Entschlüsselung der DNA-Struktur:Die vergessene Entdeckerin

Rosalind Franklin gehörte zu den Wissenschatlern, die die Struktur der DNA entschlüsselten.

Sie gehörte zu den Wissenschaftlern, die die Struktur der DNA entschlüsselten: Rosalind Franklin (1920-1958).

(Foto: oh)

Vor 60 Jahren wurde die Struktur des Erbgutmoleküls DNA entschlüsselt. Die Forscherin Rosalind Franklin lieferte den entscheidenden Anstoß - doch Anerkennung erhielt sie dafür zeit ihres Lebens nicht.

Von Katrin Blawat

So kurz wie er ist, könnte der Aufsatz auch eine eilig gekritzelte Labor-Notiz sein. Nur eine Seite benötigen James Watson und Francis Crick vom Cavendish-Labor in Cambridge, um eine der bedeutendsten Entdeckungen der Biologie zu schildern. Vor genau 60 Jahren, am 25. April 1953, veröffentlichen die beiden jungen Forscher den molekularen Aufbau der Erbsubstanz DNA. Am Ende ihres Aufsatzes in Nature schreiben sie: "Wir wurden auch inspiriert durch das Wissen um den grundsätzlichen Charakter unveröffentlichter, experimenteller Ergebnisse und Ideen von Dr. M. H. F. Wilkins, Dr. R. E. Franklin und ihren Mitarbeitern im King's College, London."

Ein Dank an die Kollegen - und ein zarter Hinweis darauf, wer ebenfalls zu der Entdeckung beigetragen hatte. Der Erstgenannte, Maurice Hugh Frederick Wilkins, teilte sich neun Jahre später sogar den Nobelpreis mit Watson und Crick. Rosalind Elsie Franklin war da bereits vier Jahre tot, mit 37 Jahren an Krebs gestorben. Was, wenn Franklin 1962 noch gelebt hätte? Wäre sie ausgezeichnet worden?

Verdient hätte sie es, sind sich viele Forscher einig, denn Franklins Arbeit brachte Watson und Crick auf die Spur. Die beiden jungen Männer hielten nichts von mühsamer Arbeit im Labor. Ihre Stärke lag darin, die Ergebnisse anderer Forscher zu diskutieren und zu kombinieren. Ihre Ideen überprüften sie anhand von selbstgebastelten Pappmodellen. Zwei Jahre vor der Nature-Veröffentlichung luden Watson und Crick Franklin und weitere Forscher ein, um eines dieser Modelle zu präsentieren. Franklin kritisierte, das Modell stimme nicht mit physikalisch-chemischen Fakten überein. "Dogmatisch" seien diese Einwände gewesen, sagte Watson später.

Doch die junge Forscherin wusste, wovon sie sprach. Sie galt international als Expertin für eine komplizierte Untersuchungsmethode, die Röntgenstruktur-Analyse. Damit lässt sich auf die Struktur eines Moleküls schließen. Franklin hatte das Verfahren zuvor in Paris erlernt. Von ihr wollte auch das King's College in London profitieren. Die gebürtige Londonerin Franklin folgte der Einladung ans King's College, um ihrer Familie näher zu sein. Doch Paris zu verlassen, fiel ihr schwer, wie Brenda Maddox in ihrer Franklin-Biografie 2002 schildert. Die junge Wissenschaftlerin hatte sich gut in Frankreich eingelebt, Erfolge bei der Arbeit gehabt und sich zudem in ihren Chef verliebt. Auch außerhalb ihrer Arbeit hatte die mitunter als schwierig geltende Forscherin Menschen gefunden, die sie als ebenbürtig ansah.

In London war es mit der Lebensfreude vorbei

Zurück in London, war es mit Franklins Lebensfreude vorbei. Nicht nur, dass es "hier nicht einen erstklassigen Kopf gibt, mit dem ich diskutieren könnte, weder über Wissenschaft noch über sonst irgendetwas", wie sie einer Freundin nach Paris schrieb. Auch die Stimmung im Labor war schlecht. Wilkins sah in Franklin seine Assistentin, schließlich war sie jung - und vor allem eine Frau. Am King's College ging es selbst für die damalige Zeit sehr konservativ zu, Frauen durften nicht einmal alle Speiseräume benutzen. Franklin aber wollte selbständig forschen, wie sie es gewohnt war. Im Labor ließ sie sich den Ärger jedoch nicht anmerken. Sie arbeitete viel, konzentriert und sorgfältig an ihren Röntgenbildern von komplizierten Molekülen - auch der DNA.

Bis sie die schlechte Stimmung nicht mehr aushielt und sich im Januar 1953 an ein anderes College bewarb. Kurz bevor sie ging, schrieb Wilkins an Watson und Crick: "Unsere ,dark Lady' verlässt uns nächste Woche." Zuvor hatte sich Wilkins oft bei den Kollegen über Franklins Sturheit beklagt. Noch 1968 unternahm auch Watson in seinem Buch "Die Doppelhelix" alles, um Franklin menschlich wie fachlich zu diskreditieren. Der Nobelpreisträger skizziert die Kollegin als bockig, besserwisserisch und verschlossen. Beharrlich nennt er sie Rosy - was Franklin selbst ihren Freunden verboten hatte - und sinniert, warum sie nicht "mal die Brille abnimmt oder was mit ihren Haaren anfängt".

All das hinderte ihn 1953 jedoch nicht daran, Franklins DNA-Röntgenbilder für seine eigenen Schlussfolgerungen zu nutzen. Als die junge Frau Wilkins' Labor bereits verlassen hatte, besuchte Watson seinen Kollegen Wilkins. Dieser zeigte ihm eine der Röntgenaufnahmen, die Franklin bei ihm angefertigt hatte. Bild Nummer 51b elektrisierte Watson.

Er habe sofort die Bedeutung der Aufnahme erfasst, berichtet Watson. Noch auf der Rückfahrt im Zug skizzierte er, wie die DNA aufgebaut sein müsste: eine Doppelhelix, deren Rückgrat aus Zucker- und Phosphat-Molekülen besteht. Verknüpft sind die beiden Stränge der Doppelhelix durch vier verschiedene Moleküle, die sogenannten Basen: Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin. Die Abfolge dieser "Bausteine des Lebens" bildet den genetischen Code jedes Lebewesens.

Watson und Crick bastelten ein neues Pappmodell. Bis zu ihrer Veröffentlichung dauerte es dann nur noch wenige Wochen. Wären die beiden auch ohne Franklins Bild zu ihrem Modell gekommen? Möglich, schließlich hatten sie schon viele Puzzlesteine zusammen. Doch wie stets in der Wissenschaft ging es nicht nur darum, den richtigen Gedanken zu haben - sondern auch darum, ihn als Erster zu verkünden.

Rosalind Franklin wusste zunächst nichts davon, dass ihre Aufnahme Watson und Crick auf die richtige Idee gebracht hatte. Sie selbst hatte etwa zur gleichen Zeit in ihrem Tagebuch den entscheidenden Punkt notiert, dass es sich bei der DNA um eine Helix mit zwei Strängen handeln müsse - und nicht etwa mit dreien, wie es das von ihr kritisierte Modell von Watson und Crick zwei Jahre zuvor noch vorgesehen hatte. Doch Franklin war zu langsam, vielleicht auch zu vorsichtig und ihren eigenen Daten gegenüber zu misstrauisch, um die ungestümen Kollegen Watson und Crick ausstechen zu können.

Franklin durfte in Nature zwar einen ergänzenden Bericht mit ihren Daten veröffentlichen. Der große Ruhm für die Entdeckung der DNA-Struktur aber blieb ihr zeitlebens verwehrt. Dafür kam sie zu anderen Ehren. Fachlich, indem sie sich um die Erforschung eines Pflanzenvirus verdient machte. Und nach ihrem Tod erkoren Feministinnen Rosalind Franklin zu einer Ikone. Es schien ja auch alles gut zusammenzupassen: Eine Frau, die sich in den von Männern dominierten Naturwissenschaften hochkämpft, hervorragende Arbeit leistet, ausgenutzt wird - und dann noch vom Schicksal bestraft wird.

Franklin-Biografin Brenda Maddox aber hält diese Sicht für verzerrt: "Dieser Mythos überschattete ihre intellektuelle Stärke und Unabhängigkeit als Forscherin ebenso wie als Individuum." Anders als es ihr von der Frauenbewegung unterstellt wurde, habe Franklin nie um Ruhm und Anerkennung gekämpft.

Zugleich haben ihre schlechten Erfahrungen Franklin nicht verbittert, schreibt Maddox. Nachdem sie Wilkins' Labor verlassen hatte, fand sie beinahe wieder zu ihrer Pariser Lebensfreude zurück. Und ausgerechnet mit jenen Kollegen, die sich in zumindest unüblicher Manier an ihrer Arbeit bedient hatten, blieb Franklin in freundlichem Briefkontakt. Kurzzeitig wohnte sie später sogar bei Francis Crick und seiner Frau, um sich dort von den Folgen ihrer Krebsbehandlung zu erholen.

Kurz vor ihrem Tod würdigte Franklin zudem die Arbeit von Watson und Crick: Ihre Erkenntnisse über den Aufbau des Pflanzenvirus präsentierte sie wie die DNA-Entdecker als selbst gebautes Modell.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: