Dinosaurier:Der Retter der Dino-Spuren

Dinosaurier: Lida Xing mit dem Schulterblatt eines seiner Forschungsobjekte.

Lida Xing mit dem Schulterblatt eines seiner Forschungsobjekte.

(Foto: Lida Xing)

Lida Xing erforscht Dinosaurier in China. Doch der Paläontologe muss sich beeilen, denn im Land herrscht Bauboom. Bald rollen die Bagger an.

Von Kathleen McLaughlin

Die drei voll besetzten Autos halten am Ufer eines abgeschiedenen Sees, irgendwo in der ostchinesischen Provinz Shandong. Mit ihnen ist eine Gruppe von Wissenschaftlern angefahren, erkennbar an den Meißeln, Besen und der Kreide in ihren Händen. Sie schauen sich kurz um, dann fangen sie an zu graben, in einem seltsam narbigen Boden. Sie markieren, vermessen und fotografieren akribisch jeden Krater und jede Mulde, während die Bewohner des benachbarten Dorfes sie mit Fragen bombardieren. Die Leute verstehen das plötzliche Interesse an ihrem verlassenen Winkel nicht.

Die Menschen mit den Meißeln verraten nicht, dass sie Paläontologen sind, es soll sich nicht herumsprechen, dass es hier Dinosaurier-Spuren gibt. Der Leiter der Ausgrabung, Lida Xing von der China University of Geosciences in Peking, hat seine Mitarbeiter zum Schweigen verdonnert. Es ist der erste Besuch des Teams an diesem Ort, den ein Freund von Xing, ein Hobbyforscher, entdeckt hat. Xing, der 35 Jahre alt ist, aber zehn Jahre jünger aussieht, wird ganz aufgeregt, als er die Abdrücke zählt. Er realisiert, dass er gerade einen außergewöhnlichen Fund gemacht hat. Auf einer Fläche von der Größe eines Fußballfeldes befinden sich Hunderte - vielleicht sogar tausend - gut erhaltene Fußabdrücke von Dinosauriern. Sie sind unterschiedlich groß und alt und stammen von mindestens sieben verschiedenen Arten.

Xing will eine Karte erstellen, die zeigt, wann und wo genau welche Dinosaurier gelebt haben

"Es ist großartig! Es ist viel mehr als wir erwartet haben", sagt Xing. Vor etwa hundert Millionen Jahren befand sich hier möglicherweise so etwas wie heute ein Wasserloch in der Serengeti: ein Ort, an dem viele verschiedene Tiere, Sauropoden und Vögel, fleischfressende Theropoden und Ornithopoden aufeinander getroffen sind. Es könnte einer der zehn wichtigsten Orte in Chinas sein, an denen Spuren von Dinosauriern gefunden wurden. Auch weltweit betrachtet sei es ein bemerkenswerter Fund, sagt Xing. Eine genaue Untersuchung des Ortes, die Monate in Anspruch nimmt, könnte zu Xings Hauptforschungsgebiet beitragen: Der Wissenschaftler will herausfinden, wo genau in China die Dinosaurier gelebt und wie sie miteinander interagiert haben.

Xing ist bekannt für seine unvergleichliche Sammlung von in Bernstein eingeschlossenen Federn und Fossilien. Aber noch wichtiger sind ihm die Dinospuren. Sie werden zwar oft weniger ernst genommen als die Funde von Fossilien, sind aber wichtig für die Erforschung der Lebensweise und des Verhaltens der Dinosaurier. Die Leidenschaft für die Abdrücke hat Xing schon an 1000 verschiedene Orte überall in China geführt. Tipps, wo sich solche Abdrücke befinden, bekommt er von privaten Fossilienjägern, mit denen er in ständigem Austausch steht. Er hat auch schon im Mittleren Osten, in Südkorea und in den USA gegraben.

Xing forscht mit atemberaubender Geschwindigkeit. Seit 2010 hat er mehr als 90 Studien veröffentlicht. Er hat Klettern gelernt, weil einige der am besten erhaltenen Spuren auf Felsen zu finden sind, die geologische Kräfte im Lauf der Zeit in die Vertikale gedrückt haben. Er erkundet, wie sich die verschiedenen Dinosaurier-Arten über Raum und Zeit verteilt haben; er will wissen, wie ihre Lebensräume aussahen und wie sie sich verhalten haben. Er hat schon viele Wissenslücken geschlossen, denn die Spuren der Dinos liefern Informationen, die man aus Fossilien nicht erhält. Nur deshalb wird er schon bald eine Übersichtskarte zur Verbreitung der Dinosaurier in Ostasien erstellen.

In China wurden in den letzten Jahren viele spektakuläre Dino-Fossilien gefunden, Xings Karte soll helfen, ihre Beziehungen zu klären. "In den USA wird ein ähnlicher Aufwand betrieben, aber für China ist das, was Xing macht, beispiellos", sagt Richard McCrea, Spezialist für Fußabdrücke am Peace Region Paleontology Research Centre im kanadischen Tumbler Ridge und einer von Xings Mentoren.

Xing wurde in einer abgeschiedenen Gegend im Süden Chinas geboren, seine Eltern sind beide Ärzte. Eine japanische Zeichentrick-Serie weckte in ihm seine Begeisterung für Urzeit-Riesen, da war er sechs Jahre alt. In den Filmen ging es um Zeitreisen, eine schöne Prinzessin, Laser-Waffen - und eben Dinosaurier. "Von da an habe ich Bücher zum Thema verschlungen und begann, diese erstaunlichen Lebewesen langsam zu verstehen", erinnert sich Xing. Als Teenager legte er eine Datenbank mit etwa 900 Dinosaurier-Namen inklusive ihrer chinesischen Übersetzung an, die bis heute von seinen Kollegen genutzt wird. Er schrieb an Martin Lockley, der damals Experte für Fußabdrücke an der University of Colorado in Denver war, und fragte den Wissenschaftler, wie man die Spuren von Dinosauriern findet. Lockley schickte ihm Informationen.

"Xing ist zweifellos der führende Fußabdruck-Forscher in China"

2007 veröffentlichte Xing sein erstes Paper, in dem er sich mit Dinosauriern aus der Kreidezeit beschäftigte, die ihre Spuren in der Provinz Sichuan hinterlassen hatten. Nach seinem College-Abschluss im Jahr 2009 wandte sich Xing kurze Zeit von den Dinosauriern ab und wurde Wissenschaftsjournalist. Aber schon ein Jahr später schrieb er sich an der University of Alberta im kanadischen Edmonton ein, um Paläontologie zu studieren. Vergangenes Jahr machte er seinen Doktor an der China University of Geosciences. Zu Lockley hat er mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis. "Ich habe ihn vor zehn Jahren in Peking getroffen und 2012 haben wir unser erstes gemeinsames Paper veröffentlicht", sagt Lockley. Seitdem haben sie mehr als 60 Studien publiziert, im Schnitt kommt eine im Monat heraus.

In diesen Veröffentlichungen werden nahezu alle Aspekte der Paläontologie behandelt, aber in den meisten geht es um Fußabdrücke und wie man mit ihrer Hilfe herausfindet, wann und wo welche Dinosaurier gelebt haben. Xing hat über die ältesten Sauropoden-Pfade und die ältesten Abdrücke von Vogelbeckensauriern berichtet, die in China gefunden worden sind. So konnte er nachweisen, dass diese Dinosaurier bereits vor 190 bis 200 Millionen Jahren während des frühen Jura in Asien gelebt haben - also früher als gedacht. Abdrücke in der Provinz Guangdong zeigten, dass entenschnabelige Hadrosaurier und Flugsaurier in der späten Kreidezeit gemeinsam an einem Seeufer gelebt haben und wahrscheinlich von großen Theropoden gefressen wurden. Von keinem einzigen dieser Tiere gibt es fossile Überreste.

Dinosaurier: SZ-Karte; Quelle: Sciencemag

SZ-Karte; Quelle: Sciencemag

Im Februar 2016 berichtete Xing gemeinsam mit Kollegen in der Zeitschrift Scientific Reports über Sauropoden-Spuren auf dem Grund eines ehemaligen Sees in der zentralchinesischen Provinz Gansu. Aus den Spuren schloss er, dass die gängige Lehrmeinung nicht stimmte, wonach sich die Tiere schwimmend fortbewegt haben. Die tiefen Löcher, die ihre Klauen hinterlassen haben, zeigen nämlich, dass sie wahrscheinlich auf dem Grund des Sees gelaufen sind.

"Xing ist zweifellos der führende Fußabdruck-Forscher in China", sagt Lockley. Dass Xing ein Paper nach dem anderen publiziert, hat unter chinesischen Paläontologen bereits für Irritationen gesorgt - und für den Verdacht, dass er nicht gründlich arbeitet. "Manche in der Community sind der Ansicht, dass er zu viel publiziert", sagt Xing Xu, ein bekannter Paläontologe an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking, der trotz des ähnlich klingend Namens nicht mit ihm verwandt ist, aber einst sein Mentor war. Xu versichert, dass sein jüngerer Kollege einwandfrei arbeitet.

"Xing ist zweifellos der führende Fußabdruck-Forscher in China"

Xing hat es aus gutem Grund eilig. Aufgrund der schnellen industriellen Entwicklung in China tauchen ständig neue Stellen mit Fossilien auf. Aber sie werden oft auch schnell wieder zerstört; Xing musste da schon eine bittere Erfahrung machen, als er vor einigen Jahren mit seinem Team in der Provinz Sichuan Dino-Spuren entdeckt hatte. Ein örtliches Bergbauunternehmen bekam mit, dass die Wissenschaftler die Regierung bitten wollten, die Fußabdrücke unter Schutz zu stellen. "Sie haben mitten in der Nacht alles zerstört," erinnert sich Xing. So konnte er nur einen Bruchteil der Abdrücke untersuchen.

Seitdem ist Xing vorsichtig geworden. Wenn er eine neue Stelle entdeckt hat, verrät er das niemandem. Bei dem wichtigen Fund in der Provinz Shandong hat er eine Ausnahme gemacht: Er hat Paläontologen einer lokalen Universität eingeladen, an der Grabung teilzunehmen - er hofft, dass sie ihm helfen, die örtliche Regierung davon zu überzeugen, den Ort unter Schutz zu stellen. Der Wissenschaftler kann sich auch vorstellen, dort eine Art Freilandmuseum einzurichten.

Xing ist derart besessen von Dinosauriern, dass er ihnen sogar seine Freizeit widmet. Er baut gerade eine Sammlung von in Bernstein konservierten Saurierfedern auf, in der bereits 200 verschiedene Arten vertreten sind. Mit dem Geld seiner Großfamilie kauft er Bernstein auf lokalen Schmuckmärkten in Myanmar. Manche Paläontologen werfen ihm vor, Fossilien aus ihrem Ursprungsland auszuführen. Xing erwidert, dass er eine Rückgabe erwägen würde, sobald Myanmar zusichert, solche Fossilien nicht zu zerstören. Die Bernsteinproben liefern Material für weitere Veröffentlichungen. In einem Paper, das im Dezember 2016 in der Fachzeitschrift Current Biology erschienen ist, beschreiben Xing und Ryan McKellar vom Royal Saskatchewan Museum im kanadischen Regina den Schwanz eines gefiederten Baby-Dinosauriers in einem 99 Millionen Jahre alten Bernsteinbrocken. Die Entdeckung hat weltweit Aufmerksamkeit erregt.

Xing glaubt aber, dass die weniger fotogenen Fußabdrücke noch größeres Aufsehen erregen werden. Besonders die Stelle mit den vielen verschiedenen Abdrücken in Shandong. Sie begeistern vor allem durch die vielen Details. Bei einigen Abdrücken kann man sogar einzelne Zehen unterscheiden. Der Ort wird ein weiterer Pinselstrich in dem Gemälde sein, dass Xing erschaffen will. "In zwei oder drei Jahren werden wir wissen, welche Dinos in China gelebt haben und wo genau sie sich aufhielten", sagt er. Dass ist ein ehrgeiziges Ziel, gibt Xing zu, aber er befindet sich in einem Wettlauf gegen die Zeit. "Wir müssen uns schnell bewegen und mehr Daten sammeln, bevor schlimme Dinge passieren", sagt er. "Dinosaurier-Spuren sind wertvoll. Sie sind nicht nur Löcher im Gestein, sondern das Gedächtnis der Natur."

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org

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