Netzausbau:Woran die Energiewende hakt

Nebel hüllt Strommasten ein

Oft mangelt es an der Aufnahmefähigkeit: um Windstrom quer durch Deutschland transportieren zu können, müssen Leitungen ausgebaut und neue geschaffen werden.

(Foto: dpa)
  • Um einen hohen Anteil von Erneuerbaren Energien im Strommix zu erreichen, müssen die Netze entsprechend gerüstet sein.
  • Doch der Netzausbau stockt. Damit gerät auch der Ausbau der Erneuerbaren in Gefahr.
  • Vorhandene Netze könnten jedoch schon jetzt mehr Strom transportieren. Dazu ist es etwa nötig, die Temperatur der Leitungen besser zu kontrollieren.

Von Ralph Diermann

Die Branche für erneuerbare Energien freute sich sehr, als Union und SPD im vergangenen Februar ihren Koalitionsvertrag vorlegten. Bis 2030 sollen Wind-, Solar- und Bioenergie 65 Prozent des heimischen Strombedarfs decken, hatten die Parteien vereinbart. Ein ambitioniertes Ziel. Heute liegt der Anteil bei knapp vierzig Prozent. Doch womöglich haben manche Branchenvertreter in ihrer Begeisterung das Kleingedruckte überlesen. Dort heißt es nämlich, der Ausbau müsse "netzsynchron" verlaufen. Das 65-Prozent-Ziel gilt also nur dann, wenn die Stromnetze für die Einspeisung der erzeugten Energie gerüstet sind.

Diese Einschränkung dürfte noch für viel Streit sorgen. Einen Vorgeschmack darauf gibt die derzeitige Diskussion um Sonderausschreibungen für Wind- und Solarkraftwerke. Damit wollte die Bundesregierung eigentlich dem Ausbau der erneuerbaren Energien zusätzlich Schwung geben. Doch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) tritt nun auf die Bremse. Die Sonderausschreibungen sollen erst dann verabschiedet werden, wenn die Aufnahmefähigkeit der Netze gewährleistet sei, erklärte er im Juli vor dem Bundestag. Zudem erwägt die Bundesregierung, das Recht zu beschneiden, wonach Ökostrom bevorzugt in die Netze eingespeist werden darf.

Der Netzausbau gilt als eine der größten Baustellen der Energiewende. Um Windstrom aus dem Norden und Osten des Landes in den Westen und Süden zu transportieren, müssen neue Übertragungstrassen - sogenannte Stromautobahnen - geschaffen und bestehende Leitungen ausgebaut werden. Dabei geht es um Projekte mit einer Gesamtlänge von 7700 Kilometern. Davon sind bislang allerdings erst gut 900 Kilometer fertig. Immer häufiger müssen die Netzbetreiber deshalb eingreifen, um die Energieversorgung zu stabilisieren. Sie reduzieren zum Beispiel kurzzeitig die Leistung einzelner Windräder, wenn lokale Leitungen die Energie nicht mehr aufnehmen können. Diese und andere Maßnahmen haben 2017 laut der Bundesnetzagentur Kosten von 1,4 Milliarden Euro verursacht. Im vergleichsweise windarmen Vorjahr waren es 880 Millionen Euro.

Bei Kälte könnte mehr Strom transportiert werden. Doch kaum jemand berücksichtigt das

Muss also das Tempo beim Umstieg auf die erneuerbaren Energien gedrosselt werden, wenn der Netzausbau weiter nur schleppend vorankommt? Nein, meint Frank Peter, stellvertretender Direktor der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende. "Es gibt vielerlei Möglichkeiten, das bestehende Übertragungsnetz erheblich besser auszulasten", sagt er. In der Diskussion über den Netzausbau sei aus dem Blick geraten, dass sich die Kapazität des vorhandenen Netzes mit einer Modernisierung deutlich steigern lässt, so Peter, "und das bereits kurzfristig". Dies hat nun auch das Bundeswirtschaftsministerium erkannt: Minister Altmaier hat jetzt erklärt, neben dem Netzausbau auch eine bessere Auslastung bestehender Leitungen anzugehen.

Mehr Platz in den Netzen kann etwa eine Temperaturkontrolle der aus Aluminium und Stahl gefertigten Leiterseile schaffen, die den Strom übertragen. Sie erwärmen sich beim Transport der Energie. Je mehr Strom sie durchleiten, desto heißer werden sie. In der Folge dehnen sich die Leitungen aus - sie hängen durch. Um zu vermeiden, dass sie dem Erdboden oder Gebäuden zu nahe kommen, wird ihre Übertragungskapazität auf einen fixen Wert begrenzt. Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass die Temperatur der Leiterseile auch von den Witterungsverhältnissen abhängt. Wind zum Beispiel kühlt die Leitungen, so dass sie bei Sturm gefahrlos größere Strommengen übertragen könnten. Ein mithilfe von Sensoren durchgeführtes Monitoring der Seiltemperatur erlaubt es, bei günstiger Witterung mehr Energie zu transportieren.

"Abhängig vom Wetter lässt sich die Stromtragfähigkeit der Leiterseile mit einem Freileitungsmonitoring temporär nahezu verdoppeln", erläutert Mattias Luther, Leiter des Lehrstuhls für Elektrische Energiesysteme der Universität Erlangen-Nürnberg. Eine solche Temperaturkontrolle gibt es bundesweit erst in etwa einem Viertel des Übertragungsnetzes. Die Betreiber planen jedoch, diese Möglichkeit künftig in deutlich mehr Netzabschnitten zu nutzen.

Kabel aus einem neuartigen Material könnten deutlich mehr Strom transportieren

Um zu verhindern, dass die Leitungen bei starkem Stromfluss durchhängen, hat die Industrie zudem Seile mit einer speziellen Aluminiumlegierung entwickelt, die höhere Temperaturen vertragen. Würden Netzbetreiber konventionelle Leitungen durch diese neuartigen Seile ersetzen, könnten sie die Übertragungskapazität bestehender Verbindungen um fünfzig bis hundert Prozent steigern. Das hat jedoch seinen Preis: "Hochtemperatur-Leiterseile kosten derzeit etwa das Sieben- bis Zehnfache der Standard-Seile", sagt Luther. Ein flächendeckender Einsatz komme also aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage. "Für einzelne, hoch belastete Netzabschnitte sind sie jedoch durchaus sinnvoll", meint der Wissenschaftler.

Allerdings zieht der Austausch der Leitungen weitere Aufgaben nach sich. "Wegen der höheren Kapazität der Hochtemperatur-Leiterseile müssen in der Regel auch die Umspannwerke aufgerüstet werden", betont Ulrike Hörchens, Sprecherin des Netzbetreibers Tennet. Zudem seien die Lärmemissionen größer und die elektromagnetischen Felder stärker. "Es kann also sein, dass dafür neue Genehmigungsverfahren nötig sind." Abgesehen von einigen wenigen Pilotversuchen werden die hitzeresistenten Seile hierzulande bislang noch nicht verwendet.

Ein weiterer Hebel, um das bestehende Netz leistungsfähiger zu machen: Strom könnte gezielt über diejenigen Leitungen zu den Verbrauchern transportiert werden, die gerade weniger beansprucht werden als andere. Dazu müssen Umspannwerke und Schaltanlagen mit sogenannten Phasenschieber-Transformatoren oder anderen Anlagen ausgerüstet werden, die den Lastfluss steuern. Sie leiten den Strom je nach Bedarf auf geringer beanspruchte Netzabschnitte um und verteilen ihn so gleichmäßiger. Bislang werden solche Anlagen vor allem an den Landesgrenzen eingesetzt. Dort unterbinden sie unerwünschte Stromflüsse durch die Leitungen der Nachbarstaaten.

Die Stromnetze können einen Erneuerbare-Energien-Anteil von 65 Prozent bis 2030 prinzipiell gut vertragen, ist Frank Peter von Agora Energiewende überzeugt - "sofern die Möglichkeiten zur Steigerung der Übertragungskapazität in den bestehenden Netzen konsequent genutzt werden." Experten der Denkfabrik haben ein Zwölf-Punkte-Programm zur Netzmodernisierung vorgelegt. Neben der technischen Aufrüstung der Leitungen schlagen die Spezialisten auch den gezielten Einsatz von Batteriespeichern vor oder flexible Verbrauchsanlagen - vor allem große elektrische Heizkessel, die Fernwärme erzeugen. Eingebunden in die Leitwarten der Netzbetreiber, sollen sie helfen, Engpässe zu vermeiden. Zudem müsse der Netzbetrieb stärker digitalisiert und automatisiert werden. Doch auch wenn das vorhandene Übertragungsnetz besser ausgelastet werde und zudem der Netzausbau voranschreite, werden netzstabilisierende Eingriffe weiter nötig sein, betont Peter. "Es wäre aber völlig falsch, das zu verteufeln", sagt er. "Denn solche Maßnahmen sind eines der wirtschaftlichsten Mittel zur Integration der erneuerbaren Energien ins Stromsystem."

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