Süddeutsche Zeitung

Ehestreit im frühen Christentum:"Jesus sagte zu ihnen: Meine Ehefrau ..."

Das Fragment eines Papyrus aus dem 4. Jahrhundert scheint darauf hinzudeuten, dass Jesus verheiratet war. Und zwar mit einer Maria, die er auch für wert hielt, seine Jüngerin zu sein. Der Text beweist eine solche Ehe allerdings nicht. Er dokumentiert vielmehr, dass die frühen Christen in dieser Frage uneins waren.

Markus C. Schulte von Drach

"Meine Ehefrau" - es sind diese zwei Worte auf dem Fragment eines antiken Papyrus, die für großes Aufsehen sorgen. Denn niedergeschrieben vor mehr als 1600 Jahren in koptischer Sprache und nun von einer Wissenschaftlerin der Harvard Divinity School in Cambridge, Massachusetts, übersetzt, stammen diese Worte angeblich ausgerechnet von Jesus Christus.

Karen King, Hollis Professor of Divinity an der Harvard University, hat die Worte aus dem Sahidischen übersetzt, einem koptischen Dialekt der ägyptischen Christen des 4. Jahrhunderts. Die so zusammengestellten acht übereinander stehenden Satzfetzen sollen offenbar ein Gespräch zwischen Jesus und seinen Jüngern wiedergeben. "Meine Mutter gab mir Leben ...", heißt es da, und "Maria ist es wert" - vielleicht aber auch "Maria ist es nicht wert". Und dann gibt es noch den spektakulären halben Satz "Jesus sagte zu ihnen: Meine Ehefrau ...". Besonders interessant ist allerdings auch der nächste Satzfetzen: "... sie wird fähig sein, mein Jünger zu sein ..."

Vorgestellt hat King das Dokument am Dienstag auf dem International Congress of Coptic Studies in Rom. Der Eigentümer des 3,8 mal 7,6 Zentimeter großen Papyrus ist anonym. Bekannt ist, dass er das Fragment 1997 von einem Deutschen erworben hat. Über die Umstände der Entdeckung ist nichts bekannt. Aus den Unterlagen, die der Eigentümer der Forscherin zur Verfügung gestellt hat, geht allerdings hervor, dass Anfang der achtziger Jahre Ägyptologen der Freien Universität in Berlin für einen gewissen H.-U. Laukamp mehrere Papyri begutachtet hatten, die als Teile des Johannes-Evangeliums in koptischer Sprache identifiziert wurden, berichtet King.

Besonders interessant ist allerdings eine handschriftliche Notiz: "Professor Fecht glaubt, daß der kleine ca. 8 cm große Papyrus das einzige Beispiel für einen Text ist, in dem Jesus die direkte Rede in Bezug auf eine Ehefrau benutzt. Fecht meint, daß dies ein Beweis für eine mögliche Ehe sein könnte." Bei dem Professor handelt es sich vermutlich um den 2006 verstorbenen Gerhard Fecht von der Freien Universität Berlin.

Jesus verheiratet? Mit einer Frau, die den gleichen Namen trug wie Maria Magdalena und es wert war, ein Jünger zu sein? Mancher denkt hier gleich an das Machwerk des US-Autors Dan Brown: "The Da Vinci Code" (Sakrileg).

"Kein Beleg für eine Heirat"

Solchen Spekulationen begegnet King von vornherein mit der klaren Feststellung: "Dieser Text bietet keinen Beleg dafür, dass der historische Jesus verheiratet war." Schließlich, so stellt sie fest, stamme das Fragment aus einer Zeit lange nach dessen Tod. Und auch der Ursprung des vermutlich kopierten Textes selbst dürfte vermutlich in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts liegen.

Wenn diese Datierung korrekt ist, so schreibt King, biete das Fragment immerhin einen direkten Beleg dafür, dass mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod unter den Christen erstmals über eine mögliche Ehe Jesu diskutiert wurde. Ein indirekter Hinweis geht King zufolge allerdings schon auf den Theologen Clemens von Alexandria zurück. Dieser hatte Ende des 1., Anfang des 2. Jahrhunderts darauf hingewiesen, einige Christen bestünden darauf, dass Jesus nicht verheiratet war. Demnach musste es auch solche gegeben haben, die vom Gegenteil ausgingen.

Der Streit fiel in eine Zeit, in der es innerhalb der christlichen Gemeinden auch eine allgemeine Kontroverse über Sexualität und Ehe gab sowie über die Rolle der Frau. Schließlich war dies bereits Thema in der ältesten christlichen Literatur - den Briefen des Apostels Paulus. Der hatte in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts geschrieben, es sei gut für den Mann, wie er selbst keine Frau zu berühren. Um aber Unzucht oder Hurerei zu vermeiden, solle jeder Mann seine eigene Frau nehmen und umgekehrt, erklärte er in seinem 1. Brief an die Korinther.

Aber wurde Jesus vom Autoren des Textes tatsächlich das Wort "Ehefrau" in den Mund gelegt? Schließlich dürfte der koptische Text aus dem Griechischen übertragen worden sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass es bei Übersetzungen von biblischen Texten zu Fehlern gekommen ist. So wird bis heute darum gestritten, ob die "junge Frau" Maria, von der in den Originaltexten der Bibel die Rede ist, tatsächlich zutreffend mit "Jungfrau" übersetzt wurde.

Dass zumindest der Begriff, den der koptische Schreiber verwendete, "Ehefrau" bedeutet, ist King zufolge völlig eindeutig. Und "wenn Jesus der Sprecher ist, deutet das Pronomen darauf hin, dass er von seiner eigenen Ehefrau spricht", schreibt die Wissenschaftlerin.

Umstrittene Bedeutung der Frau in der Gemeinde

Von besonderer Bedeutung ist auch der Satz: "... sie wird fähig sein, mein Jünger zu sein..." Dies, so King, sollte in dem Sinne verstanden werden, dass 'sie' in der Lage sei, Aufgaben eines Jüngers Jesu zu übernehmen, oder dass sie die Eigenschaften eines (zukünftigen) Jüngers habe. Allerdings ist nicht klar, ob hier tatsächlich Jesus der Sprecher ist oder jemand anderes. Dass die katholische Kirche das Fragment zum Anlass nehmen wird, Jesus nun als verheirateten Mann zu betrachten, ist eher unwahrscheinlich.

Auch wird es für sie kaum Anlass sein, die Rolle der Frau in der Gemeinde zu überdenken. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von Evangelien und Schriften zum Leben Jesu - in den biblischen Kanon wurden jedoch nur die Evangelien von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes aufgenommen. Alle übrigen haben als sogenannte Apokryphen nur eine relativ geringe Bedeutung. Das gilt auch für jene Evangelien nach Philippus, Maria und Judas, in denen Frauen eine größere Rolle spielen. Vermutlich wird das Fragment das Schicksal dieser Schriften teilen.

Die eigentliche Relevanz des Fragments liegt also darin, dass es die Bedeutung der sogenannten Gnostiker unter den frühen Christen belegt, die die Frauen - insbesondere Maria Magdalena - als relativ wichtig betrachteten. In den heftigen Kontroversen unter den Anhängern Jesu während der ersten Jahrhunderte nach dessen Tod konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen.

Dass das Fragment echt ist, daran hat King übrigens keinerlei Zweifel - zumal sie es zwei weiteren Experten, Roger Bagnall von der New York University und AnneMarie Luijendijk von der Princeton University, vorgelegt hat.

Die drei Fachleute gehen davon aus, dass der Papyrus tatsächlich vor mehr als 1600 Jahren von einem Laien beschrieben wurde. Um ein solches Dokument zu fälschen, müsste man Experte für koptische Grammatik, Handschrift und Gedankengut sein, erklärte Bagnall der New York Times. Die meisten Fälschungen, die er gesehen habe, seien nichts als "Kokolores" gewesen. Trotzdem soll das Schriftstück weiter untersucht werden.

Eine Bitte äußerte Karen King in der New York Times zum Umgang mit dem alten Dokument: "Sagt nicht, es beweist, dass Dan Brown recht hatte."

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