Eisberg A68:Der gigantische Eisberg ist ein Warnsignal an die ganze Welt

Eisberg A68: Ist der gigantische Eisberg nur eine Laune der Natur?

Ist der gigantische Eisberg nur eine Laune der Natur?

(Foto: AP)

Vielleicht ist der abgebrochene Eisberg nur eine Laune der Natur - vielleicht aber auch nicht. Das sollten diejenigen bedenken, die Klimaschutz noch immer für verzichtbar halten.

Kommentar von Marlene Weiß

Normal - das ist ein dehnbares Wort. Doch vermutlich ist es irgendwie normal, wenn am Rande der Antarktis ein Eisberg abbricht, der dreimal so groß ist wie Teneriffa, und hoch wie ein Wolkenkratzer. Eisberge entstehen dort ständig, das ist ein natürlicher Prozess.

Ein Eisblock bricht ab, Gletscher lassen neues Eis von hinten nachwachsen, so geht das seit Jahrmillionen. Dass auch der Klimawandel etwas mit dem Ereignis zu tun hat, ist möglich, aber längst nicht sicher. Noch verstehen Wissenschaftler viel zu wenig davon, wie die Prozesse im Eis ablaufen.

In nicht allzu ferner Zukunft könnten Dinge geschehen, die an Hollywood-Schocker erinnern

Trotzdem zeigt der neue Rieseneisberg, der am Mittwoch auf Satellitenbildern zu erkennen war, dass selbst das Normale in der Antarktis die menschliche Vorstellungskraft sprengt - solche Ausmaße kann sich niemand vergegenwärtigen. Wie sieht es dann erst mit all dem aus, was auf dem Kontinent erwiesenermaßen gar nicht mehr normal ist? Oder mit dem, was noch droht, wenn der Klimaschutz weiter so schlecht vorankommt? Dann könnten in nicht allzu ferner Zukunft Dinge geschehen, die bisher nur in Hollywood-Schocker zu sehen sind.

Ob man sie sich vorstellen kann oder nicht. Teile der Westantarktis haben sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits um rund zwei Grad Celsius erwärmt, das ist etwa doppelt so viel wie das globale Mittel. Auch das Meerwasser ist wärmer geworden - fatal für die Stabilität des Festland-Eises, dessen Sockel oft unterhalb der Meeresoberfläche liegt. Gletscher ziehen sich bereits zurück, auf Inseln am Rande des kalten Kontinents breiten sich Moose aus. Das ewige Eis am Südpol wirkt plötzlich gar nicht mehr so ewig.

Die milderen Temperaturen können auch Eisberge abbrechen lassen. Das war in den Jahren 1995 und 2002 der Fall, als die Eisplatten nördlich von der jetzigen Bruchstelle auf der antarktischen Halbinsel in Rekordzeit zerbröselten; Schmelzwassertümpel hatten die Sache vorangetrieben. Diesmal war jedoch kaum Schmelzwasser zu sehen. Vielleicht wäre der Eisberg auch ohne Klimawandel abgebrochen; man weiß es nicht.

Für den Meeresspiegel hat es kaum Konsequenzen: Schelfeis schwimmt auf dem Meer, ob es abbricht oder schmilzt, ändert nichts am Wasserstand. Erst wenn noch der Rest der betroffenen Eisplatte absplittert, wie manche Forscher befürchten, dürfte sich der Abfluss der Gletscher beschleunigen, weil eine Barriere wegfällt. Die Gletscher in der Region sind indes so klein, dass ihr Schmelzen das Wasser nur um einen Zentimeter steigen lassen würde.

Das gilt jedoch nicht für die Eismassen, die auf dem restlichen Kontinent ruhen. Sie könnten den Meeresspiegel um viele Meter anheben. Und man kann nicht mehr ausschließen, dass die Antarktis bald spürbar zu schmelzen beginnt. Vor wenigen Jahren rechnete der Weltklimarat IPCC bis zum Ende des Jahrhunderts mit einem Meeresspiegelanstieg von höchstens 82 Zentimetern. Die Prognose ist schon überholt: Neuere Analysen zeigen, dass durchaus auch mehrere Meter möglich sind, wenn das Schlimmste eintritt und die Antarktis viel schneller taut als gedacht.

Heute geborene Kinder könnten dann den Anfang vom Untergang dicht bevölkerter Küstenregionen erleben. Die Tage von Städten wie Shanghai, Mumbai oder New Orleans wären gezählt. Es muss nicht so kommen, aber möglich ist es. Manche Forscher meinen sogar, dass Teile des riesigen westantarktischen Eisschilds bereits nicht mehr zu retten sind - sie werden unweigerlich früher oder später ins Meer abfließen.

Vielleicht ist der abgebrochene Eisberg nur eine Laune der Natur. Aber er lässt erahnen, wie gigantisch die Eismassen der Antarktis sind, und wie verletzlich. Das sollten diejenigen bedenken, die strikten Klimaschutz noch für verzichtbar halten.

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