Emotionen bei Komapatientin:Ein Flackern im Mandelkern

Forscher haben Anzeichen für Gefühle bei einer Komapatientin entdeckt: Das Gehirn der 38-Jährigen reagiert auf bestimmte Reize genauso wie das eines gesunden Menschen.

Tina Baier

Die Frau galt als hoffnungsloser Fall. Vor drei Jahren war die damals 38-Jährige eine Treppe hinuntergestürzt und hatte sich dabei schwer am Kopf verletzt. Die Ärzte diagnostizierten starke Blutungen und mussten Teile des Gehirns entfernen, um das Leben ihrer Patientin zu retten. Doch die Frau schlug die Augen nie wieder auf.

Komastation

Können Komapatienten Emotionen empfinden? Mit letzter Sicherheit kann man es nicht sagen.

(Foto: Foto: ddp)

Bei den täglichen Besuchen ihrer beiden kleinen Töchter zeigte sie keine Reaktion, schmerzhafte Untersuchungen ertrug sie regungslos; ihre Pupillen reagierten nicht einmal mehr auf Licht. Das einzige, was darauf schließen ließ, dass noch Leben in ihr steckte, waren gelegentliche Zuckungen des linken Arms. Trotzdem waren ihre Kinder sicher: Sie kann uns verstehen.

Wissenschaftler um Simon Eickhoff vom Forschungszentrum Jülich haben jetzt die Vermutung der Töchter offenbar bestätigt. Mit Hilfe der sogenannten funktionalen Magnetresonanztomographie (fMRT), einer Methode, die aktive Bereiche im Gehirn in Echtzeit sichtbar macht, konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das Gehirn der Patientin auf verschiedene Reize so reagiert wie das Gehirn eines gesunden Menschen.

"Das Sprachzentrum reagierte ganz normal"

Zunächst spielten die Forscher der Frau einzelne Wörter wie "Ananas", "Banane", "laufen" und "springen" vor und maßen gleichzeitig die Aktivität im Gehirn. "Das Sprachzentrum reagierte ganz normal", sagt Simon Eickhoff. Auch die Reaktion auf Lichtreize und auf das Berühren des rechten und des linken Arms mit einem Schwamm unterschied sich nicht von der eines unversehrten Menschen.

Zwei Monate später wiederholten die Jülicher Forscher das Experiment - mit dem gleichen Ergebnis. Dann gingen sie einen Schritt weiter: Sie spielten der Frau Tonaufnahmen vor, in denen ihre Kinder sagten: "Hallo Mama", und dann etwas erzählten. Plötzlich zeigte das Gehirn nicht nur Aktivität in der Sprachregion sondern auch im so genannten Mandelkern, der als zentraler Bereich für die Verarbeitung von Gefühlen gilt. Dasselbe geschah, als zwei Freundinnen die Patientin direkt ansprachen.

Sagten die Kinder neutrale Worte, war die Reaktion im Gefühlszentrum schwächer. Überhaupt keine Reaktion war dort messbar, wenn eine Medizinstudentin der Patientin neutrale Worte vorlas. "Diese Ergebnisse bedeuten, dass das Gehirn Emotionen verarbeitet", sagt Simon Eickhoff. "Wir können daraus nicht mit absoluter Sicherheit schließen, dass die Frau auch tatsächlich Emotionen empfindet. Doch dieser Schluss liegt sehr nahe."

Ein Flackern im Mandelkern

Ein ähnliches Experiment wurde vor einiger Zeit von einer Forschergruppe aus Cambridge veröffentlicht. Die Neurologen maßen die Gehirnaktivität eines Komapatienten, während ihm mündlich suggeriert wurde, er gehe durch sein Haus. Dabei zeigte das Gehirn Aktivität in Bereichen, die mit Bewegung zu tun haben. Allerdings war dieser Patient weniger tief in ein Koma versunken als die Jülicher Patientin; er schlug beispielsweise von Zeit zu Zeit die Augen auf.

Der Zustand der Patientin, die von Eickhoff untersucht wurde, ist eher vergleichbar mit dem der amerikanischen Komapatientin Terry Schiavo, die vor gut drei Jahren eine heftige öffentliche Debatte auslöste, als ihre künstliche Ernährung abgestellt wurde. "Unserer Patientin geht es sogar noch etwas schlechter als Schiavo damals", sagt Eickhoff. Doch wie Schiavo kann auch die Frau in Jülich selbständig atmen, muss aber künstlich ernährt werden.

"Bei den untersuchten Patienten handelt es sich um Einzelfälle"

Zumindest in Deutschland haben die überraschenden Ergebnisse politisch zunächst keine Konsequenzen. Komapatienten müssen, unabhängig vom Schweregrad ihrer Bewusstlosigkeit, am Leben erhalten werden. Die lebenserhaltenden Geräte werden erst abgestellt, wenn der Hirntod festgestellt wird. Nach einer Stellungnahme der Bundesärztekammer ist der Hirntod definiert als "Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten." Das ist auch der Zeitpunkt, an dem Organe entnommen werden dürfen, falls ein Spenderausweis vorliegt.

"Bei den untersuchten Patienten handelt es sich um Einzelfälle", sagt Friedemann Müller, Chefarzt in der Neurologischen Klinik in Bad Aibling. Der Rückschluss, wonach das Gehirn bei allen Komapatienten noch so gut funktioniert, sei nicht zulässig. Allerdings sei es in den meisten Fällen so, dass die Angehörigen den Eindruck haben, der Mensch im Koma verstehe viel mehr, als die Mediziner rein objektiv feststellen.

"Die Ergebnisse aus Jülich sollten uns im Umgang mit solchen Patienten noch vorsichtiger machen", sagt Müller. Auch bei Menschen, die schon jahrelang im Koma liegen und keinerlei Reaktionen mehr zeigen, könne man spätestens seit diesen Ergebnissen nicht mehr davon ausgehen, dass sie nicht mitbekommen, was um sie herum passiert. Auf keinen Fall dürfe man sich in ihrer Gegenwart über sie unterhalten. Selbst kleine Eingriffe wie Waschen oder Blutabnehmen müssten erklärt werden. "Das Wissen darum, was doch noch alles erhalten sein könnte, macht im Umgang mit diesen Patienten sehr viel aus", sagt Simon Eickhoff. Im Prinzip müsse man jetzt den Begriff "Koma" neu definieren.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: