. Rosenkrantz und andere deutsche Experten nehmen aber entgegen der Meldungen aus Tokio an, dass der befürchtete Fall bereits eingetreten ist. Auch Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte Samstagmittag im WDR: "Anhand der uns vorliegenden Informationen neigen wir dazu, dass dort eine Kernschmelze im Gange ist."
Am Nachmittag dann melden japanische Sender dann den Austritt radioaktiver Strahlung. In der Nähe des Blocks 1 seien am Samstag 1.015 Mikrosievert pro Stunde gemessen worden, berichtete der japanische Fernsehsender NHK unter Berufung auf die Präfektur Fukushima auf seiner Internetseite. Diese Strahlendosis ist doppelt so hoch wie der Grenzwert, bei dem die Betreiber von Atomkraftwerken den Notfall erklären und die Regierung informieren müssen.