Energiegewinnung in Deutschland:Schmutziger Strom aus Kohle

Braunkohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen

Braunkohlekraftwerk in Nordrhein-Westfalen: Feinstaub und giftige Emissionen

(Foto: dpa)

Als hätte es nie eine Energiewende gegeben: Deutschland verbrennt wieder mehr Stein- und Braunkohle - und gefährdet damit die Klimaziele. Dabei braucht das Land diese Mehrproduktion gar nicht.

Ein Gastbeitrag von Eicke Weber

Die deutschen Beiträge zum Klimaschutz sind in ernster Gefahr. Nicht, weil Kernkraftwerke abgeschaltet wurden - ein bislang weitgehend unbemerktes Problem gefährdet den Klimaschutz: die verstärkte Stromgewinnung durch Kohlekraftwerke. So stieg im ersten Quartal 2013 verglichen mit dem Vorjahreszeitraum die Erzeugung von Strom aus der besonders umweltschädlichen Braunkohle um zwei Terawattstunden (TWh), um zwei Milliarden Kilowattstunden also. Aus Steinkohle wurden sogar fast sieben TWh mehr Strom gewonnen als im Vorjahresquartal. Dagegen ging der mit Sonne und Wind produzierte Strom wetterbedingt um ein TWh zurück.

Dabei braucht Deutschland gar nicht mehr Strom. Die Energie geht direkt in den Export. Bis Ende März exportierte das Land 16 TWh - im ganzen Vorjahr waren es 22 TWh. Der Preis an der Strombörse sank zur gleichen Zeit auf vier Cent pro Kilowattstunde, den tiefsten Stand seit acht Jahren.

In der Öffentlichkeit wird gern die rasch wachsende Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen, besonders aus Sonne und Wind, für den hohen Stromexport und die niedrigen Strompreise verantwortlich gemacht. In Wahrheit aber kompensierte bisher die Einspeisung aus Sonne und Wind nur jene Strommenge, die durch den Ausstieg aus der Kernenergie entfallen ist. 2012 erzeugte die Bundesrepublik im Vergleich zu 2011 acht TWh weniger Nuklearstrom - und neun TWh mehr Strom aus Wind, Sonne und Wasserkraft. Die zusätzlich produzierten 17 TWh Kohlestrom gingen schon 2012 komplett in den Export; denn der betrug 22 TWh.

Stromversorger müssten Kostensenkungen weitergeben

Ein sinkender Preis an der Strombörse - das klingt zunächst einmal gut: Es sinken dadurch die Kosten der stromintensiven Industrie, die einen wesentlichen Teil ihres Stroms über die Börse einkauft. Eigentlich sollte dies auch gut für den Haushaltsstrompreis sein, denn auch die Stromversorger können ihre langfristigen Kontrakte günstiger einkaufen. Sie müssten allerdings diese Kostensenkungen an die Kunden weitergeben. Der Rekordgewinn der RWE von neun Milliarden Euro 2012 erlaubt Zweifel, ob das der Fall ist.

Das Problem ist aber, dass die für die Energiewende benötigten flexiblen Gaskraftwerke durch die niedrigen Preise von Kohlestrom aus dem Markt gedrängt werden. Sonne und Wind erzeugen zeitlich fluktuierenden Strom - die Sonne scheint nun mal nicht nachts. Gaskraftwerke können das gut ausgleichen, da sie minutenschnell reagieren können. Als Blockheizkraftwerke erzeugen sie auch Wärme und haben den geringsten CO2-Ausstoß aller fossilen Kraftwerke. Steinkohlekraftwerke reagieren langsamer und werden hauptsächlich im Tag-Nacht-Rhythmus moduliert. Die umweltschädlichen Braunkohlekraftwerke sind schlecht regelbar: Sie arbeiten unter der Woche mit maximaler Leistung und werden nur an Wochenenden bei hoher Wind- oder Solareinspeisung gedrosselt.

Wenn aber die Tag und Nacht durchlaufenden Kohlekraftwerke mehr Strom erzeugen, sinken die Betriebsstunden der Gaskraftwerke. Wenn zu viel Strom im Netz ist, wird auch der Strom aus erneuerbaren Energien abgeregelt. Da hat es für die Betreiber keinen Sinn, ein Gaskraftwerk in Deutschland oder einem Nachbarland nur für wenige Betriebsstunden im Jahr bereitzuhalten.

Die Klimaziele sind in Gefahr

Die unerwartete Zunahme des Kohlestroms verhagelt zudem die Klimabilanz: 2012 sind die deutschen CO2-Emissionen erstmals seit 1990 wieder gestiegen. Die zunehmende Erzeugung von Kohlestrom zerstört die mühsam errungenen Fortschritte beim Klimaschutz; alles was durch bessere Energieeffizienz und erneuerbare Energien erreicht wurde. Zusätzlich wird unsere Gesundheit durch mehr Feinstaub und giftige Emissionen aus Kohlekraftwerken erheblich belastet.

Es gibt also allen Grund, Alarm zu schlagen: Die Energiewende und die gesteckten Klimaziele sind in Gefahr! Der Grund für den Anstieg des Kohlestroms sind die großen Profite aus der Verbrennung von Kohle. Der Gaspreis ist an den Ölpreis gekoppelt, und dieser ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Vor allem deshalb ist der Strom teurer geworden, noch bevor es überhaupt ein Energie-Einspeisungsgesetz (das Erneuerbare-Energien-Gesetz; Anm. d. Red.) gab, das jetzt allgemein für den Preisanstieg verantwortlich gemacht wird.

Der Kohlepreis ist dagegen weltweit vor allem durch den Ersatz der Kohle durch sogenanntes Schiefergas bei der Stromerzeugung in den USA leicht gefallen. Steigende Preise für Verbraucher bei sinkenden Einkaufspreisen bei der Kohle - das erhöht den Profit. Kein Wunder, dass die Stromversorger dieses Geschäft ausbauen.

Die Verbrennung von Kohle mit dem Ausstoß von gefährlichen Mengen von CO2 muss deshalb verteuert werden, um das Marktgleichgewicht wieder herzustellen. Nur dann lassen sich größere Umweltschäden durch die Kohle-Verbrennung vermeiden. Dafür gibt es zwei Lösungen: entweder eine einfache Steuer auf den Ausstoß von CO2, wie sie die skandinavischen Länder mit großem Erfolg eingeführt haben, oder den Zertifikatehandel.

Europaparlament lehnt Verknappung der Emissionszertifikate ab

Die Abschätzungen der Umweltschäden pro Tonne CO2 schwanken zwischen 40 und 100 Euro pro Tonne erzeugtem CO2. Dieser Bereich wäre sinnvoll für den Preis von Zertifikaten. Es wurden jedoch so viele Zertifikate - viele sogar kostenlos - verteilt, dass der Preis auf unter vier Euro pro Tonne fiel. Daher rentiert sich heute in Europa wieder die Verstromung von Kohle.

Das Europäische Parlament jedoch hat es am Dienstag abgelehnt, Emissionszertifikate für das Treibhausgas CO2 vom Markt zu nehmen. Durch dieses "Backloading" wäre der Preis für die nun knapper gewordenen Zertifikate wieder gestiegen, der Trend zur Erzeugung von Kohlestrom wäre gestoppt. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikate wären dem Energie- und Klimafonds der Bundesregierung zugutegekommen. Damit könnten wichtige Maßnahmen finanziert werden, die Förderung von Energiespeichern und Gebäudesanierungen etwa oder Energieforschung.

Es haben sich knapp die Gegner dieses Backloadings durchgesetzt, die vor allem aus konservativen und liberalen europäischen Parteien kommen, auch in Deutschland. Der Markt wird die Sache schon regeln, war ihr Argument - doch ohne die Zertifikate zu verknappen, ist der Handel mit ihnen tot und die Finanzierung wichtiger Programme für die Energiewende wird schwierig. Und weiterhin wird die Stromerzeugung aus Kohle die Umwelt belasten. So ist das Abstimmungsergebnis im Parlament eine Katastrophe für die Umwelt. Sie ist ein Votum dafür, dass die klimaschädliche und gesundheitsgefährdende Kohleverstromung weitergeht. Jetzt sollte man ernsthaft eine CO2-Steuer fordern.

Der Physik-Professor Eicke R. Weber, 63, leitet das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg.

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