Energietechnik:Kampf um die Prozente

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Treffen Sonnenstrahlen auf eine Siliziumzelle, schlagen sie Elektronen aus den Hüllen der Atome - das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Bis heute haben sich Silizium-Solarzellen stets gegen Konkurrenten aus anderen Materialien behauptet. Ingenieure entlocken den Zellen mit technischen Kniffen immer höhere Wirkungsgrade.

Von Benjamin von Brackel

Ausgerechnet am Ufer des Buffalo Rivers im Westen des Bundesstaats New York, wo einst Schwerindustrie den Fluss verseucht hat, soll das grüne Zeitalter der USA beginnen. Zumindest wenn es nach Elon Musk geht, dem Gründer des Elektroautobauers Tesla. Mit seinen Fahrzeugen will er Benzinfresser verdrängen. Dem Klimaschutz hilft das aber nur, wenn der Strom für die Autos nicht aus Kohlekraftwerken kommt, sondern aus Ökoenergie-Anlagen.

Deshalb ist Musk im Begriff, groß in die Solarbranche einzusteigen. In einer ehemaligen Stahlfabrik am Buffalo River soll ein Werk von Frühjahr 2016 an bis zu 10 000 Solarmodule am Tag produzieren - so viele wie keine andere Solarfabrik in der westlichen Hemisphäre. Das kündigte das Unternehmen Solarcity, dessen größter Anteilseigner Musk ist, im Oktober an.

Um sich als echter Energiepionier zu präsentieren, bedurfte es aber noch der Vermeldung eines Weltrekords: Solarcity hat nach eigenen Angaben die effizientesten fabrikreifen Solarmodule der Welt gebaut. 22,04 Prozent des Sonnenlichts sollen sie in elektrische Leistung umwandeln. Vier Tage später war der Coup aber bereits verloren. Die japanische Elektronikfirma Panasonic meldete einen Wirkungsgrad von 22,5 Prozent.

Standard-Solarmodule, wie sie auf deutschen Dächern montiert sind, erreichen unter optimaler Ausnutzung gerade mal 16 bis 18 Prozent. Die Effizienzrekorde sind Folge eines Wettlaufs zwischen Wissenschaftlern und Solarfirmen. Sie wollen die Jahrzehnte alte Silizium-Solarzelle noch besser machen - und sie vor Konkurrenz bewahren.

Keine Energietechnik wächst derzeit so schnell wie die Photovoltaik. Um sich im Markt zu behaupten, müssen die Solarfirmen die Kosten drücken. Und jeder zusätzliche Prozentpunkt im Wirkungsgrad senkt die Kosten einer Solarzelle um sieben Prozent - so die Faustformel. Denn während die Leistung steigt, bleiben die Montage- und Produktionskosten gleich. Besonders dort, wo Photovoltaik-Flächen knapp sind, lohnen sich effizientere Solarmodule, etwa in Städten. Von der ersten modernen Solarzelle aus dem Jahr 1954 bis zu den heute installierten Anlagen hat sich der Wirkungsgrad verdreifacht. Anfangs wandelten die Vorrichtungen gerade einmal sechs Prozent der Energie des einfallenden Lichtes in Strom um.

Die Funktionsweise ist noch immer die gleiche: Treffen Sonnenstrahlen auf eine dünne Siliziumzelle, schlagen die Lichtteilchen Elektronen aus den Hüllen der Atome. Um die geladenen Elektronen abzusaugen, greifen Ingenieure auf einen Trick zurück. Sie bauen Solarzellen aus zwei Schichten. Eine enthält Bor-Atome, bei denen ein Elektron in der Atomschale fehlt. Der anderen werden Phosphor-Atome hinzugefügt, die jeweils einen Ladungsträger zu viel haben. Zwischen den Schichten entsteht somit ein elektrisches Feld, das aus dem Silizium gelöste Elektronen zu einer Elektrode transportiert. Dadurch fließt ein Strom.

Dabei gelingt es nicht, sämtliches Sonnenlicht in Strom zu verwandeln. Siliziumzellen können nur einen Teil der Wellenlängen der elektromagnetischen Strahlung verwerten. Viele der eintreffenden Lichtteilchen werden von der Zelloberfläche reflektiert. Andere durchdringen das Silizium, ohne ein Elektron zu treffen. Und selbst, wenn die Solarzelle das Licht schluckt, finden nicht alle im Silizium angestoßenen Elektronen ihren Weg zur Elektrode. Oft gesellen sie sich einfach zu einem der Bor-Atome, das Elektronen sucht. Die Ladungsträger sind dann für die Stromgewinnung verloren.

Als Hoffnungsträger galten lange Materialien, die mehr Licht einfangen können als Siliziumkristalle: Dünnschichtzellen aus der chemischen Verbindung Cadmium-Tellurid oder dem Mineral Chalkopyrit. Um Zellen aus diesen Stoffen herzustellen, genügen relativ niedrige Temperaturen. Und weil die Zellen so dünn sind, kostet das Material nur wenig. Gegen die Siliziumzellen konnten sie sich trotzdem nicht durchsetzen.

Auch die Zukunft von Solarzellen aus Perowskit, die seit einigen Jahren als Alternative gehandelt werden, ist aus Sicht von Experten unsicher. In Laborversuchen können die neuartigen Zellen zwar mittlerweile einen Wirkungsgrad von bis zu 20 Prozent erreichen. Sie sind aber fragiler als ihre Vettern aus Silizium. Außerdem enthalten sie giftiges Blei.

Silizium hat diese Probleme nicht. Es lässt sich aus Sand gewinnen, den man an jedem Strand findet. Außerdem hat die weltweite Standardisierung und Massenherstellung dem Klassiker einen enormen Preisvorteil verschafft. "Es wird schwer, an Silizium vorbeizukommen", sagt Martin Hermle vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Das gilt auch deshalb, weil die Siliziumzellen immer besser werden - und von der Dünnschicht-Technologie lernen.

Derzeit stellt die Mehrzahl der Solarfirmen in aller Welt ihre Produktion um: Nach über zwei Jahrzehnten Forschung haben es die sogenannten Perc-Solarzellen (Passivated Emitter Rear Cell) in die Massenfertigung geschafft. Sie verlieren weniger freigeschlagene Elektronen in ihrem Inneren, was an einer gerade mal einen Zehntausendstel Millimeter dünnen Schicht aus Aluminiumoxid und Siliziumnitrid liegt, die zwischen dem Silizium und der Elektrode aufgedampft wird. Außerdem dient eine zweite Schicht an der Zellrückseite dazu, das Licht, das ungenutzt durch die Zelle rauscht, zurück in den Halbleiter zu reflektieren. Das Unternehmen Solarworld konnte damit den Wirkungsgrad auf 21,7 Prozent steigern. Der Nachteil: Der elektrische Widerstand der Zelle erhöht sich - man muss also eine höhere Spannung anlegen, um die Zelle zu betreiben. Martin Hermle hat drei Jahre lang an einer Alternative geforscht, die dieses Problem nicht haben soll. Mitte September präsentierte sein Institut das Ergebnis: Eine Silizium-Zelle, in die Ingenieure eine noch viel dünnere Schicht zwischen Silizium und Elektrode ziehen. Sie ist gerade mal zwei Millionstel Millimeter dünn. Ladungsträger können dank eines quantenmechanischen Effekts ungehindert durch sie hindurch "tunneln". Das ermöglicht einen noch höheren Wirkungsgrad: Die sogenannten Topcon-Solarzellen (Tunnel Oxide Passivated Contact) können mehr als 25 Prozent des einfallenden Sonnenlichts in Strom umwandeln - allerdings bisher nur im Labor. Das Beispiel entspricht einem generellen Trend: Mit kleinen technischen Verbesserungen wird der Wirkungsgrad peu à peu verbessert. "Man braucht nicht immer revolutionäre Schritte, um die Kosten zu senken", sagt Hermle.

Wer neue Solarzellen mit höherer Effizienz auch auf den Markt bringen will, muss wie Elon Musk investieren und neue Herstellungsanlagen aufbauen. In der Fabrik am Buffalo Lake will Solarcity sogenannte Hetero-Solarzellen produzieren, genau wie der Konkurrent Panasonic. Das Herzstück dieser Technologie: Ingenieure dampfen auf den Siliziumkristall auf der Vorder- und Rückseite eine ultradünne Siliziumschicht auf. Auch dieser wenige Millionstel Millimeter dünne Film verhindert, dass Elektronen auf dem Weg zur Elektrode verloren gehen.

Um die empfindlichen, extrem dünnen Schichten herzustellen, nutzt das Unternehmen von Elon Musik ein besonderes Verfahren: Das Silizium wird nicht wie sonst üblich in bis zu 1000 Grad heißen Öfen aufgedampft. Stattdessen stammt das Silizium aus einem weniger als 250 Grad warmen gasförmigen Gemisch geladener Atomkerne. Atom für Atom bleibt das Silizium so auf der Solarzelle hängen. Dem von Solarcity zwischenzeitlich aufgestellten Effizienzrekord könnten daher weitere folgen, glauben Experten. "Diese Technologie ist in der Lage, sehr nah an den maximalen Wirkungsgrad von Siliziumzellen heranzukommen", sagt Lars Korte vom Silizium-Photovoltaik-Institut am Helmholtz-Zentrum Berlin. Der liegt bei 29 Prozent. Wer darüber hinaus will, muss Silizium mit anderen Materialien kombinieren. Also zum Beispiel Zellen aus Silizium und Perowskit aufeinanderstapeln. Letztere können grünes und blaues Licht verwerten, während Silizium vor allem rote und infrarote Wellenlängen nutzt. Theoretisch lässt sich mit der Sandwich-Technik der Wirkungsgrad auf bis zu 40 Prozent anheben.

© SZ vom 16.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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