Süddeutsche Zeitung

Digitale Rekonstruktion des Forum Romanum:Architektur der Macht

Facebook-Einladung zum Triumphzug? Wissenschaftler haben das Forum Romanum als 3-D-Modell für das Internet nachgebaut.

Von Christopher Schrader

Kennt zufälligerweise irgendjemand hier einen guten Traumdeuter", fragt Cäsar in seinem letzten Eintrag bei Facebook. "Meine liebe Gattin Calpurnia hatte die ganze Nacht Albträume von irgendwelchen Dolchen." Man schreibt die Iden des März im Jahr 710 römischer Zeitrechnung. Nach heutiger Konvention ist es der 15. März 44 vor Christus - Cäsars Todestag. Der Herrscher wird vor einer Senatssitzung erstochen. Kleopatra hat ihn, ebenfalls per Facebook, noch vor Brutus gewarnt, doch Cäsar fühlt sich sicher: "Keine Angst, der ist doch fast wie ein Sohn für mich!"

Wie bitte? Cäsar kommuniziert in den modernen sozialen Medien? Tatsächlich findet man ihn auf Facebook. Es ist die neueste Idee eines Projekts, Altertumsforschung in die Gegenwart zu heben. Zentraler Teil dieses Vorhabens von Archäologen um Susanne Muth von der Berliner Humboldt-Universität und des Deutschen Archäologischen Instituts in München ist eine digitale Version des Forum Romanum - eine Rekonstruktion, teilweise unter Einsatz aktueller Architekten-Software.

Als Basis diente dabei nicht nur das heute vorhandene Ruinenfeld aus der Spätantike. Es stammt schließlich aus einer Zeit, als das Römische Reich schon nicht mehr von Rom regiert wurde. Die Überreste hatte man im 19. und 20. Jahrhundert auf einem vergessenen Platz ausgegraben, den die Römer "campo vaccino" nannten - Kuhweide.

So sauber war das Forum nie

Das "Digitale Forum Romanum" der Berliner Forscher zeigt Europas Machtzentrum in sieben Epochen - von 200 Jahre vor bis 310 Jahre nach der Zeitenwende. "Diachroner Wandel", nennt Muth das. Elf weitere Epochen sollen folgen, sodass die Modelle 14 Jahrhunderte überspannen, vom Markt des königlichen Roms zum mittelalterlichen Steinbruch, von dem später Marmor für den Bau des Petersdoms geholt wurde. "Wenn ich geahnt hätte, wie viel Arbeit das wird, hätte ich die Finger davon gelassen", sagt Muth etwas kokett, denn auf das Ergebnis ist sie stolz.

Zu Recht, sagt Martin Zimmermann, Professor für alte Geschichte an der Universität München: "Das ist großartig, die Modelle stellen wirklich den aktuellsten Forschungsstand dar." Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: So sauber und ästhetisch sei das Forum aber nie gewesen, sondern bunt, schmutzig und belebt. "Augustus hat den Zustand, der seinem Todesjahr zugeordnet wird, nie so gesehen, weil es da ständig Baugerüste gab."

Seit dem vergangenen Herbst lässt sich die Arbeit im Internet erkunden (digitales-forum-romanum.de), und seit einigen Tagen auch in der Realität: Muths Arbeitsgruppe hat zwei Räume für eine Ausstellung bekommen. Sie waren eigentlich sogar schon 1912 dem damaligen Leiter zugesagt worden, aber vor allem die Weltkriege und die DDR-Zeit hatten die Fertigstellung behindert.

Einer der Räume enthält nun eine vor allem von Susanne Muths Studenten gestaltete Schau, die "einen Dialog von Virtualität und Realität erlauben soll", wie die Archäologin sagt. Dort gibt es zum Beispiel handfeste Modelle von zwei der digital rekonstruierten Epochen: der späten Republik gegen 100 v. Chr. und der frühen Kaiserzeit. Allerdings war letzteres Modell noch eine Baustelle, als die Ausstellung eröffnet wurde.

Einige Gebäude, als 3-D-Drucke bestellt, hatten sich durch den Poststreik verspätet. Die Studenten behalfen sich mit Bauarbeiterfiguren, wie sie für Modelleisenbahnen benutzt werden. Von den Nachwuchswissenschaftlern stammen auch die Facebook-Profile antiker Persönlichkeiten. Sie beleuchten das Leben und Wirken von Cato dem Älteren, Cicero, Augustus und Cäsar. Der Ton klingt mitunter frech, zum Beispiel wenn Cäsar schreibt: "Wissen die Leute eigentlich, dass ganz Gallien in drei Teile unterteilt ist? Ein spannendes Thema! Jemand sollte ein Buch darüber schreiben." Die Einträge beruhen aber auf Originalzitaten, auch Calpurnias Albträume sind verbürgt.

Die vier Politiker setzen sich und ihre Beziehung zum Forum so ins Szene, als hätten sie damals schon ständig per Smartphone kommuniziert. Sie beschreiben Reden, Bündnisse, Intrigen. Ihre Karrieren vom Quästor zum Konsul markieren sie als Statusänderungen. "Es sind Seiten wie die eines heutigen Politikers", erklärt die Studentin Jessica Sum, die aus Ciceros Werk Einträge im sozialen Netzwerk destilliert hat. Facebook erlaubt keine fiktiven Personen, und wir wollten nicht riskieren, dass unsere Arbeit einfach gelöscht wird."

"Niemand sollte einen Triumphzug verpassen"

Man kann sich also nicht mit den altrömischen Politikern befreunden, wohl aber ihre Seiten loben und Einträge kommentieren. Cäsar zum Beispiel hat aktuell 146 Gefällt-mir-Einträge, und als er das Volk zum Triumphzug für seinen Sieg in Spanien einlädt, kündigt eine Berliner Userin an, zu der Party zu kommen. Das Humboldt-Team lässt antworten: "Niemand sollte einen Triumphzug von Caesar verpassen: etwas Prächtigeres kann es nicht geben!"

Auch wenn der Feldherr nicht auf dem Forum starb, so hat sein Tod doch große Bedeutung dort: Sein Adoptivsohn Augustus ließ am östlichen Ende des Platzes einen Tempel für den vergöttlichten Cäsar errichten. Heute sind in Rom davon nur noch Reste von Fundamenten zu sehen.

Ein Exponat der Ausstellung erklärt darum, wie die Archäologen das Aussehen der Kultstätte rekonstruiert haben. Susanne Muth zeigt einen Tisch, der mit laminierten Unterlagen übersät ist: Fotos von Bruchstücken der Säulenkapitelle, Zeichnungen, Maßangaben und Schriftstücke. "Vitruv bemerkt zum Beispiel, dass die Interkolumnien, die Zwischenräume zwischen den Säulen, besonders eng waren", sagt die Archäologin. "Also ist es wahrscheinlich, dass die Front sechs statt vier Säulen hatte."

An der Front des Cäsar-Tempels ließ Augustus Rammsporne feindlicher Kriegsschiffe anbringen. Sie stammten vom Sieg seiner Flotte über Marcus Antonius und Kleopatra bei Actium. Falls hier die echten, auch Schiffsschnäbel genannten Holzteile angebracht waren, müssen sie geradezu brutal in den Platz hineingeragt haben, wie Vergleiche mit ähnlichen Befunden in Actium zeigen. Sie hätten dann die Zuschauer auf Distanz gehalten, wenn vom Tempel aus Reden gehalten wurden. Auf dieses Detail sei eine ihrer Mitarbeiterinnen, Erika Holter, bei der Rekonstruktion gestoßen, sagt Muth, bisher habe die Forschung daran kaum gedacht.

Trophäen auf dem Forum zu präsentieren, hatte damals lange Tradition. 300 Jahre zuvor hatte erstmals ein Feldherr Rammsporne an einer Tribüne anbringen lassen. Sie wurden Teil der politischen Kultur, denn die Rednertribüne hieß nun "Rostra" - der Plural des Worts für Schnabel. Das erste derartige Podium lag der digitalen Rekonstruktion zufolge in der nordwestlichen Ecke des Forums vor dem Gebäude des Senats, der Curia, die diagonal in den Platz ragte. Die Rostra waren ein gebogenes Podest mit Stufen zur Senatsseite und einer Brüstung zum Rest des Forums.

Ein kompletter Kreis wie in anderen antiken Städten dürfte es entgegen früherer Theorien nicht gewesen sein, zeigt das Modell, denn zum Senat hin stieg das Gelände an.

Die Architektur macht es Rednern schwer

"Ursprünglich sprachen die Redner hier zu der Menge, die sich zwischen Tribüne und Curia versammelt hatte", sagt Muth. "Es waren Volkstribunen, die sich als Erste vom Senat wegdrehten und die Menschen auf dem Platz ansprachen." Das Projekt zeigt Voraussetzungen und Folgen dieser politischen Volte. Zuerst hatte nämlich der offene Abwasserkanal Cloaca maxima abgedeckt werden müssen, damit das Forum als ein großer Platz funktionierte. Das war im zweiten Jahrhundert v. Chr. passiert.

Nun konnte die große Zeit der Oratoren beginnen. "Die rhetorische Kunst wurde stärker geschult und entschied über Karrieren, bei manchen sogar über das Leben", sagt Muth. Doch die Architektur des Forums machte es Rednern schwer. Die Archäologin hat akustische Messungen im digitalen Modell des Platzes gemacht. Sie zeigen, wie sich der Schall verliert, wenn Redner schräg über den länglichen Platz rufen.

Schon Cäsar hatte darum offenbar begonnen, die Rostra zu verlegen. Sie entstanden an der westlichen Querseite neu; Redner hatten nun den Concordia-Tempel und das Staatsarchiv Tabularium im Rücken und ihr Publikum entlang der Längsachse des Forums vor sich. Und weil schon zu Cäsars Zeit die Basiliken an den Längsseiten erneuert wurden - eine baute er selbst und benannte sie nach seinem Geschlecht, den Juliern -, erreichte der Schall Zuhörer hinten in der Menge besser.

"Wuchtige Architektur von unten"

Das Senatsgebäude wollte er nach einem Brand neu errichten lassen und dabei von der Tribüne wegrücken. "Bis dahin rieben sich auf dem Forum zwei konkurrierende Platzkonzepte, jetzt setzte sich eines durch", sagt Susanne Muth. Die Versammlung der Patrizier, so kann man es interpretieren, hatte damit ihre zentrale Stellung als Entscheidungsgremium, dem man politische Initiativen vorzutragen hatte, endgültig verloren.

Augustus ließ dann die ganze Architektur des Forums erneuern, als er unumstrittener Imperator des Römischen Reichs war. Das Humboldt-Modell zeigt, wie bis 14 n. Chr., seinem Todesjahr, praktisch alle Gebäude in die Höhe wuchsen, von den Rostra über den Saturn-Tempel und die Basiliken bis zum Senatsgebäude. In der Ausstellung kann der Besucher nun den Weg eines Redners über den Platz, vom Partherbogen im Osten zu den Rostra im Westen aus dessen Perspektive verfolgen.

"Es war uns wichtig, dass man die wuchtige Architektur von unten ansehen kann, wie ein damaliger Besucher des Forums", sagt Susanne Muth. Die Bebauung war im Kaiserreich darauf angelegt, das zeigt die Rekonstruktion, den Passanten einzuschüchtern und von Roms Glanz und Gloria zu künden, es als Zentrum der Welt zu präsentieren. Und Roms Zentrum war mehr als tausend Jahre lang das Forum.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2015/mahu
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