Die Bundeswehr im Kalten Krieg:Atombombe im Rucksack

Die nuklearen Pläne der Bundeswehr im Kalten Krieg waren aberwitzig. Selbst der Einsatz von Atomminen war Kernbestandteil der Überlegungen bis in die siebziger Jahre.

Wigbert Benz

Atomwaffen seien lediglich die Weiterentwicklung der Artillerie. Diese verharmlosende Charakterisierung durch Konrad Adenauer ist bekannt. Und auch die scheinbare Sensationsmeldung des Nachrichtenmagazins Focus, der Historiker Detlef Bald habe herausgefunden, dass in der Bundesrepublik "ab Mitte der sechziger Jahre Atombomben lagerten", ist so neu nicht.

Die Bundeswehr im Kalten Krieg: Nach seinem Amtsantritt als Bundesverteidigungsminister 1969 spricht sich Helmut Schmidt gegen einen Einsatz atomarer Waffen ohne Zustimmung der Regierungen aus.

Nach seinem Amtsantritt als Bundesverteidigungsminister 1969 spricht sich Helmut Schmidt gegen einen Einsatz atomarer Waffen ohne Zustimmung der Regierungen aus.

(Foto: Foto: dpa)

Bei Bundeswehrsoldaten galt damals ein Atomminengürtel an der "Zonengrenze" als offenes Geheimnis. Die Pläne des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr, Heinz Trettner, der 1964 auf einer Nato-Tagung in Paris einen Sperrgürtel von "Atomic Demolition Munition" (ADM) in "geringer Entfernung von der Zonengrenze" gefordert hat, seien allerdings nach Protesten der betroffenen Bundesländer vom Tisch gewesen, so Der Spiegel noch 20 Jahre später, am 27. August 1984.

Das Neue und Spannende an Balds Studie ist nun der Nachweis, dass der Minengürtel keinesfalls nur ein Phänomen des Jahres 1964 war. Bald belegt dies durch Zeitzeugenbefragungen und erstmals einsehbare, aber nur teilweise zitierbare Akten im "Bundesarchiv-Militärarchiv". Der Einsatz von ADM-Waffen war Kernbestandteil der Bundeswehr-Planungen bis in die siebziger Jahre.

Dabei ging es nicht in erster Linie um den medienwirksamen "Minengürtel". ADM-Waffen sollten mit kleinen Fahrzeugen, Hubschraubern oder Personen zum Einsatzort transportiert werden. Sie entsprachen der erwünschten multifunktionalen Mobilität, kaum 40 Kilogramm schwer, konnten sie sogar von einem Soldaten im Rucksack transportiert werden.

Am Kartentisch von Hitler

Unter den christdemokratischen Kanzlern Adenauer, Erhard und Kiesinger hatte die Bundeswehr das Recht, im Ernstfall taktische Atomwaffen direkt beim europäischen Nato-Hauptquartier anzufordern und einzusetzen. Zudem war eine entsprechende Dislozierung atomarer Landminen an der "Zonengrenze" bereits erfolgt.

Dies war die Situation, die Helmut Schmidt beim Amtsantritt als Verteidigungsminister 1969 vorfand. Noch am 18. September 1968 hatten US-Präsident Johnson und Kiesinger ein entsprechendes Geheimabkommen unterschrieben.

Der US-Präsident war befugt, an den Befehlshaber des Nato-Hauptquartiers die Kompetenz abzutreten, taktische Atomwaffen einzusetzen. Deutsche Korpskommandeure konnten die Freigabe der Atomwaffen anfordern, ohne dass die deutsche Regierung informiert werden musste.

Atombombe im Rucksack

Die Initiative zu dieser Atomoption ging von ehemaligen Wehrmachtsgenerälen wie Hans Speidel, Heinz Trettner und Adolf Heusinger aus. Letzterer hatte schon den Ostfeldzug Hitlers als Chef der Operationsabteilung im Oberkommando des Heeres mit geplant.

Die Bundeswehr im Kalten Krieg: Der Atomkrieg in Europa war einkalkuliert. Mit nuklear bestückten Pershing-II-Raketen und "taktischen" Atomminen sollte der Gegner aufgehalten werden.

Der Atomkrieg in Europa war einkalkuliert. Mit nuklear bestückten Pershing-II-Raketen und "taktischen" Atomminen sollte der Gegner aufgehalten werden.

(Foto: Foto: AP)

Eine niedere Schwelle zum Ersteinsatz taktischer Atomwaffen unter Inkaufnahme von Millionen Opfern auf deutschem Territorium sollte die Sowjetunion von einem Krieg abhalten. Helmut Schmidt brachte dieses Denken bei der Befragung durch den Autor auf die Formel, die Generale der Bundeswehr "standen am Kartentisch von Adolf Nazi, dem Führer".

Als Verteidigungsminister verwarf Schmidt, unterstützt von Generalinspekteur Ulrich de Maizière, das Konzept der Bundeswehr, die politische Beratung auf die Zeit vor der Krise zu beschränken. Schmidt veranlasste eine Reform mit obligatorischem Universitätsstudium für Offiziere und versetzte eine Reihe von Generalen in den Ruhestand.

In Kooperation mit US-Verteidigungsminister Melvin Laird erreichte er die Beseitigung der atomaren Landminen und sorgte in den Nato-Gremien dafür, dass kein Einsatz atomarer Waffen ohne Zustimmung der Regierungen erfolgen konnte.

"Jeder atomare Krieg", betont Schmidt in seinem Vorwort, "hätte große Teile des deutschen Volkes ausgelöscht." Am 23.Oktober 1973 wurden in den "Deutschen Einsatzbeschränkungen für ADM" die "Four German No's" für die Nato verbindlich eingeführt und in einem vertraulichen Briefwechsel von Bundeskanzler Brandt mit US-Präsident Nixon im April 1974 bestätigt.

Die Punkte waren: 1. Kein Atomminen-Gürtel an der Grenze; 2. Keine Vorab-Delegation der politischen Entscheidungsgewalt zum Atomwaffeneinsatz an eine militärische Kommandobehörde; 3. Keine militärischen Planungen ohne Schutz der Zivilbevölkerung; 4. Keine Vorbereitung von Sprengkammern oder -schächten in Friedenszeiten. Wie wichtig diese Festlegungen waren, zeigt, dass noch 1970 bei einer neuen Rheinbrücke in Düsseldorf, der "Kniebrücke", Kammern für nukleare Sprengladungen angebracht werden sollten. In Düsseldorf entstand dann, so de Maizière, "die erste Rheinbrücke ohne Sprengkammern".

DETLEF BALD: Politik der Verantwortung. Das Beispiel Helmut Schmidt. Das Primat des Politischen über das Militärische 1965-1975. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Berlin, Aufbau Verlag 2008. 288 Seiten, 22,95 Euro.

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