Energie:Kraftbrühe

Kläranlage in Brandenburg

In Kläranlagen könnte demnächst Strom entstehen. Forscher testen die Technik jetzt in einer Pilotanlage.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Manche Bakterien reinigen Abwasser und produzieren dabei Strom. In einer Pilotanlage demonstrieren Ingenieure das Potenzial der Technik. Werden Kläranlagen künftig auch als Kraftwerke arbeiten?

Von Andrea Hoferichter

Eigentlich ist die Harz-Stadt Goslar vor allem für Fachwerkhäuser und die stattliche Kaiserpfalz bekannt, doch seit Kurzem sorgen auch zwei knallblaue Metallcontainer für überregionales Aufsehen. Sie stehen auf dem Gelände der Kläranlage und enthalten Biobrennstoffzellen, die kürzlich mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurden. Wie klassische Brennstoffzellen für das Haus oder Auto verwandeln sie chemische in elektrische Energie, nur dass hier Bakterien für die Metamorphose sorgen und der Brennstoff aus der Kanalisation kommt. Es handelt sich um ein Projekt mit Modellcharakter, eines mit einer glänzenden Vision: Im Endeffekt geht es darum, aus Fäkalien, nun ja, Gold zu machen, im übertragenen Sinne natürlich.

"Wir betreiben hier eine unseres Wissens weltweit einzigartige Anlage im halbtechnischen Maßstab, die zugleich Abwasser reinigt und Strom produziert", sagt Michael Sievers vom CUTEC-Forschungszentrum der Technischen Universität Clausthal in Clausthal-Zellerfeld. Der Strom könne zudem in eigens dafür ausgelegten Batterien gespeichert werden. Die Versuchsanlage reinigt circa 4000 Liter täglich. Zwar betrage ihr Wirkungsgrad zurzeit nur wenige Prozent, möglich seien aber zwölf Prozent und mehr, betont der Ingenieur.

Das Konzept bietet sich an, denn die Brühe aus den Abwasserkanälen ist eine wahre Kalorienbombe. Sie enthält vier bis fünf Mal so viel Energie, wie für den Betrieb einer Kläranlage nötig ist, vor allem in Form von kohlenstoffreichen organischen Substanzen. Die Bakterien in den Biobrennstoffzellen verdauen die gehaltvolle Kost und setzen dabei Elektronen frei, die über eine Elektrode abgesaugt und dann als Strom genutzt werden können.

Fast drei Jahre lang arbeiteten die Forscher um Sievers in einem staatlich geförderten Projekt am Aufbau der batterieähnlichen Zellen, an der Verschaltung und nicht zuletzt am Elektrodenmaterial. Unter anderem konnten sie gängige, mit Platin versetzte Elektroden durch grafitbeschichtete Edelstahlnetze ersetzen und so Ressourceneinsatz und Kosten senken.

Die Bakterien gibt es ohnehin frei Haus. "Sie sind schon im Abwasser vorhanden und lassen sich von ganz alleine auf der Elektrode nieder", sagt Sievers' Projektpartner Uwe Schröder von der Technischen Universität Braunschweig. Schließlich könnten die Mikroben hier ihre stoffwechselbedingten Elektronen loswerden.

Gleichwohl hat es sich als hilfreich erwiesen, die Zellspannung immer mal wieder zu verändern, um den Biofilm an der Elektrode leistungsfähig und die Vielfalt der Bakterien hoch zu halten. Was sich dabei genau abspielt, ist unbekannt. "Das Forschungsgebiet ist noch jung", betont Schröder. "Vor zehn Jahren kannten wir gerade mal zwei, drei Gattungen dieser spezialisierten Bakterien. Heute sind es über hundert, und selbst das ist sicher nicht das Ende der Fahnenstange." Auch die Zahl der Veröffentlichungen ist seit der Jahrtausendwende regelrecht explodiert, von einigen wenigen auf mehr als tausend Fachpublikationen in Jahr 2017.

Mit der gleichen Technik nutzt die Nasa Ausscheidungen von Astronauten als Energiequelle

Unter den Pionieren der Biobrennstoffzellenforschung ist die Nasa, die Ausscheidungen von Astronauten als Energiequelle im All nutzen will. Andere Forscher entwickeln Konzepte für die Abwässer von Brauereien oder Mastbetrieben. Schon vor elf Jahren machte eine kleine Pilotanlage beim australischen Bierbrauer Foster Schlagzeilen, doch das Projekt wurde aus wirtschaftlichen Gründen nicht fortgesetzt. "Auch unser Verfahren rechnet sich nicht allein durch die Stromproduktion", sagt Sievers. Wirtschaftlich werde es nur, weil bis zu 80 Prozent weniger Klärschlamm entstehe als mit gängigen Verfahren. Die Behandlung der schadstoffhaltigen Klärreste mache etwa die Hälfte der Betriebskosten einer Kläranlage aus.

"Der Charme der Biobrennstoffzellen ist vor allem ihre Effizienz", sagt Christian Schaum von der Universität der Bundeswehr München. Gleichwohl sei die Technologie noch in einem sehr frühen Stadium. Er favorisiert deshalb ein anderes, schon etabliertes Konzept zur Stromproduktion, das über einen kleinen Umweg funktioniert. Dabei werden Stoffe aus dem Klärschlamm von bestimmten Bakterien zu Methan und anderen brennbaren Biogasen umgesetzt, die dann bei Bedarf in Blockheizkraftwerken zur Wärme- und Stromproduktion genutzt werden können.

"Einige Kläranlagen in Deutschland decken so schon heute weit über die Hälfte ihres Stromverbrauchs", sagt Schaum. Füttere man die methanproduzierenden Bakterien zusätzlich, etwa mit Speiseresten oder Altfetten aus Restaurants, ließe sich auch der Gesamtenergiebedarf einer Kläranlage decken und bei Bedarf Strom ins öffentliche Netz einspeisen. So könnten kommunale Kläranlagen helfen, die schwankenden Erträge der Erneuerbaren zu puffern.

Um in Sachen Praxistauglichkeit aufzuschließen, will das Team um Sievers die Kapazität der Goslarer Biobrennstoffzellen-Anlage um das Zehn- bis Fünfzehnfache vergrößern und einen neuen Aufbau testen. "Zurzeit müssen wir die Zellen regelmäßig belüften, um Fäulnis zu verhindern, und das geht auf Kosten des Wirkungsgrads", erklärt Sievers. Helfen soll eine Gegenelektrode, die porös sei wie ein Schwamm und Sauerstoff regelrecht ansauge. Einen Industriepartner für die Fertigung gebe es schon.

Die Biobrennstoffzellen filtern gleichzeitig gefährliche Stoffe aus dem Abwasser

Außerdem wollen die Forscher mit den Biobrennstoffzellen künftig auch stickstoff- und phosphorhaltige Verbindungen aus dem Abwasser entfernen sowie schädliche Spurenstoffe wie Arzneimittel oder Haushaltschemikalien, die von konventionellen Kläranlagen oft nicht aufgehalten werden. Und Sievers hat noch mehr Ideen, will die Elektronenproduktion der Bakterien etwa nutzen, um Metalle aus Industrieabwässern und Sickerwässern des Bergbaus abzuscheiden. "Bioelektrochemische Zellen haben das Zeug zur Plattformtechnologie", sagt er. Dafür spreche auch, dass sein Team allein für dieses Projekt rund 30 Publikationen in Fachblättern platzieren konnte. "Das habe ich bisher noch bei keinem anderen Thema erlebt."

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