Ein Soziobiologe erklärt die Welt:Angeber mit Gewissensbissen

Wenn wir egoistische Gene tragen, dann erscheint es völlig sinnlos, dass wir unser hart erarbeitetes Geld an wildfremde Menschen spenden. Warum wir es trotzdem tun, erklärt der Soziobiologe und Philosoph Eckart Voland.

Von Markus C. Schulte von Drach

sueddeutsche.de: Wenn wir unsere Gene verbreiten wollen, sollten wir vor allem in den eigenen Nachwuchs investieren. Dann erscheint es aber sinnlos, wildfremden Menschen etwas zu spenden, die sich dafür niemals werden revanchieren können. Wie kommt das Geld in den Klingelbeutel?

Ein Soziobiologe erklärt die Welt: Warum spenden wir eigentlich an Menschen in Not?

Warum spenden wir eigentlich an Menschen in Not?

(Foto: Foto: dpa)

Voland: Darauf gibt es zwei Antworten, je nachdem, ob wir es mit anonymen oder mit öffentlichen Spenden zu tun haben. Durch die Investition in eine öffentlich annoncierte Spende demonstriert man seinen eigenen ökonomischen Status und erwirbt Prestige. Deshalb sind Spendenaufrufe so erfolgreich, wenn zum Beispiel im Fernsehen während einer Spenden-Gala die Geber namentlich eingeblendet werden. Nicht zufällig heißt es ja auch: Tue Gutes und rede drüber!

sueddeutsche.de: Die Geber geben also vor allem an?

Voland: Öffentliches Spenden gründet auf dem Handicap-Prinzip. Wer sich ein Handicap, also einen Nachteil, leisten kann, der wird von seiner Umwelt als besonders erfolgreich und attraktiv wahrgenommen. Auf diese Weise wird Konkurrenz ausgestochen.

Im Tierreich gilt zum Beispiel der Pfauen-Schwanz als Handicap. Wer solche schillernden, aber hinderlichen Federn herstellen und mit sich herumschleppen kann, ohne gefressen zu werden, der muss gesund und kräftig sein. Wer viel Geld spenden kann, der hat offensichtlich mehr als genug.

sueddeutsche.de: Warum sollte ich meinen privaten Wohlstand nach Außen signalisieren?

Voland: Das geschieht unbewusst und dient dem Ziel, als attraktiver Sozialpartner aufzutreten. Luxusgüter erfüllen diese Signalfunktion. Von Promis und Superreichen, die dies tun, geht ja eine unstillbare Faszination aus. Ganze Zeitschriften leben davon.

Der gleichen Logik dient aber auch das Sponsoring. Unternehmen und Verbände können ihr Image pflegen und Prestige ansammeln, wenn sie als öffentliche Wohltäter in Erscheinung treten. Der Clou ist, dass wir als Kunden dieser Firmen das Vertrauensangebot gern annehmen, weshalb sich Sponsoring langfristig für die Firmen auszahlt. Wäre dem nicht so, täten sie es nicht.

sueddeutsche.de: Das erklärt aber nicht, warum Menschen anonym spenden.

Voland: Hier ist die Antwort tatsächlich noch nicht ganz klar. Offensichtlich können wir die Not anderer Menschen nicht gut ertragen. Das hängt mit unserem Gewissen zusammen. Wir müssen die Überlegungen deshalb ausweiten auf die Frage, wie man sich die Evolution des Gewissens vorstellen kann. Interessanterweise haben Soziobiologen und Evolutionspsychologen darauf bis heute keine wirklich befriedigende Antwort.

sueddeutsche.de: Wieso stellt das ein so großes Problem für die Soziobiologen dar?

Voland: Das Gewissen hilft nicht, die eigenen Gene zu verbreiten. Wenn Sie aus einem moralischen Zwiespalt mit einem guten Gewissen herausgehen, dann haben Sie zu Ihrem eigenen Nachteil Kosten in Kauf genommen.

sueddeutsche.de: Ein Beispiel?

Voland: Stellen Sie sich vor, Sie gehen zu einer Prüfung. Unterwegs begegnet Ihnen jemand, der Hilfe braucht. Helfen Sie ihm, haben Sie ein gutes Gewissen, aber Sie verpassen die Prüfung und verlieren ein Semester oder ein ganzes Studium.

Helfen Sie aber nicht und machen Ihre Prüfung, dann haben Sie zwar objektive Lebensvorteile. Dafür werden Sie jedoch - unter Umständen ein Leben lang - von einem schlechten Gewissen geplagt.

sueddeutsche.de: Das klingt tatsächlich, als hätten Soziobiologen da ein gravierendes Erklärungsproblem.

Voland: Vielleicht hilft hier folgende Überlegung weiter: Eltern haben ein ganz persönliches Interesse am Gemeinwohl, zum Beispiel an der Wehrhaftigkeit ihrer Gruppe. Und könnte es nicht sein, dass sie einen Teil ihres evolutionären Erfolgs opfern müssen, gleichsam als ob sie Steuern zahlten, um die Gruppe zu stärken? Diesem Ziel könnte das Gewissen zuarbeiten.

Eltern erziehen ihre Kinder zu mehr gruppendienlichem Altruismus, als diese von sich aus zu leisten bereit wären. Dahinter steht letztlich die Absicht, das eigene Bestehen und das der Familie sicherzustellen - auch wenn dies unter Umständen zu Lasten der eigenen Kinder geht.

Angeber mit Gewissensbissen

sueddeutsche.de: Die Beziehung zwischen den Eltern ist also nicht nur von Liebe, sondern auch von Interessenkonflikten geprägt.

Ein Soziobiologe erklärt die Welt: "Eltern haben Interesse daran, dass es Krieger gibt." Eckart Voland ist Soziobiologe und Philosoph.

"Eltern haben Interesse daran, dass es Krieger gibt." Eckart Voland ist Soziobiologe und Philosoph.

(Foto: Foto: Voland)

Voland: Um dieser Überlegung folgen zu können muss man die Vorstellung akzeptieren, dass wir tatsächlich danach streben, unsere Fitness insgesamt zu maximieren. Und dass wir uns normalerweise nicht bewusst sind, das unser Verhalten dadurch motiviert ist.

sueddeutsche.de: Also gehen wir davon einmal aus.

Voland: Denken Sie an historische Gesellschaften, die ständig in Konflikt miteinander lebten. Um sich durchzusetzen und zu bestehen, brauchte man Krieger. Aber wer sollte die Kriegerrolle "freiwillig" übernehmen? Schließlich laufen Krieger Gefahr, verletzt oder getötet zu werden.

sueddeutsche.de: Deshalb sollte eigentlich niemand Interesse daran haben, Krieger zu sein.

Voland: Aber es gibt jemanden, der Interesse daran hat, dass es Krieger gibt. Paradoxerweise ist das evolutionär gesehen im Interesse der Eltern. Sie erziehen die Kinder zu einer altruistischen Haltung, zu Gewissensleistungen, zur Bereitschaft, ihr Leben für die Gemeinschaft aufs Spiel zu setzen, von der die Eltern ein Teil sind.

sueddeutsche.de: Und wenn die Eltern Kinder im Krieg verlieren . . .

Voland: Dann kann das bedeuten, dass trotz des schmerzlichen Verlusts die eigene Linie gesichert bleibt. Und die Familie kommt eine Runde weiter im endlosen und vollkommen unsentimentalen Spiel der Evolution. Nicht in die Gruppe zu investieren, wäre unter historischen Bedingungen auf Dauer noch nachteiliger gewesen.

Ein Extrembeispiel ist übrigens der Selbstmordattentäter. Der sprengt sich nicht aus Eigeninteresse in die Luft. Er versucht auf diese Weise nicht, seine Fitness zu erhöhen. Er tut es vielmehr, weil er während seiner Erziehung manipuliert wurde und ein Held sein will.

Das ist natürlich eine sehr extreme Ausprägungsform von gewissensgeleiteten Verhaltensweisen. Aber letztlich spricht einiges dafür, dass unser Gewissen evolviert ist, um unsere Bereitschaft zu altruistischem Verhalten zu erhöhen. Und das kann man herunterbrechen auf so harmlose Geschichten wie das Spenden zu Weihnachten aus einem schlechten Gewissen heraus.

Eckart Voland ist Professor für Philosophie der Biowissenschaften am Zentrum für Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft an der Universität Gießen.

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