DNA-Analyse:Aus dem Erbgut eines Taugenichts

Manche Genetiker wollen menschliches Verhalten weitgehend aus den Erbanlagen erklären. Selbst an der Wahl falscher Freunde soll nun die DNA schuld sein.

Wiebke Rögener

Wenn Jugendliche Alkoholprobleme haben, Drogen nehmen, wegen Ladendiebstahls oder anderer Vergehen mit dem Gesetz in Konflikt kommen, tun sie das selten allein.

2 Teenager rauchen, Foto: iStock

Wer hat hier wen zum Rauchen verführt?

(Foto: Foto: iStockphoto)

Oft ist der Einfluss der Clique, der Peer-Group, ausschlaggebend, wenn zuvor brave Kinder in der Pubertät über die Stränge schlagen.

Doch die tiefere Ursache sei im Erbgut der Missetäter zu suchen, behaupten einige amerikanische Forscher jetzt.

Schuld an den falschen Freunden sind demnach die falschen Gene: Kinder, die in schlechte Gesellschaft geraten sind, hätten sich oft gerade diese Freunde gesucht, weil sie dafür eine spezielle erbliche Veranlagung besäßen (Archives of General Psychiatry, Bd. 64, S. 958, 2007).

Nach dem immer wieder kolportierten "Schwulen-Gen" und obskuren Erbanlagen für kriminelle Neigungen gibt es nun also ein Gen für den Hang zu den Leuten, vor denen Eltern ihre Kinder schon immer gewarnt haben.

ein Gen namens LRRTM1

Allerdings: An hieb- und stichfesten Beweisen für alle diese Erbanlagen, die das menschliche Verhalten steuern sollen, fehlt es nach wie vor. Das schon 1993 vom Genetiker Dean Hamer beschriebene Gen für homosexuelle Tendenzen war von Anfang an umstritten, seine Ergebnisse ließen sich später von anderen Forschern nicht bestätigen (Science, Bd. 284, S. 665, 1999).

Auch die häufig postulierten Gene für kriminelles Verhalten, Intelligenz, Neugier, Aggressivität oder Gefräßigkeit sind bis heute nicht zweifelsfrei dingfest gemacht worden. Der Gentest im Kindergarten zur Früherkennung künftiger Schwerkrimineller bleibt also glücklicherweise weiterhin Science Fiction.

Geblieben ist aber auch der Wunsch mancher Genetiker, menschliches Verhalten möglichst weitgehend aus ihren Erbanlagen zu erklären. So berichtete ein Team der Oxford University Ende Juli über ein Gen namens LRRTM1 für Linkshändigkeit (Molecular Psychiatry, online), das zugleich für eine angebliche Tendenz der Linkshänder zur Schizophrenie verantwortlich sein soll - ungeachtet dessen, dass auch bei eineiigen Zwillingen, die bekanntlich die gleichen Gene besitzen, die Händigkeit oft unterschiedlich ist.

Schwänzer und Schummler

Die jetzt vermeldeten Erbanlagen, die Jungen dazu treiben sollen, sich Kumpane zu wählen, die rauchen, trinken und die Schule schwänzen, wurden nicht im Labor aufgespürt, sondern am Telefon. Denn Kenneth Kendler vom Medical College of Virginia, Richmond, und seine Kollegen fahndeten nicht etwa mit molekulargenetischen Methoden nach Abschnitten im Erbgut, die möglicherweise gehäuft bei besonders aufsässigen Jugendlichen auftreten. Stattdessen befragten sie telefonisch einige Hundert erwachsene männliche Zwillingspaare im US-Bundesstaat Virginia nach deren Jugendfreundschaften.

Der Begriff des abweichenden Verhaltens wurde in der Untersuchung ziemlich weit gefasst - vom Dealen mit Drogen bis zum Schummeln in der Schule. Eineiige und zweieiige Zwillinge sollten Auskunft geben: Wie viele ihrer Schulkameraden begannen in welchem Lebensalter zu rauchen? Gab es Freunde, die bei Klassenarbeiten abschrieben? Waren gar jugendliche Drogennutzer in der Clique? Oder Schulschwänzer? In welchen Alter verbrachten die Befragten mit diesen Taugenichtsen ihre Freizeit?

Aus dem Erbgut eines Taugenichts

Offenbar waren die Forscher guten Mutes, dass die Interviewpartner - bei der Befragung waren sie zwischen 24 und 62 Jahre alt - sich an alle Einzelheiten noch nach Jahrzehnten zuverlässig erinnerten. Das Ergebnis dieser Mühen: Bei eineiigen Zwillingen war die Übereinstimmung hinsichtlich der negativen Einflüsse im Freundeskreis größer als bei zweieiigen Zwillingen.

"Die Methodik ist äußerst zweifelhaft"

Daraus folgerten die Forscher: Der Hang zu Freunden, deren Verhalten von der Norm abweicht, muss erblich bedingt sein. Auch nehme der Einfluss des Elternhauses zwischen dem achten und dem 25. Lebensjahr ab, der Einfluss der Gene dagegen von 30 auf 50 Prozent zu. Die Jugendlichen suchten also mit zunehmendem Alter immer stärker einen Freundeskreis, der zu ihren erblichen Neigungen passe.

"Wenn man tatsächlich beweisen könnte, dass es solch eine erbliche Komponente gibt, wäre das schon verblüffend", sagt der Münchner Kinderarzt Bernd Simon vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Davon sei allerdings diese Studie weit entfernt.

"Die Methodik ist äußerst zweifelhaft", sagt Simon. "Solche retrospektiven Studien, bei denen Versuchspersonen im Nachhinein befragt werden, sind wissenschaftlich nicht ernst zu nehmen." Simons eigene Beobachtungen sprechen eher für den maßgeblichen Einfluss von Umweltfaktoren auf das Verhalten von Jugendlichen: "Wenn Sie sehen, wie in einer Familie gegessen wird, wissen Sie meist, warum die Kinder zu dick sind."

Das heiße nicht, dass es keine anderen Einflüsse auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geben könne. Doch wer so etwas in die Welt setze, müsse es auch genau nachweisen, fordert Simon. "Wer ein Gen für den Hang zu schlechter Gesellschaft postuliert, muss dieses mit molekularbiologischen Methoden identifizieren.

Das leistet diese Studie aber nicht." Triftige Beweise für solche Gene gebe es nicht. Simon betont: "Man darf ein unerwünschtes Verhalten von Jugendlichen nicht gleich zur Krankheit erklären."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: