Emissionen:Die törichte Rechnung des Abgasskandals

Volkswagen - CO2

1200 vorzeitige Todesfälle könnten zu hohe Abgaswerte aus Dieselmotoren nach Berechnung des MIT auslösen.

(Foto: dpa)

Amerikanische Forscher haben genau ausgerechnet, wie viele Menschen durch den Dieselskandal sterben. Diese Zahlenspiele lenken vom Wesentlichen ab.

Kommentar von Hanno Charisius

Eintausendzweihundert, das soll die Anzahl der Menschen sein, die wegen des Dieselskandals in Europa frühzeitig sterben werden. Eine Forschergruppe des Massachusetts Institute of Technology hat diesen Wert ermittelt und die Berechnungen im Fachblatt Environmental Research Letters veröffentlicht. In das komplexe Rechenmodell flossen dabei nur die überschlagenen Stickoxid-Emissionen der 2,6 Millionen zwischen 2008 und 2015 in Deutschland verkauften VW-Diesel ein.

Allein die auf deutschen Straßen ausgestoßenen Schadstoffe, so rechnen die amerikanischen Umwelt- und Atmosphärenforscher vor, würden in Deutschland 500 Menschen töten und jenseits der Grenzen in Polen weitere 160, 84 in Frankreich. Die Liste geht mit tödlicher Präzision weiter: 72 in Tschechien, 55 in Italien, 47 in Österreich, in Rumänien sollen es 27 sein. Werde die deutsche Dieselflotte nicht bis Ende dieses Jahres nachgerüstet, sodass die Fahrzeuge die Grenzwerte einhalten, werde die Zahl der Toten auf 2600 steigen, 29 000 Lebensjahre würden ausgelöscht.

Die Forscher geben in ihrer Studie selbst an, dass ihre Ergebnisse auf zum Teil sehr wackeligen Variablen und zahlreichen Unbekannten gründen. Und dennoch gaukeln sie mit ihren Mittelwerten Genauigkeit vor, die es so nicht gibt. Schaut man sich die statistische Analyse genauer an, bleibt von der vermeintlichen Präzision nicht mehr viel übrig. In Deutschland etwa könnten es auch nur 50 Tote sein, oder sogar 1200. Wozu also solche Zahlenspiele?

Die Kritik an der Forscherarbeit soll nicht relativieren, was die Autobauer getan haben. Auch ist es ein fortwährender Skandal, dass die betroffenen Konzerne von der Politik noch immer zaghaft angefasst werden. Ohne Frage sind Stickoxide schädlich und indiskutabel ist, was die Autobauer - innerhalb der von der Politik ohnehin gewährten großen Spielräume - getan haben. Um das einzusehen, braucht es keine halbgare Kalkulation des vielleicht entstandenen menschlichen Leids, das mit Sicherheit von allen möglichen Interessengruppen ruckzuck instrumentalisiert wird. Und natürlich müssen die Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Sie müssen verlässliche Lösungen anbieten, um den Schadstoffausstoß der Fahrzeuge zu begrenzen und sie müssen haften, wenn diese Lösungen vielleicht die Lebensdauer der Autos mindern.

Aber wer ernsthaft Menschenleben retten will, der weiß ohnedies, was zu tun ist. Der setzt endlich Tempolimits auf den Autobahnen durch, zwingt Autohersteller, sparsamere Autos zu bauen, entwickelt funktionierende Konzepte gegen Staus - vor allem in Städten - und besteuert Treibstoffe so, dass auch die Fahrer solcher Gefährte überlegen, ob es wirklich notwendig ist, mit dem SUV zum Supermarkt zu fahren. Das wäre dann zudem noch gut für die Umwelt.

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