Evolution:Nicht mehr Wolf und noch nicht Hund

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Das Dingo-Weibchen Sandy gewann einen Preis für "das interessanteste Genom der Welt". (Foto: AFP)

Biologen haben das Erbgut der australischen Dingos entschlüsselt - mit überraschenden Erkenntnissen.

Von Jan Bielicki

Sandy Maliki war drei Wochen alt, voller Parasiten und fast verdurstet, als Barry Eggleton den Dingowelpen und seine beiden Geschwister am Rande einer südaustralischen Wüstenpiste entdeckte. Der Mann gab den kleinen Dingos Wasser und fuhr dann weiter, um vom nächsten Flugplatz nach Hause zu fliegen. Doch kaum daheim angekommen, fuhr er mit seiner Frau Lyn die 2500 Kilometer wieder zurück. Die Welpen, so klein, dass sie alle drei auf seine Hand passten, waren noch da, offensichtlich von ihrer Mutter verlassen. Die Eggletons zogen Sandy, Eggie und Didi mit dem Fläschchen auf.

Heute ist Sandy die wohl bekannteste Vertreterin ihrer Rasse - und wichtigster Teil einer Antwort auf die unter Biologen lange umstrittene Frage, ob Australiens größte Landraubtiere nun eine (verwilderte) Haushunderasse sind oder doch eine eigene Unterart, die den Wölfen nähersteht. 2014 gewann Sandy einen von einem amerikanischen Biotech-Unternehmen ausgerufenen Wettbewerb um "das interessanteste Genom der Welt" - unter anderem gegen eine Grubenviper und eine Meeresschnecke. Das Preisgeld sollte es Wissenschaftlern ermöglichen, Sandys Erbinformationen aufwendig zu entschlüsseln.

Manche Ureinwohner Australiens hielten Dingos als Wachhunde

Am Samstag veröffentlichten nun 25 Forscher aus sechs Ländern - auch ein Wissenschaftler des bundeseigenen Julius-Kühn-Instituts für Kulturpflanzenforschung in Quedlinburg war dabei - die Ergebnisse ihrer umfangreichen Untersuchungen, in denen sie das Genom des Wüstendingos Sandy mit dem eines Grönlandwolfs und denen von fünf Haushunden verschiedener Rassen verglichen hatten: von einem Deutschen Schäferhund, einer Deutschen Dogge, einem Labrador, einem Boxer und einem Basenji, der als älteste noch existierende Haushunderasse gilt.

Das Resultat: Dingos wie Sandy unterscheiden sich genetisch "fundamental" von Haushunden, wie die australischen Studienleiter Matt Field und William Ballard erklären. Evolutionsgeschichtlich sind Dingos demnach ein früher Ableger des Entwicklungsstrangs hin zu modernen Hunden und stehen zwischen dem Wolf und den Haushunden von heute.

Dingo Sandy im Alter von drei Wochen. (Foto: AFP)

Besonders einen Unterschied zwischen Hund und Dingo betonen die Forscher: Das Genom der Haushunde wurde vor allem durch künstliche Auslese geprägt, seit die Domestikation ihrer Vorfahren durch den Menschen vor 14 000 bis 29 000 Jahren in der Neusteinzeit begann. Die Gene heutiger Dingos wurden dagegen von der Anpassung an die Umweltbedingungen Australiens geformt, wohin ihre Vorfahren vor 5000 oder gar 8000 Jahren gelangt waren. Dort nämlich lebten sie weitgehend wild, manche von ihnen von den Ureinwohnern als Wachhund, nie aber als Jagdhund gehalten.

Zu entdecken ist dieser Unterschied etwa in der unterschiedlichen Ausstattung mit einem Gen, das ein Protein namens Amylase 2B erzeugt und somit die Verdauung stärkehaltiger Nahrung ermöglicht. Von diesem Gen gibt es im Erbgut eines Dingos wie auch beim Wolf nur ein Kopie. Bei Haushunden finden sich dagegen bis zu zwanzig Kopien davon. Die Forscher erklären das damit, dass sich Hunde an stärkehaltige Nahrungsmittel wie Reis angepasst haben, mit denen Menschen sie fütterten. Die wilden Dingos dagegen brauchen das nicht: Sie jagen Beuteltiere, Reptilien und auch Fische. Ballard, Professor für Genetik an der La-Trobe-Universität in Melbourne, zieht aus den neuen Erkenntnissen sogar den Schluss, dass die Dingos auch keine Schafe und andere Nutztiere mit hohen Fettanteilen reißen. Er fordert einen besseren Schutz der Dingos vor den Nachstellungen der Farmer.

Seine Dingos seien so zahm und liebevoll wie andere Hunde, sagt Barry Eggleton über Sandy, Eggie und Didi. Doch im Umgang seien Hunde eben wie Kinder, Dingos aber wie Erwachsene: "Sie brauchen uns nicht, um zu überleben."

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