Mikrobiologie:Bakterien als Energielieferanten

Mikrobiologie: Geobacter sulfurreducens ist ein Bakterium, das für biologische Brennstoffzellen infrage kommt.

Geobacter sulfurreducens ist ein Bakterium, das für biologische Brennstoffzellen infrage kommt.

(Foto: US Naval Research Laboratory)
  • Einige Bakterien wie Geobacter metallireducens leiten Strom. Solche Mikroorganismen wollen Forscher nun nutzen, um etwa aus Abwasser Elektrizität zu gewinnen.
  • Die Nasa will mithilfe der Mikroben im All Strom erzeugen.
  • Viele Arten lassen sich jedoch bislang nicht im Labor kultivieren.

Von Andrea Hoferichter

Eigentlich wollte Derek Lovley nur herausfinden, weshalb es in der Chesapeake Bay bei Washington DC plötzlich eine Algenblüte gab. Er zog los, an den Potomac River, und nahm Proben. Mehr als dreißig Jahre ist das jetzt her, und er ahnte damals nicht, dass diese Geschichte seinem Forscherleben eine entscheidende Wendung geben würde: Als Ursache für die explosionsartige Vermehrung der Algen entdeckte der Mikrobiologe damals Bakterien, die tatsächlich Strom produzieren können. Er nannte die stäbchenförmigen Bakterien GS-15, nach der Sedimentprobe, in der er sie gefunden hatte.

Erst später erkannten Lovley und seine Kollegen, welche Bedeutung die Mikroorganismen für das Ökosystem haben und gaben ihnen den Namen, unter dem sie heute bekannt sind: Geobacter metallireducens. Im Labor fanden die Forscher heraus, dass die stäbchenförmigen Mikroben der Familie Geobacter Elektronen, also elektrische Ladungsträger, auf Rost übertragen und diesen in magnetisches schwarzes Eisenoxid umwandeln können. Eine Metamorphose, bei der sich im Flusssediment algenfördernde Phosphate lösen können. Anders als andere Bakterien schleust Geobacter Elektronen, die bei praktisch allen Stoffwechselprozessen in biologischen Zellen ausgetauscht werden, durch die Zellmembran nach außen und gibt sie dort über mikroskopisch feine "Haare" an Mineralien, Metalle oder andere Mikroben weiter.

"Wir waren glücklich, dieses Bakterium gefunden zu haben", sagt Lovley, der damals für die U.S. Geological Survey arbeitete und derzeit an der University of Massachusetts Amherst forscht. "Wir hatten zu dieser Zeit aber keine Vorstellung davon, welche weiteren Fähigkeiten Geobacter hat." Heute ist klar, dass Bakterien wie die aus dem Potomac beim Verdauen organischer Stoffe, etwa Pflanzen- oder Tierresten, regelrecht elektrische Ströme fließen lassen können. Anders gesagt: Sie können aus Abwasser Energie gewinnen. Die Kombination aus Biomüll-Abbau und Stromproduktion beschäftigt inzwischen Forscher auf der ganzen Welt. Die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen ist mittlerweile vierstellig pro Jahr. Auch in Lovleys Labor übernehmen die Mikroben aus dem Potomac längst höhere Aufgaben. In einem Video ist ein Glas voll Schlamm zu sehen, auf dem ein rotes Lämpchen blinkt. Es ist ein batterieähnliches Konstrukt, das Elektrochemiker "mikrobielle Brennstoffzelle" nennen.

Geobacter macht sich über organische Stoffe im Schlamm her und leitet die dabei frei werdenden elektrischen Ladungen an Elektroden, die im Gefäß stecken. So fließt Strom, der die Lampe zum Leuchten bringt. "Mit einer mikrobiellen Brennstoffzelle kann man auch kleinere Geräte aufladen, einen Taschenrechner zum Beispiel oder eine Uhr", sagt Lovley.

In entlegenen Regionen könnten die Mikroorganismen das Abwasser reinigen

Es gibt bereits Ideen, um die elektroaktiven Mikroben dem Menschen zunutze zu machen. Die Nasa will zum Beispiel mit mikrobieller Hilfe aus Astronauten-Urin Elektrizität im All erzeugen. Start-ups wie Aquacycl aus Kalifornien und Forscher im EU-Projekt Imetland testen Zellen für die energieautarke Abwasserreinigung in Regionen ohne öffentliches Stromnetz. Immerhin enthalten Abwässer vier- bis fünfmal mehr in organischem Material gebundene Energie als für den Betrieb einer Kläranlage nötig ist. Wie diese am besten geerntet werden kann, testen auch Forscher der TU Clausthal in einem Pilotprojekt in einer Kläranlage im Harz-Ort Clausthal-Zellerfeld. Zwei Metallcontainer voller Brennstoffzellen reinigen hier 4000 Liter Abwasser täglich.

"Die Bakterien sind im Abwasser schon vorhanden und siedeln sich ganz automatisch auf den Elektroden an", sagt Uwe Schröder von der Technischen Universität Braunschweig, der ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Sein Team versucht dennoch, gezielt Bakterien-WGs zusammenzustellen, um die Stromernten zu steigern und verlässlicher zu machen. "Vielfalt ist dabei offenbar wichtig und dass die Biofilme möglichst dick sind", betont der Elektrochemiker. "Zurzeit haben wir typischerweise 500 bis 1000 Bakterienschichten auf einer Elektrode, die einen ungefähr ein Zehntel Millimeter dicken Biofilm bilden." Damit erreicht sein Team Ströme im Milliampere-Bereich pro Quadratzentimeter - zu wenig für einen energieautarken Betrieb der Anlage. Doch in einem fünfjährigen Folgeprojekt wollen die Forscher eine eigenständige, technisch ausgefeilte Kleinkläranlage aufbauen, die mehr Strom produziert als sie verbraucht.

Das Ziel: Aus Agrarabfällen Brennstoffe machen

Noch unklar ist, was sich im Detail in den Biofilmen an den Elektroden abspielt, und wie die Elektronen außerhalb der Bakterienzellen transportiert werden. Eine zentrale Rolle spielen offenbar die mehrere Mikrometer langen, nanometerdünnen Haare, die von der Zellmembran abstehen wie bei einer Kurzhaarfrisur. Diese Nanodrähte bestehen aus zu einer Art Kordel ineinander verschlungenen Aminosäuren und haben einen Mantel aus sogenannten Cytochromen, die wie der Blutfarbstoff Hämoglobin Eisen enthalten.

Wo und wie genau der Strom hier fließt, darüber streiten die Experten noch. "Das Thema ist einfach zu jung für abschließende Antworten. Noch vor 15 Jahren hat ja niemand gedacht, dass biologische Systeme überhaupt Elektronen über längere Strecken transportieren könnten", sagt Schröder. Mittlerweile sind Mikroben bekannt, die nicht nur Mikrometer-Distanzen überbrücken können. Im Jahr 2012 hatten Forscher der dänischen Aarhus University diese sogenannten Kabelbakterien entdeckt, die stromleitende Stapel aus rund 1000 elektroaktiven Bakterienzellen bilden - dünn wie Spinnenfäden und mehr als fünf Zentimeter lang. Allerdings lässt sich diese Spezies bisher wohl nicht im Labor kultivieren.

Immer wieder entdecken Forscher neue Gattungen - mittlerweile sind es mehr als 100

Sind die Mechanismen des bakteriellen Elektronentransports erst geklärt, würde dies auch Buz Barstow von der Cornell University im US-Bundesstaat New York nützen. Er plant, das Prinzip der mikrobiellen Brennstoffzelle umzukehren. Statt die Bakterien organische Substanzen abbauen zu lassen und dabei an den Elektroden Strom abzuzapfen, will sein Team die Mikroben mit Elektronen füttern, damit diese dann aus Agrarabfällen oder Kohlendioxid Brennstoffe, Kunststoffe oder Industriechemikalien aufbauen.

Die batterieähnlichen Zellen für eine solche "Elektrosynthese" könnten etwa mit Strom aus Solar- oder Windkraftanlagen gespeist werden. "So könnte künftig überschüssiger Solar- oder Windstrom in chemischen Verbindungen gespeichert werden", sagt Barstow. Bisher fehlten allerdings die passenden Bakterien dafür. Denn Arten, die sich gut vermehren lassen, können kein Kohlendioxid binden. Und solche, die das Treibhausgas einfangen können, sind sehr empfindlich und nur schwer zu handhaben. Mithilfe gentechnischer Eingriffe ins Erbgut wollen die Wissenschaftler nun beide Eigenschaften in einem Bakterium kombinieren.

Bisher kaum ergründet ist, wie Elektromikroben den globalen Kohlenstoffkreislauf beeinflussen und welche Rolle sie in der Erdgeschichte spielten. Theoretisch könnten sie schon in den Anfängen existiert haben, als es noch keine Atmosphäre gab. Schließlich findet man sie überall dort, wo Sauerstoff rar ist, in Pfützen, Seen und Ozeanen, in Mooren Sümpfen und im Boden. Auch die Häufigkeit der Elektromikroben spricht für einen bedeutenden Einfluss, obgleich sie lange als Exoten galten. "Wir kennen heute mehr als 100 verschiedene Gattungen, und das ist sicher nur die Spitze des Eisbergs", betont Schröder. Immer wieder werden neue Typen gefunden.

Vor einem Jahr beispielsweise berichteten Forscher der University of California in Berkeley im Journal Nature, dass auch Listerien, die zum Teil üble Lebensmittelvergiftungen verursachen, elektroaktiv sind, ebenso wie Laktobazillen in Joghurt, Käse oder Sauerkraut und sogar manche Darmbakterien. Was genau Letztere unter Strom setzen, ist allerdings noch nicht bekannt.

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