Duftforschung:Der richtige Riecher

Duft oder Gestank? Lieblich oder zu süß? Wer die Nase voll hat von solchen Entscheidungen, dem könnte in Zukunft die "elektronische Nase" der Universität des Saarlandes helfen.

Cordula Sailer

Angefangen hatte alles mit stinkendem Fisch. Der Kunde einer Fischfirma hielt die Ladung, die er erhalten hatte, für nicht mehr frisch - aufgrund des Geruchs. Das Unternehmen schickte daraufhin einige Mitarbeiter zu dem vermeintlich stinkenden Fisch, um an der Lieferung zu riechen.

Andreas Schütze

Andreas Schütze und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Karsten Kühn testen die "elektronische Nase" an Windeln.

(Foto: Universität des Saarlandes)

Doch dann standen sich zwei verschiedene Meinungen gegenüber. "Und dieses Problem gibt es in vielen anderen Bereichen auch", sagt Andreas Schütze, Inhaber des Lehrstuhls für Messtechnik der Universität des Saarlandes.

Als ein Vertreter der Fischfirma ihm diese Anekdote erzählte, war klar, dass von Seiten der Lebensmittelindustrie großes Interesse an einer "elektronischen Nase" bestand, die Gerüche objektiv bewerten kann. Die Idee einer solchen Messtechnik gab es bereits. Doch zum damaligen Zeitpunkt existierte noch kein Verfahren, dass sicher hätte entscheiden können, ob der Fisch nur roch oder schon stank.

Nachdem dann ein Schuhforschungsinstitut an Schütze und sein Team herantrat, begannen die Wissenschaftler damit, ein solches Gerät zu entwickeln. Die deutsche Schuh- und Bekleidungsindustrie versucht, die Konkurrenz aus Fernost mit Produkten auszustechen, die nach dem Tragen möglichst wenig nach Schweiß riechen. Doch die Textilien im Hinblick darauf zu optimieren, ist eine sehr mühsame und kostspielige Prozedur:

"Man muss sich das wirklich so vorstellen, dass Leute joggen gehen und hinterher riechen fünf, sechs Leute an ihren Achseln, um festzustellen, wie schlimm das jetzt riecht", erklärt Schütz.

Probleme entstehen nicht nur wegen der Geruchsbelastung für die "Testschnüffler". Deren Nasen ermüden auch sehr schnell. Man kennt das: Wer sich durch die Parfüm-Abteilung einer Drogerie schnüffelt, kann nach dem zehnten Duftwässerchen nicht mehr beurteilen, ob etwas wirklich gut riecht.

Woher diese Duftübersättigung kommt, ist wissenschaftlich noch nicht klar. Duftforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum hat allerdings eine Vermutung: "Über den Riechzellen liegt der Nasenschleim. Duftmoleküle müssen durch diesen hindurch zu den Zellen gelangen. Da kann es sein, dass der Schleim bereits angefüllt ist, weil die Düfte nicht so schnell wieder hinauskommen."

Andreas Schütze jedenfalls fasste aufgrund der Nachfrage den Entschluss, mit seinem Team tatsächlich eine "elektronische Nase" zu entwickeln, die nicht mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Schließlich könnte ein solches Instrument auch zur Entwicklung neuer Düfte für Körperpflegeprodukte verwendet werden oder bei der Frischebewertung von Lebensmitteln helfen - wie die stinkenden Fische gezeigt hatten.

"Es sind viele Anwendungsgebiete denkbar, die aber noch genauer erforscht werden müssen", so Schütze. Ein wichtiger Bereich könnte auch die Medizin sein - genauer: das Aufspüren von Krankheiten.

"Es gibt ein paar Krankheitsbilder, die sich an bestimmten Spurenelementen in der ausgeatmeten Luft identifizieren lassen. Das ist einmal Diabetes, wo Aceton auftritt, und auch Lungenkrebs lässt sich über ganz bestimmte Moleküle in der Atemluft relativ gut vorhersagen", erklärt Schütze.

Düfte haben Einfluss auf unsere Befindlichkeit

Ein Bereich, für den Schützes "E-Nose" ganz besonders interessant sein könnte, ist das sogenannte Duftmarketing. Schließlich entscheidet nicht nur die Optik darüber, wie gut sich etwas verkaufen lässt, weiß Robert Müller-Grünow, Geschäftsführer von "Scentcommunication" in Köln:

"Der richtige Einsatz von Duft hat immer Auswirkungen auf die Befindlichkeit der Menschen und damit auch auf die Kaufbereitschaft. Wer sich wohl fühlt, bleibt länger und wer sich länger in einem Shop aufhält, kauft im Zweifel auch mehr."

Müller-Grünow und seine Kollegen versuchen deshalb unter anderem, jedem Produkt seinen eigenen, unverwechselbaren "Corporate Smell" zu geben und durch den Dufteinsatz den Umsatz zu steigern. In den vergangenen zwölf Jahren haben die Kölner Duftexperten mehr als 4000 verschiedene Düfte für Markenhersteller kreiert. Sie tragen Namen wie "Vanilla Living" oder "Intimate Blue".

Und die Beduftung von Verkaufsräumen scheint durchaus ihre Wirkung zu zeigen. Zum Beispiel in italienischen Supermärkten, in denen Müller-Grünow die Präsentation bestimmter Produkte mit der richtigen Duftnote versehen hat: "Dort legte der Verkauf von Barilla Pesto-Sauce beim Einsatz von Pesto-Duft im Schnitt um über 740 Prozent zu, der von Milka-Schokolade nach Einsatz des entsprechenden Duftes immerhin um 118 Prozent."

Doch wird der Kunde so nicht im wahrsten Sinne des Wortes an der Nase herumgeführt? Düfte beeinflussen den Menschen schließlich viel subtiler und unterschwelliger als beispielsweise die grelle Verpackung einer neuen Gummibärchensorte.

Gerüchen kann man nicht entkommen

Heimtückisch am Duftmarketing sei, erklärt Hanns Hatt, dass wir den Düften nicht entkommen können: "Ich kann die Augen zumachen oder die Ohren zuhalten, aber ich kann natürlich nicht verhindern, dass ich einen Duft in die Nase kriege. Wir müssen schließlich atmen und mit der Atemluft werden immer Düfte aufgenommen."

Hinzu kommt, dass alles, was wir zusammen mit einem Duft abspeichern, viel stabiler in unserem Gehirn verankert wird, als wenn man einen Reiz nur optisch oder akustisch wahrnimmt. "Düfte haben eine starke Auswirkung auf unsere Emotionen, auf unsere Befindlichkeit und auf unsere Triebsteuerung. Und sie können zugleich auch unglaublich gut, schnell und effektiv Erinnerungen hervorrufen", sagt Hatt.

"Wir müssen deshalb sehr sensibel und verantwortungsbewusst mit dem Duft umgehen", räumt Müller-Grünow ein. "Letztlich ist es aber ein Medium wie andere auch." Diese Ansicht teilt Hatt: "Das Marketing versucht natürlich, uns mit Düften zu beeinflussen. Aber wenn man ehrlich ist, benutzt es alle Sinnesreize und wir sollten nicht glauben, dass die Verpackung einer Dose Gemüse im Supermarkt völlig willkürlich ist."

So weit, ihre "E-Nose" im großen Stil einzusetzen, sind die Forscher um Andreas Schütze allerdings noch nicht. Aber im Vergleich zu anderen Messverfahren hat ihr System einen Vorteil, wie Schütze betont. Ihr Verfahren beruht auf einem einzigen, sehr empfindlichen Breitband-Gassensor, der auf fast jede denkbare Gaskomponente reagiert. "Wir nutzen tatsächlich für Schweiß- und Windelgeruch bis hin zu einer Aromabestimmung bei Lebensmitteln immer den gleichen Sensor", erläutert Schütze.

Die Gegenstände, deren Geruch gemessen werden soll, kommen in eine Kammer, die frei ist von anderen, störenden Geruchskomponenten. Von dort aus wird der "Duft" abgesaugt und an den Gassensor weitergeleitet. Der aber kann nicht allein entscheiden, was gut oder schlecht riecht.

"Wir brauchen natürlich immer noch die Rückkopplung über menschliche Testschnüffler", sagt der Duftforscher. Mit ihrer Hilfe wird das chemische System des Sensors auf einen bestimmten Geruch hin trainiert, damit es den komplexen Geruchseindruck des Menschen auch eindeutig widerspiegelt.

Eine Nasenlänge voraus

Das funktioniert bereits gut, sagt Schütze. Im Gegensatz zu anderen Systemen sei auch die Stabilität der "E-Nose" eine bessere. Denn bislang müssen solchen Sensoren immer wieder Referenzgerüche angeboten werden, damit sie neue Gerüche bewerten können. "Häufig muss man eine Woche lang vorbereiten, bevor man dann ein paar Stunden lang messen kann", erklärt Schütze. "Das ist kommerziell nicht tragfähig."

Schützes "elektronische Nase" ist den anderen Systemen da eine Nasenlänge voraus: Bei der Bewertung des Schweißgeruchs in Schuhen musste das Team aus Saarbrücken über vier Wochen nicht nachkalibrieren.

Ein wesentlicher Vorteil gegenüber älteren ähnlichen Verfahren sei vor allem, dass der Sensor bei jeder einzelnen Messung die Gaskomponenten bei vielen verschiedenen Temperaturen misst.

So entsteht ein Muster, das die Wissenschaftler dann mit Hilfe der Daten der menschlichen Testschnüffler interpretieren. Ältere Systeme hatten dazu mehrere Sensoren benötigt. Da solche Sensoren altern, verändern sich ihre Signalmuster mit der Zeit - sie werden ungenau.

Für ihren einzelnen Sensor müssen die Saarbrücker Forscher deshalb jeweils Teile der Signalmuster identifizieren, die lange stabil bleiben. "Wenn unser Sensor altert, dann verändert sich auch das Signalmuster, aber es kommt letztlich alles aus einer Quelle", erklärt Schütze. "Wir versuchen in der Entwicklung diese Alterung mitzusimulieren."

Wann sich die "elektronische Nase" einsetzen lässt, hänge auch von der jeweiligen Aufgabenstellung ab, so Schütze. Bei einfachen Anwendungen würden heute bereits ähnliche Verfahren eingesetzt. Doch bis Schützes Technik sich in der Medizin, dem Duftmarketing oder der Lebensmittelkontrolle einsetzen lässt, "muss sicherlich noch eine Menge Hirnschmalz reingesteckt werden".

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