Süddeutsche Zeitung

Dinosaurier:"Drache" mit Doppelkralle

So groß wie ein Truthahn und eher untersetzter Kickboxer als eleganter Sprinter - so stellen sich Wissenschaftler einen in Rumänien entdeckten Verwandten des Velociraptors vor.

Markus C. Schulte von Drach

Paläontologen haben in Rumänien einen ungewöhnlichen fleischfressenden Dinosaurier ausgegraben. Der "Stämmige Drache" zeichnet sich nicht nur durch einige auffällige Merkmale aus, die ihn von seinen Verwandten unterscheiden. Im Zusammenhang mit den Eigenschaften des Fundorts scheint das Fossil auch eine wichtige Beobachtung der Evolutionsbiologen zu bestätigen: dass sich Tiere auf Inseln anders entwickeln als auf dem Festland.

Der Balaur bondoc, so sein wissenschaftlicher Name, ist zwar ein naher Verwandter der bekannten Velociraptoren (Schnelle Räuber), und war wie diese etwa so groß wie ein Truthahn. Aufregender als die Ähnlichkeit mit diesen berühmten Dinosauriern sind allerdings die 20 einzigartigen Merkmale des "Drachen".

Während Velociraptoren relativ lange Arme und Beine besaßen, war der Balaur kompakter gebaut. Seine Arme und Beine waren kürzer und muskulöser, was dafür spricht, dass die Art nicht schnell, aber kräftig war. "Im Vergleich zum Velociraptor war Balaur wahrscheinlich eher ein Kickboxer als ein Sprinter", erklärt Stephen Brusatte von der Columbia University in New York. Deshalb entschieden sich die Wissenschaftler auch dafür, das Tier Balaur nach einem alten rumänischen Wort für Drache und bondoc - gedrungen, stämmig - zu nennen.

An seinen Füßen befand sich nicht nur eine sichelförmige Klaue wie bei den Velociraptoren und anderen Vertretern der Gruppe der sogenannten Dromaeosauriden. Balaur verfügte gleich über zwei dieser Waffen. Die Hände des Sauriers dagegen waren kaum dazu geeignet, zu greifen, so dass die Wissenschaftler vermuten, dass er die unteren Gliedmaßen benutzte, um Beute zu attackieren und aufzuschlitzen.

Obwohl er - inklusive Schwanz - auf eine Länge von lediglich eineinhalb bis zwei Metern kam, war der Balaur vermutlich einer der größten Räuber Europas. Zumindest wurden bislang noch keine Hinweise auf größere Raubsaurier entdeckt, berichten Mátyás Vremir und Zoltán Csiki von der Universität in Bukarest sowie Mark Norell und Stephen Brusatte von der Columbia University im Fachblatt PNAS.

Der "Drache" lebte in der Oberkreide, in der Zeit von vor 125 bis 65 Millionen Jahren, als der europäische Kontinent weitgehend überflutet war. Der Archipel beherbergte Dinosaurier, die im Vergleich zu ihren Verwandten auf den großen Festlandmassen eher klein und ungewöhnlich waren - was der von Biologen häufig beobachteten Tendenz zu kleineren Arten auf Inseln entspricht.

Funde von Raubsauriern gibt es hier allerdings bislang kaum. Umso wichtiger ist das gut erhaltene Skelett des Balaur. Es scheint zu bestätigen, dass nicht nur die Vertreter der sonst häufig riesigen pflanzenfressenden Sauropoden auf den Inseln Ur-Europas als Zwerge existierten - auch die Raubsaurier entwickelten keine großen Formen, dafür aber solche mit außergewöhnlichen Merkmalen.

Zugleich weist der Fund darauf hin, dass über Rumänien, das damals als Insel aus dem Ozean ragte, offenbar eine Verbindung zwischen Europa und dem heutigen asiatischen Festland und Nordamerika existierte.

"Der Balaur ist verwandt mit Dinosauriern wie dem Velociraptor - das weist darauf hin, dass die Tierwelt des europäischen Archipels damals eine Verbindung hatte mit anderen Teilen von Europa, Asien und Nordamerika, wo diese Gruppe von Dinosauriern in den entsprechend alten Gesteinsschichten ebenfalls gefunden wurde", erklärt Mark Norell. "Der Fund bestätigt außerdem, wie stark der Insel-Effekt dazu beiträgt, wirklich ungewöhnliche Tiere zu produzieren."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.994415
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/mati
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.