Süddeutsche Zeitung

Energie:Die Sonne aus dem Untergrund

  • Geowissenschaftler arbeiten daran, Wärmeenergie im Untergrund zu speichern, beispielsweise in alten Bergwerken.
  • Die Idee: Die Wärme soll im Sommer in die Speicher fließen, und im Winter Haushalte beheizen. So soll der Bedarf an fossilen Brennstoffen gesenkt werden.
  • Nun gibt es erste Pilotprojekte, etwa in Hamburg und Bochum.

Von Christopher Schrader

Wenn es nach Sebastian Bauer geht, scheint in Kiel die Sommersonne bald auch in den Winternächten. Der Physiker und Geowissenschaftler kann zwar nicht in die Himmelsmechanik eingreifen. Aber er kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Hitze des August auf den Dächern der Stadt eingefangen und in ihrem Untergrund gespeichert wird, um damit im Januar die Häuser zu heizen.

Solche Ideen dienen dem Kampf gegen den Klimawandel. "Die deutsche Energiewende konzentriert sich bislang auf Strom, dabei wird hierzulande etwa die Hälfte der Energie für Wärme aufgewandt", sagt Bauer, "und hier sind die Erneuerbaren mit einem Anteil von 13 Prozent noch nicht sehr weit gekommen."

Bauers Kollege Andreas Dahmke sieht im gemeinsamen Projekt sogar eine Voraussetzung für den Kohleausstieg: "Die großen Kohlekraftwerke versorgen oft auch Fernwärmenetze. Die angeschlossenen Wohnungen müssen auch geheizt werden, wenn die Meiler vom Netz gehen." 28 Prozent der Fernwärme stammen aus der Kohleverbrennung, rechnerisch versorgen die Kraftwerke damit 1,6 Millionen Haushalte in Deutschland.

Ein halbes Jahr später lassen sich bis zu 80 Prozent der Energie zurückgewinnen

Die beiden Geowissenschaftler wollen daher Energie im Untergrund speichern. Bisher werden meist Warmwassertanks im Gelände oder in Kellern gebaut, aber: "Der Platz für Speicher an der Oberfläche ist begrenzt, und sie kämen dort in Konkurrenz zu anderen Nutzungen", sagt Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck, der das Projekt der beiden Kieler Forscher unterstützt. Er hatte vor dem Jahreswechsel eine Konferenz zum Thema in Kiel eröffnet, bevor seine Kandidatur für den Parteivorsitz offiziell wurde.

Für den Blick in den Untergrund haben Bauer, Dahmke und viele ihrer Kollegen ein großes, durch die Bundesministerien für Forschung und Wirtschaft gefördertes Verbundprojekt namens Angus ("Auswirkungen der Nutzung des Geologischen Untergrundes als Speicher") gegründet, dessen erste Ergebnisse sie kürzlich vorstellten. "Inzwischen können wir recht gut vorhersagen, wie viel Platz wir unter der Erde brauchen, um in den Sommermonaten saisonale Speicher zu füllen und im Winter wieder zu leeren", sagt Bauer. Würde man alle geeigneten Dächer in Kiel nutzen, könnte die Landeshauptstadt immerhin ein Fünftel ihres Wärmebedarfs daraus beziehen. Zum Speichern genüge Bauer zufolge eine Schicht von weniger als einem Zehntel innerhalb der ersten 200 Meter des Untergrunds.

Grundsätzlich kommen für das Speichern von Wärme zwei Methoden infrage. Die erste nutzt Erdsonden, die rund 100 Meter tief im Untergrund versenkt werden. In großen Neubauten können sie in den Fundamenten verlaufen. In einem geschlossenen Kreislauf fließt in den Sonden warmes Wasser nach unten, gibt dort seine Energie an Beton, Felsen oder Erdreich ab und kehrt abgekühlt zur Oberfläche zurück. Ein halbes Jahr später lassen sich bis zu 80 Prozent dieser Energie wieder zurückgewinnen, wenn man den Prozess umkehrt, zeigen Modellrechnungen. Sie sollen demnächst mit Experimenten in einer metertiefen Sandkiste überprüft werden. Elektrische Wärmepumpen heben die Temperaturen falls notwendig auf Werte, die eine Heizungs- und Warmwasseranlage braucht.

Die zweite Methode erfordert Grundwasserbrunnen, die etliche 100 Meter tief reichen können. Durch sie würde kühles Wasser aus einer Grundwasserschicht, einem sogenannten Aquifer, nach oben gepumpt, aufgeheizt und dann zurückgegeben, um die Schicht zu erwärmen. Die Quote der Energie, die man später zurückerhält, wäre wohl etwas geringer als bei den Erdsonden; dafür lägen Speicherraten und -kapazität pro Bohrung deutlich höher.

Eine solche Anlage hat die Beratungsfirma Consulaqua im vergangenen Jahr im Hamburger Stadtteil Waltershof zwischen zwei Hafenbecken getestet - dort speicherten die Betreiber Abwärme einer Müllverbrennungs- und einer Kläranlage sowie von umliegenden Industriebetrieben ein, darunter einem Walzstahl-Werk. 20 Kubikmeter Wasser mit 85 Grad Celsius flossen pro Stunde durch die beiden Bohrungen in 200 Meter Tiefe. Spätfolgen musste niemand befürchten. "Wir sind eine Tochterfirma der Hamburger Wasserwerke", sagt der zuständige Ingenieur von Consulaqua, Kai-Justin Radmann. "Wir konnten uns also mit deren Daten gezielt eine versalzene Wasserader aussuchen, die auf keinen Fall mehr als Trinkwasser dienen soll."

Ob das Pilotprojekt am Dradenau-Hafenbecken demnächst für den realen Betrieb zum Wärmespeicher ausgebaut wird, muss sich noch entscheiden. Er würde die 15-fachen Wasser- und Wärmemengen bewegen und könnte nach Hochrechnungen 7000 bis 8000 Wohnungen versorgen. Eine Leitung unter der Elbe hindurch in die bewohnten Viertel nördlich des Flusses wird schon geplant. Das Ziel ist, bald das Kohlekraftwerk Wedel abschalten und dennoch das angeschlossene Fernwärmenetz bedienen zu können.

Die Forscher fürchten, dass die Technik von der Öffentlichkeit reflexhaft abgelehnt wird

Auch in Bochum erproben Wissenschaftler das Speichern von Wärme, und zwar in alten Bergwerken. Die Zeche Prosper Haniel in Bottrop ist die letzte aktive Förderstätte für Steinkohle in Deutschland, sie soll im Lauf dieses Jahres geschlossen werden. Zuvor erkunden Forscher um Georg Bussmann von der Ruhr-Universität Bochum, ob sie eine Anlage für das Speichern von Wärme im Gestein einbauen können. Die Schächte, Stollen und Strecken reichen bis in 1200 Meter Tiefe. Als Wärmequellen würden Solarthermie-Anlagen und Blockheizkraftwerke dienen, die das im Bergwerk noch immer entstehende Grubengas verfeuern.

In den Niederlanden schließlich ist der Markt für Wärmespeicher in Wasseradern - dort "Bodemenergie" genannt - bereits etabliert, sagt Bas Godschalk von der Planungsfirma IF Technology in Arnhem. 2500 Projekte gebe es dort, eines der größten Systeme hat die Technische Universität Eindhoven installiert. 32 Brunnen dienen hier der Versorgung mit Kälte und Wärme und der saisonalen Speicherung. Die Hochschule spart damit nach eigenen Angaben jährlich zwei Millionen Kilowattstunden Strom und 300 000 Kubikmeter Gas. Inzwischen, so Godschalk, gebe es in manchen Städten bei Bauprojekten bereits eine Nutzungsplanung für die Speichertechnik. Der Untergrund wird in Kalt- und Warmzonen aufgeteilt, damit niemand dort Wärme einspeichert, wo sein Nachbar niedrige Temperaturen für die Kühlung von Büroräumen sucht.

Eine solche zentrale Steuerung schwebt auch den Wissenschaftlern in Kiel vor. "Ein aktives Wärmemanagement unter der Stadt sollte zum Beispiel von den Stadtwerken betrieben werden", sagt Andreas Dahmke. "Grundstückgrenzen zu beachten ergibt wenig Sinn, und es kann auch nicht nach dem Prinzip gehen, wer zuerst kommt, mahlt zuerst." Die Forscher schlagen vor, demnächst zehn bis zwanzig Pilotprojekte einzurichten.

Im Angus-Verbund haben die Wissenschaftler auch mögliche negative Folgen der Wärmespeicherung bedacht. "Als Wissenschaftler fallen mir natürlich von hier bis zur Tür des Raumes zehn Dinge ein, die eintreten könnten", sagt Sebastian Bauer. "Aber unsere bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die verursachten Veränderungen überwiegend reversibel sind und beherrschbar bleiben." So könnte die Wärme in geringem Umfang Mineralien lösen, Schwermetalle mobilisieren oder organische Verbindungen freisetzen, doch davon gehe für Anwohner keine Gefahr aus - womöglich helfen die höheren Temperaturen in manchen Fällen sogar bei der Sanierung verseuchter Böden. Erste Analysen zeigen zudem, dass sich keine schädlichen Bakterien wie Legionellen im erwärmten Untergrund ausbreiten.

Dennoch fürchten die Forscher öffentlichen Widerstand. Schließlich haben in vergangenen Jahren viele Menschen gegen die CCS-Technik protestiert, bei der Kohlendioxid aus Kraftwerks-Abgasen im Untergrund gepresst werden sollte. Die neuen Anlagen haben zwar ein komplett anderes Ziel und Prinzip, aber gegen Bohrprojekte regt sich erfahrungsgemäß immer Widerstand.

Das räumt auch der Grüne Robert Habeck ein, dessen Partei CCS ablehnte. "Hier geht es jedoch um die Fortsetzung der Energiewende", wirbt er, "nicht um die Fortsetzung des alten Systems."

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SZ vom 01.02.2018
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