Suche nach dem Higgs-Teilchen:"Was haben wir?"

Für Physiker ist die Entdeckung des Higgs-Bosons ein sensationeller Durchbruch. Viele Laien fragen sich allerdings, was es denn mit dem Partikel eigentlich auf sich hat. Experten fällt es nicht leicht, das zu erklären. Der Generaldirektor des Cern, Rolf-Dieter Heuer, empfiehlt zum Beispiel, sich das Teilchen als eine Traube von Journalisten vorzustellen.

Christopher Schrader

Am Ende war es eine Frage der schieren Größe. Nur die gewaltigste Maschine des Planeten war in der Lage, das von Physikern seit fast 50 Jahren gesuchte Higgs-Teilchen zu entdecken. Immerhin hat der LHC-Beschleuniger am Forschungszentrum Cern einen Umfang von 27 Kilometern und kann subatomare Partikel mit der Wucht eines Güterzugs verschießen. Kleinere und schwächere Vorläufer des LHC waren ein ums andere Mal daran gescheitert, das Elementarteilchen dingfest zu machen.

Das Higgs-Teilchen ist für die moderne Physik so wichtig geworden, weil es das theoretische Gebäude über die Vielzahl kleinster Bausteine der Materie abschließt. Die ordnenden Prinzipien dieses Zoos nennt die Physik das Standardmodell. Es ist in vielen Details eindrucksvoll experimentell bestätigt, aber bei einer Frage klaffte eine Lücke: Woher haben die Partikel ihre Masse?

Theoretisch haben sich damit im Jahr 1964 Physiker aus Schottland, Belgien sowie England und Neuengland befasst. Einer von ihnen war Peter Higgs aus Edinburgh. Er postulierte eine Art Kraftfeld, das den Raum erfüllt und jedem Partikel darin seine Masse verleiht. Sein erster Forschungsaufsatz sei von einer Fachzeitschrift abgelehnt worden, so erzählt er.

Erst die zweite Fassung erschien - fast gleichzeitig mit den Arbeiten des belgischen und britisch-amerikanischen Teams. Higgs' Name blieb mit dem Mechanismus verbunden, obwohl sein Aufsatz als zweiter der drei erschienen war. Aber Higgs hatte auch aufgezeigt, dass sich das Feld in einem Teilchen manifestiert.

Die Suche danach hat Experimentalphysiker seither beschäftigt. Zum Beispiel fragten sich die Mitarbeiter am Hamburger Beschleuniger Doris 1984, ob sie mit einem Messgerät namens Crystal Ball das Higgs gefunden hätten. Die Energie, die ihnen zur Verfügung stand, erwies sich aber als viel zu gering. Ihre Kollegen am in Genf waren im Jahr 2000 näher dran.

Das Vorgängermodell des LHC, genannt LEP (Large Electron-Positron Collider), sollte schon demontiert werden, doch die Physiker erreichten einen Aufschub mit dem Argument, womöglich dem Higgs auf der Spur zu sein. Am Ende konnten sie nur eine untere Grenze für dessen Masse formulieren; die Leistungsfähigkeit des LEP war am Anschlag.

Zuvor nur vage Hinweise

Die Kollegen am amerikanischen Tevatron nahe Chicago schließlich hatten zwar genug Energie, ihr Instrumentarium reichte aber nicht. Sie haben am Dienstag noch die letzte Auswertung der Daten ihrer seit September 2011 abgeschalteten, sechs Kilometer großen Maschine vorgelegt. Es waren nur vage Hinweise auf die Existenz des Higgs.

Suche nach dem Higgs-Teilchen: Fabiola Gianotti vom Atlas-Experiment und Joe Incandela, Sprecher des CMS-Experiments, bei der Vorstellung ihrer Daten am Cern. Es sieht so aus, als hätten sie ein Higgs-Boson entdeckt.

Fabiola Gianotti vom Atlas-Experiment und Joe Incandela, Sprecher des CMS-Experiments, bei der Vorstellung ihrer Daten am Cern. Es sieht so aus, als hätten sie ein Higgs-Boson entdeckt.

(Foto: AP)

Was dieses Teilchen bewirkt, hat an diesem Mittwoch der Generaldirektor des Cern, der Deutsche Rolf-Dieter Heuer, der Weltpresse mit einer Metapher erklärt. Das Higgs-Feld entspreche einem Saal voller Journalisten. Wispert jemand ein Gerücht hinein, versammeln sich die Presseleute, um darüber zu sprechen. Ihre Trauben wären dann Higgs-Teilchen.

Durchquert später ein Unbekannter den Raum, ignorieren ihn die Medienvertreter, er kann also seinen Weg ungehindert fortsetzen. Kommt aber ein Prominenter herein, treten ihm die Journalisten entgegen und stellen Fragen. "Er wird also langsamer und bekommt sozusagen Masse", so Heuer. "Peter Higgs war darum ganz schön schwer, als er eben hereinkam."

Higgs selbst war nämlich wie einige seiner weniger bekannt gewordenen Kollegen nach Genf gekommen, um die Bekanntgabe zu verfolgen. Er wirkte während der Vorträge, als müsse er Tränen der Rührung unterdrücken. Am Ende gratulierte der 83-Jährige und freute sich, "dass das noch zu meiner Lebenszeit passiert". Kommentieren und einordnen wollte er den Fund nicht, "heute geht es um den experimentellen Erfolg, es wäre unpassend, wenn ich mehr dazu sagte".

Viel hätte er wohl auch nicht sagen können. Die Experimentalphysiker selbst wissen noch nicht viel über ihr neues Teilchen, zum Beispiel welche Eigenschaften es hat. "Als Laie würde ich sagen: Wir haben es", fasste Heuer die Situation unter dem Jubel der Cern-Physiker zusammen. "Als Wissenschaftler würde ich fragen: Was haben wir?"

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