Energiewende:Warum zu viel Strom im Norden Knappheit im Süden verursacht

Energiewende: Zu viel Windenergie? Damit die Energiewende gelingt, muss das Netz besser werden.

Zu viel Windenergie? Damit die Energiewende gelingt, muss das Netz besser werden.

(Foto: Robert Jaeger/dpa)

Am Sonntag rief der Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW zum Stromsparen auf - wegen zu viel Windstrom im Netz. Was war da los?

Von Marlene Weiß

Wer sich ohnehin schon Sorgen über die Stabilität des Stromnetzes macht und im Keller die Konservendosen hortet, hätte am Sonntag vielleicht besser nicht auf die "Strom-Gedacht"-App des baden-württembergischen Übertragungsnetzbetreibers Transnet BW geschaut. Am Sonntagmorgen war noch alles im grünen Bereich, "Stromversorgung gesichert". Aber für den Abend, zwischen 17 und 19 Uhr, wurde ein roter Balken angezeigt, "Stromverbrauch reduzieren" - was man zunächst leicht so verstehen konnte, als sei die Stromversorgung dann wohl eher nicht mehr gesichert. Was war da also los?

Zunächst mal handelt es sich um ein Missverständnis. Die App, gestartet Ende vergangenen Jahres, sei keine Warn-App, sagt eine Sprecherin von Transnet BW. Sie solle Bürgerinnen und Bürger sensibilisieren für die Situation im Netz und zeigen, dass jeder einen Beitrag leisten kann - die rote Stufe ist also nicht als Blackout-Warnung gemeint, sondern als Verhaltenshinweis, jetzt bitte Strom sparen. Nachdem das offenbar bei vielen falsch angekommen ist, soll die App nun in den kommenden Wochen angepasst werden.

Interessanter ist aber die Frage, was überhaupt zu dem Strom-Engpass geführt hat - denn das betrifft ein zentrales Problem der Energiewende. Tatsächlich war der Auslöser der Knappheit nämlich paradoxerweise nicht zu wenig Strom, sondern zu viel, nur an der falschen Stelle. Und zwar im Norden, wo starker Wind angekündigt war und entsprechend viel Windstrom anfiel. In solchen Fällen sinkt der Strompreis gegen Null oder sogar ins Negative, und zwar in ganz Deutschland. Denn die Marktpreise sind einheitlich. Es gilt die Illusion der "Kupferplatte", als wäre es unerheblich, wo Strom produziert oder verbraucht wird - was es physikalisch keinesfalls ist.

Im Süden ist das Überangebot an Strom oft rein theoretisch

Tatsächlich kann nämlich so viel Strom mangels Netzausbau oft gar nicht transportiert werden. Trotzdem führen die niedrigen Preise bei starkem Wind aber auch im Süden dazu, dass einerseits Industriekunden mehr Strom einkaufen und verbrauchen und andererseits auch noch Kraftwerke die Produktion einstellen, weil es sich bei so niedrigen Preisen für sie nicht lohnt. Da der viele Windstrom aber gar nicht im Süden ankommt, das Überangebot dort also rein theoretisch ist, wird es dann dort knapp - und schon ist der Engpass da.

Das bedeutet allerdings nicht, dass sich schon der Blackout ankündigt, sondern nur, dass die Netzbetreiber eingreifen müssen, um eine Überlastung der Netze zu verhindern, mit einem sogenannten Redispatch. Kraftwerke, die sonst nicht laufen würden, werden dann zusätzlich angefordert, um den Windstrom, der sich im Norden quasi in der Leitung staut, im Süden zu ersetzen. "Solche Redispatch-Maßnahmen sind ein ganz normaler Vorgang, das passiert jedes Jahr tausendfach", sagt Lion Hirth, Energieökonom an der Hertie School in Berlin. In diesem Fall waren die Kapazitäten im Inland ausgeschöpft, 500 Megawatt Leistung mussten im Ausland angefordert werden, was die rote App-Stufe auslöste - aber selbst das ist nicht so ungewöhnlich. Neu ist also nicht das Phänomen, sondern vor allem die App, "die Stromversorgung war jederzeit gesichert", sagt Hirth.

Trotzdem sind solche Redispatch-Maßnahmen ein Symptom eines Systems, in dem es an dieser Stelle holpert. Zumal sie Kosten und CO₂ verursachen, denn die zugeschalteten Kraftwerke sind meist relativ teuer und nutzen fossile Brennstoffe. Bezahlen müssen das die Kunden über die Netzentgelte. Und für das CO₂ schickt das Klima die Rechnung, wenn man so will.

Die Einschätzungen, wie damit umzugehen ist, gehen aber auseinander. Immer wieder wird über eine Umgestaltung des Strommarktes diskutiert. Zum Beispiel wäre es denkbar, mehrere Preiszonen einzuführen, sodass ein Überangebot an Strom nur dort die Preise senkt, wo tatsächlich zu viel Strom da ist. "Mehrere Preiszonen in Deutschland wären sinnvoll und dürften langfristig ohnehin kaum vermeidbar sein", sagt Hirth. "Es ist einfach so, dass der Strom momentan im Süden knapper ist als im Norden, das sollten auch die Preise abbilden. De facto gibt es sonst eine Quersubventionierung vom Norden in den Süden."

Aber das sehen nicht alle so. Matthias Stark, Leiter des Fachbereichs Erneuerbare Energiesysteme im Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), verweist auf die Nachteile von mehreren Strompreiszonen: "Es würde unter anderem dazu führen, dass aufgrund hoher Strompreise im Süden dann Industrie abwandert und Wärmepumpen oder Elektroautos unrentabel werden." Im Norden wiederum gäbe es wegen der häufig niedrigen oder negativen Strompreise keinen Anreiz mehr, Erneuerbare auszubauen oder weiter zu betreiben. "Somit würden mehrere Strompreiszonen die Ziele der Energiewende gefährden", meint Stark. Das Problem wären demnach also nicht die einheitlichen Preise, sondern der verzögerte Netzausbau sowie der fehlende Windenergieausbau im Süden. Und gebraucht würden laut Stark neben dem Netzausbau nicht mehrere Preiszonen, sondern mehr Anreize für Flexibilität, sowohl bei Erzeugern, Speichern als auch bei Verbrauchern.

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