Doping fürs Denken:Superhirn fliegt noch nicht

Der Neuro-Held mit dem Gedächtnis einer Festplatte und der Konzentration eines Zen-Meisters wird viel beschworen - und gefürchtet. Doch wie realistisch ist dieses Szenario überhaupt?

Christian Weber

Sollten Studenten in Zukunft einen Urintest an der Tür zum Prüfungsraum abliefern? Könnte es bald soweit kommen, dass der brillante, frischgebackene Jungforscher nach der Examensfeier von ein paar ernst blickenden Fahndern zur Seite genommen wird und der Unipräsident einige Tage später auf einer Pressekonferenz verkündet, dass dem ertappten Hirndoper seine akademischen Würden aberkannt werden? Nichts mehr mit summa cum laude.

Doping fürs Denken: Welche Mittel stärken die Gehirnleistung und zu welchem Preis? Dieser Frage sind Forscher auf der Spur.

Welche Mittel stärken die Gehirnleistung und zu welchem Preis? Dieser Frage sind Forscher auf der Spur.

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So sieht das Szenario aus, das der australische Psychologe Vince Cakik in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Journal of Medical Ethics (Bd. 35, S.611, 2009) entwirft. Es dient ihm als Vorlage, um wortreich ethische Fragen des sogenannten Neuro-Enhancements zu diskutieren.

Das ist der Fachbegriff für das Vorhaben, auch gesunde menschliche Gehirne mit leistungssteigernden Stoffen zu optimieren; so dass es wacher, konzentrierter und schneller arbeiten, sich besser erinnern und vorausschauender planen kann.

In den USA und England tobt derzeit eine Debatte zum Thema. Ein Damm brach, als das führende Wissenschaftsjournal Nature Ende vergangenen Jahres (Bd. 456, S.702, 2008) einer Gruppe von Neurowissenschaftlern und Medizin-Ethikern die Gelegenheit gab, dezidiert für das Hirndoping zu plädieren - der Kernsatz lautete: "Wir sollten neue Methoden, unsere Gehirne zu verbessern, begrüßen."

Ähnliches probiert am kommenden Montag eine siebenköpfige Gruppe deutscher Psychiater, Juristen und Ethiker, die auf einer Veranstaltung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften ein Memorandum vorstellen wird, das die Möglichkeiten des Neuro-Enhancements ebenfalls prinzipiell begrüßt.

Vielleicht wird dann auch hierzulande etwas profunder die Frage diskutiert, wie wir eigentlich mit den neuen Möglichkeiten umgehen sollen, die uns Neuropsychopharmakologen und -technologen in der Zukunft verschaffen könnten?

Unrealistische Szenarien

Bislang krankt die Debatte daran, dass sowohl Befürworter als auch Gegner des optimierten Gehirns häufig von unrealistischen Szenarien ausgehen, so als ob Neuro-Superman bereits den Campus anfliegen würde - mit verdoppeltem IQ, dem Gedächtnis einer Computer-Festplatte und der Konzentrationskraft eines Zen-Meisters.

Mit diesen Annahmen lassen sich hübsche Gedankenexperimente anstellen über ethische Folgen und die fundamentale Frage, ob man mit Pillen die Natur des Menschen ändern darf. Philosophen machen solche Überlegungen Spaß und Journalisten schreiben gerne darüber. Die Wirklichkeit des Neuro-Enhancements sieht zumindest im Moment noch weniger spektakulär aus.

Keines der derzeit unter Gesunden verbreiteten Hirn-Doping-Mittel zeigt nach den vorliegenden Studien ein wirklich überzeugendes und risikoloses Wirkprofil: Stimulantien wie das ADHS-Medikament Ritalin (Methylphenidat) und Amphetamine verbessern zwar kognitive Leistungen bei Müdigkeit, insbesondere bei monotonen, sich wiederholenden Aufgaben.

Doch bei manchen Nutzern verschlechtert sich die Leistungsfähigkeit sogar, andere berichten von Herz-Kreislauf-Beschwerden, Halluzinationen und Suchtproblemen. Beim Alzheimer-Medikament Aricept (Donepezil) finden sich unklare Hinweise, wonach es Lernen und Gedächtnis auch bei Gesunden unterstützt, doch manchmal schadet es auch deren kognitiver Leistungsfähigkeit.

Der Wachmacher Provigil (Modafinil) schließlich stärkt Konzentration und Leistung der Probanden bei einigen wenigen kognitiven Aufgaben, doch sein Suchtpotenzial scheint größer zu sein als ursprünglich erwartet. Bei manchen Studienteilnehmern verursachte die Substanz sogar schwere Hautausschläge.

Gehirndoping wirft ethische Fragen auf

Vielleicht ändert sich die Lage auf dem Medikamenten-Markt irgendwann in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten. Alle großen Pharmafirmen arbeiten emsig an neuen Anti-Demenzmitteln für die vergreisende Gesellschaft, die Neurowissenschaft macht Fortschritte.

Es ist nicht auszuschließen, dass dabei irgendwann tatsächlich ein nebenwirkungsfreier Schlaumacher, Wachhalter, Konzentrations-Booster oder Gedächtnisfestiger für gesunde Menschen abfällt. Das wäre dann in der Tat die Stunde der Medizinethiker.

Wundermittel unwahrscheinlich

Sie hätten viele Fragen zu diskutieren: Wie wäre der Zugang zu diesen Stoffen geregelt? Ist der Staat zuständig? Verzerren solche Mittel den akademischen und beruflichen Wettbewerb?Wie verhindert man einen gesellschaftlichen Zwang, sie einzunehmen, wie soziale Ungerechtigkeit?

Dürfen Eltern die Gehirne ihre Kinder dopen, oder sollten sie es sogar tun? Doch das ist spekulative Ethik, die zwar philosophisch interessant ist, der man aber derzeit nicht zuviel Forschungszeit und -geld widmen sollte.

In absehbarer Zeit ist es unwahrscheinlich, dass solche Wundermittel auf den Markt kommen. Gerade Gedächtnisforscher mussten in den letzten Jahren erkennen, dass sie die Schwierigkeiten unterschätzt hatten, Ergebnisse aus Mäuseversuchen auf das menschliche Gehirn zu übertragen. Insbesondere zeigte sich immer wieder, dass Stoffe, die einzelne kognitive Funktionen stärkten, andere beeinträchtigten.

Noch 2004 stellte Science vier neue Firmen vor, von denen effektive Gedächtnismittel zu erwarten seien. Mittlerweile sind sie alle gestrauchelt, darunter "Memory Pharmaceuticals", das von Nobelpreisträger Eric Kandel mitgegründet worden war. Hoffmann-La Roche kaufte die Firma im vergangenen Jahr für einen symbolischen Preis von weniger als einem Dollar.

Trotzdem wird die Neuropsychopharmakologie Fortschritte machen. Die Pharmafirmen werden neue Medikamente entwickeln, die bei bestimmten Störungen und Krankheiten helfen. Aber auch sie werden einige unerwünschte Nebenwirkungen haben, daher rezeptpflichtig bleiben.

Und da sie vermutlich auch einige leistungssteigernde Effekte bei Gesunden bewirken könnten, wird man auch sie im Internet kaufen oder von Ärzten ohne Indikation bekommen können, so wie es bei Ritalin, Modafinil und anderen Psychopharmaka bereits der Fall ist.

Hilfe durch psychoaktive Mittel

Gerade die Menschen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften gieren nach Mitteln, die ihren Stress und ihre Angst mildern, ihre Unruhe beseitigen, Ruhe und Konzentration verschaffen. Studien besagen, dass bereits jetzt zehn Prozent der US-Studenten Ritalin aus nicht-medizinischen Gründen schlucken.

Für Deutschland berichtete die DAK in ihrem "Gesundheitsreport 2009", dass zwei Millionen aller Arbeitnehmer schon Psychopharmaka konsumiert haben, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern und im Job zu bestehen.

Es wäre naiv, wenn man deshalb einfach über die Wettbewerbsgesellschaft schimpft und alle Bürger zur Abstinenz verpflichten will. Menschen haben schon immer ihre Existenz mithilfe psychoaktiver Substanzen bewältigt, sei es nun Kaffee oder Kokain, Alkohol oder Nikotin.

Doch genauso utopisch ist die Hoffnung der Vertreter des Neuro-Enhancements, dass man die Vorteile leistungssteigernder Psychomittel ohne ihre Risiken wird haben können. Gesellschaft und Forschung werden nicht umhin kommen, sich das bestehende Arsenal der Drogen und Medikamente zu bewerten und über einen verantwortlichen Gebrauch zu diskutieren.

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