Physik:Die Entdeckung des Elektromagnetismus

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Heute weiß jedes Schulkind um die magnetische Wirkung elektrischen Stroms - vor zwei Jahrhunderten war seine Entdeckung eine Pionierleistung. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Mithilfe einer Kompassnadel erkannte Hans Christian Ørsted vor 200 Jahren die magnetische Wirkung elektrischen Stroms - und prägte so die Wissenschaftsgeschichte.

Von Johan Schloemann

Es wackelte was. Der Physikprofessor und Naturforscher Hans Christian Ørsted, der sich auch als Philosoph und Dichter verstand, stand in seinem Hörsaal an der Universität Kopenhagen und schickte Strom durch einen Platindraht, unter dem parallel eine Kompassnadel stand. Und siehe da, die Nadel schlug zur Seite aus. Je stärker der Strom, desto stärker der Ausschlag.

Damit war erwiesen, was heute jedes Kind in der Schule oder in der "Sendung mit der Maus" lernt: Elektrischer Strom hat eine magnetische Wirkung. Achtzehn Jahre zuvor hatte zwar der Italiener Gian Domenico Romagnosi schon ähnliche Effekte beobachtet, aber er hatte die entscheidende Bedeutung des geschlossenen Stromkreises offenbar nicht erfasst und blieb unbeachtet. Ørsted hingegen publizierte am 21. Juli 1820, vor nun 200 Jahren, eine vier Seiten lange Abhandlung über seine Entdeckung in lateinischer Sprache, "Experimenta circa effectum conflictus electrici in acum magneticam".

Über die Verbindung von Elektrizität und Magnetismus war zuvor schon spekuliert worden

Über die Verbindung von Elektrizität und Magnetismus - eine wichtige Voraussetzung für die gesamte moderne Physik und die Elektrotechnik - war vorher schon spekuliert worden. Manche Forscher taten sie jedoch als schwärmerische Idee der romantischen Naturphilosophie ab. Deshalb wurde sein Experiment mit dem Magnetfeld, das er als "elektrischen Wechselkampf" bezeichnete, bald nach der Veröffentlichung von Kennern in ganz Europa wahrgenommen.

Johann Wolfgang von Goethe hielt in seinen "Tag- und Jahresheften" fest, dass der vermutete Zusammenhang der Naturkräfte noch unsicher gewesen war, "als auf einmal in der Entdeckung des Bezugs des Galvanismus auf die Magnetnadel, durch Prof. Oersted, sich uns ein beinahe blendendes Licht auftat". Zwei Jahre später empfing Goethe den Dänen voller Respekt und ließ seine Experimente am Weimarer Hof nachvollziehen. André Marie Ampère in Paris war zunächst skeptisch gegenüber den Meldungen aus Kopenhagen, ließ sich aber durch eine Replikation des Versuchs überzeugen. Michael Faraday in London zeigte sich beeindruckt. Elf Jahre später entdeckte Faraday die elektromagnetische Induktion, also grob gesagt die umgekehrte Richtung, dass sich durch die Bewegung eines Magnetfelds Strom erzeugen lässt.

All diese frühen Forschungen des 19. Jahrhunderts zum Elektromagnetismus - sie waren ein Gemeinschaftswerk, aber Hans Christian Ørsteds Nadel war dabei eine enorme Pionierleistung - kulminierten dann in der Theorie der klassischen Elektrodynamik des Schotten James Clerk Maxwell; an seinen Gleichungen (1861 bis 1864) hängen epochale Innovationen wie Stromerzeugung, Antriebe, optische Erfindungen, Telegrafie, Mobilfunk und die weitere physikalische Forschung.

Wie sehr aber vor zweihundert Jahren noch nicht die Spezialisierung, sondern eine ganzheitliche Weltsicht die Neugier der Naturforschung antrieb, das sieht man daran, dass Hans Christian Ørsted die Phänomene nicht vorzugsweise mit mathematischen Formeln beschrieb, sondern mit einer eher poetisch-philosophischen Sprache.

Zwar hatte er als Sohn eines Apothekers in jungen Jahren alle Grundlagen der damaligen Chemie gelernt, aber schon im Alter von 22 Jahren wurde er 1799 in Kopenhagen mit einer Arbeit über Immanuel Kant zum Doktor der Philosophie promoviert. Auf einer Deutschlandreise hörte er dann auch Vorlesungen von Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in Berlin, in München traf er sich mit dem Ingenieur, Philosophen und Sozialreformer Franz von Baader. In engem Austausch stand Ørsted mit Johann Wilhelm Ritter in Jena - auch er war Philosoph und Physiker, Entdecker der UV-Strahlung und Pionier der Elektrochemie.

Auf Ørsted geht auch der Begriff des "Gedankenexperiments" zurück

Solche internationalen Netzwerke bestärkten Ørsted in seiner Grundidee: einer Art wissenschaftlichem Pantheismus, einer Wechselwirkung von Geist und Natur. "Durch die ganze Natur entdecken wir eine Wirksamkeit, die keine Ruhe kennt", schrieb er. 1817 bekam er den ordentlichen Lehrstuhl für Physik in Kopenhagen, 1829 wurde er Gründungsdirektor der "Polytekniske Læreanstalt", des Vorläufers der heutigen Technischen Universität Dänemarks (DTU). Ørsted war im Jahr 1825 auch der erste, der (wenn auch noch unreines) Aluminium herstellte - und der Schöpfer des Begriffs "Gedankenexperiment".

Als Vielwisser, der sich auch mit Linguistik und Poesie beschäftigte, wurde Ørsted eine der überragenden Figuren des sogenannten Goldenen Zeitalters der dänischen Kultur bis zur Jahrhundertmitte, er starb 1851. Dafür steht auch, dass er dem berühmten Märchendichter Hans Christian Andersen ein enger Freund und Mentor war. Andersen, 28 Jahre jünger, nannte Ørsted "den großen Hans Christian" Dänemarks und sich selbst den kleinen. Andersens Märchen sind von Ørsteds Impuls beeinflusst, die Wirklichkeit als Wunder zu sehen; und etwa sein Mikroskopmärchen "Der Wassertropfen" ist stark von der beginnenden naturwissenschaftlichen Revolution seiner Zeit bestimmt.

Dänemark ehrt Hans Christian Ørsted zum Jubiläum seiner Entdeckung vor 200 Jahren: In Kopenhagen ist seit einigen Tagen eine Sonderausstellung zu sehen, darin auch die Originalgeräte seines Experiments. In seiner Geburtsstadt Rudkøbing auf der Insel Langeland wird am Dienstag feierlich ein Kranz niedergelegt. Und "Ørsted" heißt heute passenderweise auch ein großes dänisches Energieunternehmen: Es ist der Weltmarktführer in Entwicklung und Betrieb von Offshore-Windkraftanlagen.

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