Süddeutsche Zeitung

Biologie:Eichelhäher durchschauen Hütchenspielertricks

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Die Rabenvögel lassen sich seltener von Illusionen täuschen als der Mensch, zeigt ein Experiment. Vielleicht, weil sie selbst so versierte Betrüger sind.

Von Katrin Blawat

Sie wirken so elegant. Doch wenn das Leben eines lehrt, dann dies: Die geschicktesten Betrüger sehen am wenigsten nach Gaunern aus. Und das gilt offenbar auch für Eichelhäher. Sie gehören zu den Rabenvögeln, kommen jedoch weniger plump oder aufdringlich daher als Raben, Krähen oder Elstern. Wenn es aber um Tricks rund um ihr Futter geht, stehen Eichelhäher anderen Rabenvögeln in nichts nach. Sie alle sind sehr gut darin, Artgenossen darüber zu täuschen, wo sie Leckerbissen versteckt haben oder ob überhaupt etwas zu Fressen in der Nähe ist. Und zumindest bei Eichelhähern umfassen die Trickbetrüger-Fähigkeiten sozusagen auch die andere Seite der Medaille, wie nun Autoren um Elias Garcia-Pelegrin von der University of Cambridge im Fachmagazin PNAS zeigen. Die Vögel sind unter bestimmten Umständen sogar besser als Menschen darin, Hütchenspielertricks zu durchschauen.

Für ihre Studie trainierten die Forscher zunächst sechs Eichelhäher darin, auf jene Faust des Experimentators zu picken, in der sie einen Leckerbissen vermuteten. Dann folgten zwei Experimente, in denen die Forscher jeweils einen Wurm in einer Hand versteckten und lediglich so taten, als würden sie ihn in die andere Faust übergeben. 80 menschliche Probanden, die die gleichen Experimente online per Video vorgeführt bekamen, fielen meist auf die Illusion des Händetauschs herein. Nicht so die Eichelhäher: Zumeist pickten sie unbeirrt auf die korrekte Hand.

Nur im dritten Experiment ließen sich Mensch wie Vogel gleichermaßen täuschen. Diesmal wechselte der Wurm tatsächlich mehrmals schnell hintereinander die Hand. Dabei war jedoch die Geschwindigkeit zu hoch, als dass die Probanden jeden Seitenwechsel hätten nachvollziehen können. So tippten die Studienteilnehmer - auch die tierischen - diesmal oft auf die falsche Hand. Für die Forscher folgt daraus die Frage, ob Eichelhäher eine ähnliche Taktik wie diese schnellen Handwechsel vielleicht auch in der Natur anwenden, um Futter vor Artgenossen zu verstecken.

Das menschliche Gehirn ergänzt die fehlende Bewegung - darauf basiert der Erfolg von Hütchenspielern

Dass die Eichelhäher in den ersten beiden Experimenten deutlich besser abschnitten als die Menschen, interpretieren die Wissenschaftler als Beleg für unterschiedliche Strategien. Das menschliche Gehirn verlässt sich bei diesem Hütchenspielertrick vor allem auf Erfahrungswerte. Beobachtet ein Mensch einen anderen dabei, wie dieser Anstalten macht, einen Gegenstand von einer Hand in die andere zu transferieren, ergänzt das Gehirn die tatsächliche Ausführung der Handlung. Ob der Gegenstand dann tatsächlich übergeben wird oder nicht, fällt schon gar nicht mehr richtig auf, weil für das Gehirn die Sache sozusagen schon abgeschlossen ist. Schließlich hat es den Ausgang dieser Handlung oft genug erlebt. Auf diesem Mechanismus beruht ein Großteil des Erfolgs von Hütchenspielertricks.

Eichelhäher dagegen hegen weniger fixe Erwartungen. Stattdessen achten sie aufmerksamer darauf, was tatsächlich passiert. Vielleicht liege das einfach daran, schreiben die Autoren, dass die Vögel selbst keine Hände haben und deshalb mit Handbewegungen weniger vertraut seien. Allerdings waren die sechs getesteten Vögel von Hand aufgezogen worden und hatten schon öfter an Versuchen teilgenommen, bei denen sie Futter aus der Hand eines Menschen bekommen hatten.

So steckt vielleicht doch mehr hinter der Gewitztheit der Eichelhäher. Immerhin sind Rabenvögel und eben auch Eichelhäher bekannt für ihre große Geschicklichkeit im Umgang mit Tricks. So hat Nicola Clayton, Leiterin der aktuellen Studie, schon in einer früheren Untersuchung gezeigt, dass sich Eichelhäher mit akustischen Signalen eher zurückhalten, wenn sie Futter verstecken und Artgenossen in der Nähe sind: Bloß dem potenziellen Räuber keine Hinweise geben! Und Westliche Buschhäher erinnern sich daran, welcher individuelle Artgenosse sie beim Verstecken von Futter beobachtet hat. Ähnliches haben andere Forscher auch für Raben gezeigt. Diese Vögel nehmen ebenfalls einigen Aufwand auf sich, um Futter vor anderen zu verstecken, etwa hinter oder unter Gegenständen. Dabei bemerken sie sehr genau, ob und von wem sie dabei beobachtet werden. Vielleicht können menschliche Hütchenspieler also noch einiges lernen von den Rabenvögeln.

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