Erdbeben:Die Plattentektonik

Eine Theorie, die das gewissenschaftliche Denken revolutioniert hat.

Angelika Jung-Hüttl

In Europa gerät die Erde mitunter ins Wanken, weil Afrika von Süden drückt. Der Himalaya wächst jährlich einige Millimeter in die Höhe, weil sich Indien kräftig gegen den eurasischen Kontinent schiebt. Und in Kalifornien erzittert der Boden, weil zwei Erdplatten aneinander vorbeischrammen: Eines Tages werden die Stadtgrenzen von San Francisco und Los Angeles aufeinandertreffen - in etwa zehn Millionen Jahren.

Eine Revolution

Daß sich Kontinente über den Erdball bewegen, galt noch Mitte unseres Jahrhunderts als Humbug. Heute ist die Plattentektonik anerkannt und hat das Bild der Erde revolutioniert, ähnlich wie die Relativitätstheorie die Physik.

Alfred Wegener

Den Grundstein für diese Theorie legte der Geophysiker und Polarforscher Alfred Wegener. 1912 stellte er während einer Tagung der Geologischen Gesellschaft in Frankfurt seine Theorie der Kontinentalverschiebung vor. Ihm war die Ähnlichkeit der Küsten dies- und jenseits des Atlantiks aufgefallen, an denen sich die Kontinente wie Puzzlesteine aneinander fügen ließen. Offenbar angeregt durch Eisschollen, die im Polarmeer schwammen, entwickelte er eine Erklärung für diese alte Beobachtung: Die Kontinente der Erde könnten Einzelteile eines Riesenkontinents gewesen sein. Dieser zerfiel, die Bruchstücke trieben auf dem Meeresgrund in ihre heutige Lage. Als Antrieb, so spekulierte Wegener, kämen Fliehkräfte durch die Erdrotation in Frage.

Erforschung des Meeresbodens bringt Erkenntnis

Von seinen Kollegen erntete der Geophysiker nur Spott. 30 Jahre dauerte es, bis das Modell gewürdigt wurde. Während dieser Zeit hatten Forscher Methoden gefunden, um ein Gebiet zu erkunden, das für sie lange Zeit unerreichbar war: die Tiefsee. Von Forschungsschiffen und Tauchbooten aus inspizierten sie das Neuland per Echolot - und entdeckten ein Netz aus Gebirgszügen, durchzogen von tiefen Schluchten. In diesen Gräben grenzen die Platten aneinander. Dort quillt glutflüssiges Gestein aus dem Meeresgrund und legt sich an die Platten. An anderer Stelle bewegen sich die Erdplatten aufeinander zu. Die eine Platte taucht ab und wird im Erdinnern geschmolzen. Das glutflüssige Material steigt an diesen Subduktionszonen teilweise wieder an die Oberfläche. Wo es die Kruste durchbricht, rumoren Vulkane. Erstarrt es noch in der Erde, bilden sich Erzlagerstätten. Schrammen die Plattengrenzen nur aneinander vorbei, erzittert die Erde.

Wie Förderbänder

Wegener hat also nicht ganz recht behalten: Die Kontinente treiben nicht auf dem Meeresgrund, sondern die Erdplatten bestehen aus beidem: Kontinenten und Ozeanböden, die 100 Kilometer unter der Erdoberfläche auf fließendem Gestein schwimmen, das die riesigen Erdschollen wie auf Förderbändern mitzieht - bis zu 15 Zentimeter im Jahr.

Dank der Plattentektonik lassen sich viele Phänomene erklären, die noch vor wenigen Jahren rätselhaft waren: Die Entstehung von Erdbeben, Vulkanen oder Lagerstätten. Warum aber zerbrechen die riesigen Platten überhaupt? Warum gibt es nicht nur an den Rändern, sondern auch in deren Zentren Erdbeben? - Geowissenschaftler haben auch im 21. Jahrhundert noch viel zu tun.

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