Süddeutsche Zeitung

Ein Soziobiologe erklärt die Welt:Egoisten in der Spendierhose

Lesezeit: 3 min

Zu Weihnachten verteilen wir Geschenke und spenden an wildfremde Menschen - trotz unserer angeblich egoistischen Gene. Wie passt das zusammen? Fragen an den Soziobiologen und Philosophen Eckart Voland.

Von Markus C. Schulte von Drach

Soziobiologen gehen davon aus, dass wir wie alle anderen Lebewesen bestrebt sind, unsere eigenen Gene bestmöglich zu vermehren. Wir sollten demnach vor allem in unsere Kinder investieren. Viele unserer Werte, Normen und religiösen Überzeugungen wollen jedoch nicht zu dieser Vorstellung passen. Andere Phänomene wie Gewissensbisse und Selbstmordattentäter stehen dazu offensichtlich sogar in einem ganz eklatanten Widerspruch. Wir haben dazu den Philosophen und Soziobiologen Eckart Voland befragt.

sueddeutsche.de: Zu Weihnachten haben wir wieder unsere Kinder mit Geschenken beglückt. Doch auch entfernte Verwandte und sogar Bekannte bekommen häufig ein Präsent. Widerspricht diese Großzügigkeit nicht der soziobiologischen Vorstellung von den egoistischen Genen?

Eckart Voland: Es gibt dazu verschiedene Modelle. Die Investition in Verwandte ist ein Weg von mehreren. Entferntere Verwandte haben zwar weniger Gene mit uns gemeinsam als unsere Kinder. Aber sie besitzen davon immer noch mehr als nicht mit uns verwandte Menschen.

Investieren wir in sie, kann das unsere Gesamtfitness erhöhen - also den Anteil von Genen in der nächsten Generation, die mit unseren Genen identisch sind. Und das ist letztlich das, wonach wir streben - freilich ganz unbewusst. Unser Verhalten ist lediglich so organisiert, als ob es uns gezielt um evolutionären Erfolg ginge.

sueddeutsche.de: Man spricht dann von Verwandtenselektion.

Voland: Ja. Das ist der Weg, über den altruistisches, also selbstloses Verhalten in erster Linie in die Welt gekommen ist.

sueddeutsche.de: Für Bekannte gelten diese Voraussetzungen aber nicht.

Voland: Es gibt noch andere Strategien, mit denen sich die Fitness erhöhen lässt. Ich kann zum Beispiel im Sinne einer Win-Win-Situation in Freundschaften investieren. Wenn ich heute in eine Notsituation komme und jemand hilft mir, der mir vertraut, dann rechnet er damit, dass ich mich revanchiere. Beide Seiten haben zunächst Kosten. Aber es kann sich für beide auszahlen. Man spricht hier vom Prinzip der Gegenseitigkeit. Der Reziprozität.

sueddeutsche.de: Am Ende haben sich beide Seiten geholfen, Bedingungen zu schaffen, die den eigenen Fortpflanzungserfolg erhöhen. Aber das kann doch nur unter Leuten funktionieren, die sich immer wieder treffen.

Voland: Richtig. Das Denkmodell ist zwar plausibel. Aber Sozialwissenschaftler beobachten relativ wenig Szenarien, wo es greifen kann. Es müssen dafür zu viele Voraussetzungen erfüllt sein. Außerdem gibt es das Schwarzfahrer-Problem.

sueddeutsche.de: Was bedeutet das?

Voland: Jemand nimmt die Vorteile einer Freundschaft oder eines Sozialwesens in Anspruch, investiert selbst aber ungern. Bei der Steuererklärung zum Beispiel wird gern ein bisschen gemogelt. Die Vorteile eines Gemeinwesens nimmt man aber in Anspruch. In einem System der Gegenseitigkeit besteht diese Gefahr grundsätzlich.

sueddeutsche.de: Müssen wir uns also von der Idee der Reziprozität verabschieden?

Voland: Nicht ganz. Gelegentlich greift die Reziprozität bei Menschen schon. Aber man weiß ja, wie schnell selbst Freundschaften zerbrechen, wenn eine Seite zu wenig investiert. Wir sind da hochgradig selektiv und sensibel und legen eine sehr hohe Messlatte an.

sueddeutsche.de: Aber selbst im Tierreich findet man doch beeindruckende Beispiele für Gegenseitigkeit.

Voland: Darüber wird inzwischen gestritten. Die Paradefälle, die das belegen sollen, halten einer genauen Analyse nicht Stand. Nehmen Sie zum Beispiel die Beobachtung, dass eine Fledermaus einem hungrigen Artgenossen, der neben ihr an der Höhlendecke hängt, Futter abgibt und damit rechnen darf, dass sich der Nachbar revanchiert. Wenn man die Verwandtschaftsverhältnisse der Tiere überprüft, bricht die Annahme der Reziprozität zusammen. Hier helfen sich Familienmitglieder.

sueddeutsche.de: Wie erklären Sie dann unsere Bereitschaft, uns zu Gruppen nicht verwandter Menschen zusammenzuschließen, die sich gegenseitig unterstützen? Basiert das Wir-Gefühl im Fußballverein nicht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit?

Voland: Diesen Gruppenzusammenhalt würde ich eher in die Kategorie Mutualismus packen. Das heißt, die Kooperation verschafft dem individuellen Gruppenmitglied einen Vorteil. Dass die anderen Mitglieder ebenfalls davon profitieren, ist ein Nebeneffekt.

sueddeutsche.de: Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Voland: Wenn ich mit anderen zusammen in einem Ruderboot um den Sieg kämpfe, hat das nichts mit Wechselseitigkeit zu tun. Es gibt Vorteile, die ich nur in Kooperation mit anderen erreiche. Auch ohne dass selbstlose Vorleistungen von mir gefordert würden.

Eckart Voland ist Professor für Philosophie der Biowissenschaften am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft an der Universität Gießen.

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