Wissenschaftsgeschichte:Die Sonnenfinsternis, die Einsteins Ruhm begründete

Total solar eclipse, 29 May 1919.

Die totale Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 bot Astronomen die Chance, Albert Einsteins Ideen experimentell zu überprüfen.

(Foto: SZ Photo)
  • Am 29. Mai 1919 wurde Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie anhand einer Sonnenfinsternis erstmals experimentell bestätigt.
  • Laut Einsteins Gleichungen lenkt eine große Masse wie die Sonne einen Lichtstrahl geringfügig ab. Dies lässt sich aber nur beobachten, wenn die Sonne verdunkelt ist und die Sterne dahinter sichtbar.
  • Zwei Expeditionen machten sich vor hundert Jahren auf, den Effekt zu messen: Der Astronom Arthur Stanley Eddington reiste auf die afrikanische Insel Principe, eine andere Gruppe nach Brasilien.

Von Patrick Illinger

Wo Raum und Zeit verbogen sind, machen auch Lichtstrahlen eine Kurve. Das war - sehr vereinfacht - eine der erstaunlichen Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Albert Einstein im Jahr 1916 vollendet hatte. Einen solchermaßen gekrümmten Lichtstrahl in der Natur zu entdecken, war daher die entscheidende Bestätigung für Einsteins kompliziertes Formelwerk, das die Gravitationslehre Isaac Newtons ablösen sollte.

Alles, was man für den experimentellen Beweis brauchte, war eine große Masse, die gemäß Einsteins Theorie eine Delle in der Raumzeit erzeugt, sowie einen Lichtstrahl, der sich von dieser Delle verbiegen ließ. Zeitgenössische Astronomen hatten hierfür schnell einen geeigneten Himmelskörper im Sinn: die Sonne.

Sollte die Masse der Sonne die Raumzeit verbiegen, müsste ein knapp vorbeifliegender Lichtstrahl eine leichte Kurve machen. Die Ablenkung wäre gering, nur knapp 1,8 Bogensekunden, also ein Zweitausendstel Grad, was der Breite einer Euro-Münze entspricht, die man aus mehreren Kilometern Abstand sieht. Die von Einstein erwartete Verschiebung wäre aber immerhin doppelt so groß wie die aus Newtons klassischen Gesetzen abgeleitete Lichtkrümmung, die bereits im 19. Jahrhundert berechnet worden war.

Von der Erde aus betrachtet müsste es so aussehen, als rückten die Sterne am Himmel an eine andere Stelle, wenn die Sonnenscheibe in ihrer Nähe steht. Anders als die erst 100 Jahre später gemessenen Gravitationswellen galten die von der Sonnenmasse verschobenen Sterne mit den Messinstrumenten der damaligen Zeit als auffindbar. Das größere Problem war: Bei gleißendem Sonnenlicht sind keine Sterne zu sehen.

Schließlich wurden gleich zwei Expeditionen finanziert, eine nach Brasilien, eine nach Afrika

Doch am 29. Mai 1919 bot sich eine günstige Gelegenheit. Eine Sonnenfinsternis war vorhergesagt, deren Schatten von Südamerika nach Westafrika ziehen würde. Wenn der Mond die Sonne verdunkelt, so hofften die Astronomen, müsste man die Sterne direkt daneben fotografieren und feststellen können, ob sie ihre Positionen ändern.

Die Hoffnung, diesen Effekt zu finden, hatte bereits 1912 eine Expedition nach Argentinien gelockt, die bei schlechtem Wetter scheiterte. Zwei Jahre später waren deutsche Astronomen mit gleicher Absicht nach Russland gereist, um im August 1914 von der Krim eine Sonnenfinsternis aufzuzeichnen. Doch mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs gerieten einige der Forscher in Gefangenschaft. Für Albert Einstein waren diese Fehlschläge ein enormes Glück. Seine Formeln waren vor 1915 noch nicht ausgereift. Nicht auszudenken, wenn die Messungen der Sternverschiebungen seinen provisorischen Berechnungen widersprochen hätten.

Erst 1919 unternahm der britische Astronom Arthur Stanley Eddington einen weiteren Versuch, die Sterne während einer Sonnenfinsternis aufzuzeichnen. 1916 hatte Eddington von dem niederländischen Physiker Willem De Sitter Abschriften von Einsteins Formeln zugeschickt bekommen. Eddington war beeindruckt von der Theorie des deutschen Kollegen, mit dem er in Kriegszeiten nicht korrespondieren konnte. Anfang 1917 schrieb er einen Bericht für die britische Royal Society, in dem er für eine Expedition zur Sonnenfinsternis von 1919 warb. Nicht nur würde die Sonne vom Mond abgedeckt sein, die verfinsterte Sonne würde an einer Gruppe besonders auffälliger Sterne vorüberziehen, den Hyaden. Es wurde entschieden, gleich zwei Expeditionen zu finanzieren, eine nach Brasilien, die andere, angeführt von Eddington, auf die Insel Principe im westafrikanischen Golf von Guinea.

Doch gab es eine Hürde: Der erst 34 Jahre alte Arthur Eddington wurde zum Kriegsdienst einberufen. Seine Weigerung aus Gewissensgründen (er war Quäker) scheiterte. Erst als namhafte Wissenschaftler für ihn sprachen, wurde die Einberufung verschoben. Doch ließen sich astronomische Instrumente erst nach dem Kriegsende von 1918 beschaffen. Im Februar 1919 brach die Expedition schließlich unter großer Hektik auf.

"Das wichtigste Ergebnis der Gravitationsphysik seit Newton!

Telescope used to observe a total solar eclipse, Sobral, Brazil, 1919.

Mit diesem Teleskop beobachteten Astronomen in Brasilien die Sonnenfinsternis vom Mai 1919.

(Foto: SZ Photo)

Im Gepäck beider Forschergruppen waren Fernrohre mit Viertelmeter-Linsen sowie je ein Coelostat, der das Objektiv bei drehender Erde auf die Sonne gerichtet hält. Aufgebaut waren die Instrumente 3,5 Meter groß. Trotz dieser Ausmaße würden die Sterne auf den seinerzeit benutzten Fotoplatten nur um gut zwei Hundertstelmillimeter verrücken. Vieles konnte einen Strich durch die Rechnung machen: die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur, das Flirren der tropischen Luft. Oder schlicht und einfach Wolken. Die Hyaden mussten genau in dem Moment abgelichtet werden, in dem die verfinsterte Sonne über sie hinwegzog. Außerdem brauchte es zum Vergleich Aufnahmen des gleichen Himmelsbereichs ohne Sonne.

Was würden die Astronomen in Brasilien und auf der Insel Principe messen? Newtons Wert von 0,87 Bogensekunden? Oder Einsteins Berechnung von 1,74? Eddingtons Kollege in Brasilien telegrafierte schließlich "FINSTERNIS PRÄCHTIG" nach England, während Eddington auf der Insel Principe fast durchgehend in Wolken blickte. Doch die Gruppe in Brasilien hatte einen fatalen Fehler gemacht. Das Hauptinstrument hatten sie nachts auf die Sterne eingestellt. Mit aufgehender Sonne heizte sich das Metallrohr des Teleskops auf, die Bilder wurden unscharf. Immerhin gelangen brauchbare Aufnahmen mit einem kleineren Ersatzinstrument.

Großes Glück hatte hingegen Eddington. Die Wolkendecke lüftete sich kurz, und ihm gelangen zwei gute Aufnahmen. Allerdings konnte er keine Referenzbilder von den Hyaden ohne Sonne machen, weil ihn ein drohender Streik der Schifffahrtslinie zu einer vorzeitigen Abreise zwang. Eddington musste sich auf ältere Aufnahmen des Himmelsabschnitts verlassen, die in den Archiven der britischen Universitäten lagen.

Nach wochenlangen Auswertungen kamen im November 1919 die britische Astronomen-Vereinigung sowie die Royal Society in London zusammen. Die Messung aus Brasilien ergab eine Sternenverschiebung von 1,98 Bogensekunden, und Eddingtons Wert lag bei 1,61. Beides war nah genug an Einsteins Vorhersage und weit genug weg von Newtons Wert, um die Wissenschaft in Aufruhr zu versetzen. Doch gab es auch Zweifel. Ein Physiker der Royal Society soll mit dem Finger auf ein Ölporträt Newtons gezeigt haben mit den Worten: "Wir schulden es diesem großen Mann, mit dem Gravitationsgesetz äußerst vorsichtig umzugehen."

Die "New York Times" titelte euphorisch: "Lichter am Himmel alle verschoben"

Tatsächlich basierten Eddingtons Berechnungen nur auf wenigen Sternen. Eine provisorische Auswertung der unscharfen Platten aus Brasilien schien zudem eine Verschiebung von nur 0,93 Bogensekunden zu zeigen, was näher bei Newton als bei Einstein lag. Bis heute ist Eddington daher den Verdacht nicht losgeworden, unliebsame Messwerte unterdrückt zu haben. Doch J. J. Thompson, der Entdecker des Elektrons, ließ seiner Begeisterung bei dem Londoner Treffen freien Lauf: "Das ist das wichtigste Ergebnis der Gravitationsphysik seit Newton!"

Einstein and Eddington, 1930

Albert Einstein (links) und der britische Astrophysiker Arthur Eddington während eines Treffens im Jahr 1930.

(Foto: Science Photo Library)

Auch Einstein selbst hatte keine Zweifel. Noch vor der Präsentation in London hatte er seiner Mutter von "glücklichen Neuigkeiten" berichtet. Die Nachricht von den ersten Messungen im November 1919 machte Einstein quasi über Nacht zur Ikone der Populärkultur. Und es war in gewisser Weise die Geburtsstunde des Wissenschaftsjournalismus. Die Londoner Times titelte am 7. November 1919: "Revolution in der Wissenschaft: Neue Theorie des Universums". Zwei Tage später folgte die New York Times: "Lichter am Himmel alle verschoben" und fügte hinzu, dass sich die Menschheit deswegen keine Sorgen zu machen brauche.

1922 bestätigte schließlich eine weitere Expedition, diesmal von Australien aus, die Verschiebung der Sterne aufgrund der Raumzeitkrümmung der Sonne. Etwas von dem Glanz fiel auf Eddington ab, aber nichts war vergleichbar mit Einsteins Ruhm. Für dessen Bekanntheit und Glorifizierung tat die Messung der verschobenen Sterne mehr als der Nobelpreis, den er 1922 erhielt, übrigens nicht für die Relativitätstheorie sondern für vergleichsweise weniger spektakuläre Berechnungen zur Molekularbewegung und dem Fotoeffekt, die er 1905 angestellt hatte.

Völlig in den Hintergrund rückten die Schwierigkeiten und die Zweifel, die mit der Messung 1919 auf der Insel Principe einhergingen. Dabei wären sie ein Lehrbuchbeispiel für die Mühen und Widrigkeiten, mit denen auch heute neues Wissen erlangt wird.

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