Entstehung des Lebens:Mehr Würze für die Ursuppe

Der US-Chemiker Stanley Miller hat in einem Experiment 1952 gezeigt, wie die Grundbausteine des Lebens entstanden sein könnten. Proben aus seinem Nachlass bieten neue Erkenntnisse.

Werner Bartens

Die Frage beschäftigt jedes Kind irgendwann einmal. Und das Experiment dazu wirkt auf den ersten Blick ebenfalls so, als hätten es sich ein paar neugierige Grundschüler ausgedacht. Wie das Leben auf der Erde entstanden ist, kann schließlich bis heute kein Wissenschaftler genau erklären.

Stanley Miller, Ursuppe

Ein Versuchsaufbau von Stanley Miller.

(Foto: Ned Shaw, University of Inidiana)

Im Mai 1953 hatte der bis dahin unbekannte 23-jährige Stanley Miller von der University of Chicago einen kurzen Science-Artikel veröffentlicht, der die Ursprünge der Welt plötzlich plausibel zu erklären schien. Im Labor des Nobelpreisträgers Harold Urey hatte der junge Doktorand in ein paar Glaskolben die Substanzen zusammengemischt, aus denen die Uratmosphäre und die Urozeane der frühen Erde bestanden haben könnten.

Mit elektrischen Entladungen simulierten die Forscher Blitze, und nach nur wenigen Versuchen bildeten sich organische Verbindungen in dem Gebräu, darunter auch verschiedene Aminosäuren, die Grundbausteine des Lebens.

Das Experiment von Miller und Urey wurde schnell berühmt und ihr Konzept von der Ursuppe, aus der sich vor etwa vier Milliarden Jahren erste primitive Lebensformen entwickelt haben sollen, erlangte weltweite Popularität. Jetzt zeigt sich, dass die Brühe, aus der wir vermutlich alle entstanden sind, womöglich noch nahrhafter war als Miller zu Lebzeiten selbst entdeckte. Schließlich hat der 2007 gestorbene Forscher gar nicht alle seine Versuche ausgewertet.

Jeffrey Bada von der Universität San Diego, ein ehemaliger Schüler Millers, beschreibt im Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (online) vom heutigen Dienstag, wie reichhaltig die Nährlösung des Lebens auf der frühen Erde gewesen sein könnte. "Zu unserer Überraschung war der Ertrag an Aminosäuren weitaus ergiebiger als in jedem der Experimente, die Miller zu Ende geführt hat", sagt Bada.

Die Forscher hatten Proben einer Versuchsreihe im Nachlass entdeckt, die Miller 1958 geplant und begonnen hatte, die dann aber in Vergessenheit geriet und die der Forscher nie publiziert hatte. Für seine Ursprungsexperimente 1953 benutzte Miller Methan, Wasserstoff, Wasserdampf und Ammoniak, um die Uratmosphäre zu simulieren.

In den Experimenten 1958 war zusätzlich Schwefelwasserstoff und Kohlendioxid enthalten. Aus dieser veränderten Mischung entwickelten sich 23 verschiedene Aminosäuren und vier Amine, darunter auch sieben organische Schwefelverbindungen und damit viel mehr, als Miller entdeckt hatte.

Frühe Vielfalt organischer Verbindungen

"Es gab schon früh auf der Erde eine Vielfalt organischer Verbindungen, die man bisher nicht für möglich gehalten hatte", vermuten die Forscher nun. "Miller hatte die entsprechenden Experimente 1958 eigentlich schon selbst gemacht, er wusste es nur nicht."

Stanley Miller, Ursuppe

Stanley Miller in den 50er Jahren

(Foto: University of Chicago)

Zur Entstehung des Lebens trugen der nachträglichen Analyse zufolge auch die zahlreichen Vulkane entscheidend bei, die in der Urzeit die Erde bedeckten. Sie entließen Schwefelwasserstoff in die Atmosphäre und waren damals wohl weitaus stärker mit Wasser und Eis bedeckt als die heutigen Feuerberge. Es rauchte und zischte und ständig schossen Blitze auf die dampfende Urerde nieder. Aus diesen Rohmaterialien und aus den anderen Gasen entstanden mit Hilfe der elektrischen Entladungsenergie bei Gewittern verschiedene Aminosäuren, die sich anschließend zu Eiweißstoffen zusammensetzten. Ob in Muskeln, Organgewebe, Haut oder auch in den Organellen der Zellen - jedes Lebewesen enthält Proteine verschiedenster Bauart als Grundgerüst des Körpers. Gut möglich, so die Forscher, dass sich lokal begrenzt am Fuße von Vulkanen die ersten primitiven Lebensformen entwickelten.

Die Versuche von Miller und seinen Schülern erhellen nicht nur die mögliche Frühentwicklung der Erde. Sie lassen auch Raum für Spekulationen über weiteres Leben im Weltall und legen nahe, auf welche Weise anderswo im Universum primitive Organismen entstanden sein könnten oder noch im Entstehen begriffen sind: Der Schwefelwasserstoff aus Millers Experimenten von 1958 ähnelt schließlich dem, der immer wieder in Meteoriten gefunden wird. Unter günstigen Bedingungen und in der richtigen Mischung könnte das Rezept der Ursuppe demnach vielleicht auch an anderen Orten im Weltraum nachgekocht werden und gelingen - wenn man sich ein paar Milliarden Jahre Zeit ließe.

Miller hatte die Experimente mit Schwefelwasserstoff von 1958 zwar gelegentlich gegenüber seinen Mitarbeitern erwähnt, sich aber zu Lebzeiten nicht weiter darum gekümmert. Nach Erkenntnissen heutiger Geowissenschaftler kommt seine damalige Mixtur den Bedingungen auf der frühen Erde jedoch viel näher als die seiner ursprünglichen Versuche von 1953. Ausgestattet mit feineren Messmethoden und genauerer Analytik wollen Millers Nachfolger bald auch die anderen Versuche ihres wissenschaftlichen Vorbilds wiederholen. Gut möglich, dass sie dabei auf weitere neue Erkenntnisse über die Kinderstube der Erde stoßen.

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