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Wissenschaftliches Fehlverhalten:DFG und Neurowissenschaftler Birbaumer beenden Rechtsstreit durch Vergleich

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Die Maßnahmen gegen ihn hätten jedoch in großen Teilen Bestand, betont die Forschungsförderorganisation.

Von Hanno Charisius

Der 2020 begonnene Rechtsstreit zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Tübinger Hirnforscher Niels Birbaumer ist mit einem Vergleich zu Ende gegangen. Dies teilte die DFG am Dienstag mit. Der Hauptausschuss der Forschungsförderorganisation stimmte bereits in seiner Sitzung vom 25. März 2022 einem Vergleichsentwurf zu, der nun wirksam geworden ist. Mit ihm hat eine frühere Entscheidung des Hauptausschusses der DFG gegen Birbaumer wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens in großen Teilen Bestand, heißt es in der Mitteilung.

Als Rehabilitierung des Wissenschaftlers wertet die Organisation diesen Vorgang nicht. Die Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen Birbaumer in mehreren Stellen zweier Studien blieben bestehen, sagte ein DFG-Sprecher. "Zur Vermeidung eines langwierigen Rechtsstreits" hätten sich die Parteien auf eine gütliche Einigung verständigt, heißt es in der Mitteilung der DFG. Demnach verkürzt sich die Dauer der Sperre, nach der Birbaumer keine Anträge bei der DFG stellen und nicht mehr als Gutachter tätig sein darf, um gut eineinhalb Jahre. Die Maßnahmen gegen Birbaumer enden am 1. Januar 2023.

Mit einer Forschergruppe hatte Birbaumer 2014 Untersuchungen an Patienten mit der Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) durchgeführt. Die vollständig gelähmten und sprachunfähigen Menschen sollten Fragen in Gedanken beantworten, während die Wissenschaftler mit einer Kopfhaube und Computern ihre Hirnaktivität maßen. Laut Birbaumer ist auf diese Weise eine Kommunikation möglich. Die Ergebnisse veröffentlichte er im Fachmagazin Plos Biology.

Fachleute bestätigten die Mängel

Bereits vor der Veröffentlichung hatte ein Mitarbeiter der Universität Tübingen auf gravierende Mängel der Datenauswertung hingewiesen. Das Fachjournal zog die Veröffentlichung schließlich zurück. Auch das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat den Fall ausführlich recherchiert. Fachleute auf dem Gebiet der Gehirn-Computer-Schnittstellen bestätigten die Mängel der Studie von 2017. Eine Untersuchungskommission der Universität Tübingen kam zu dem Schluss, dass sich die publizierten Ergebnisse in vielen Fällen "nicht auf das vorhandene Datenmaterial zurückführen" ließen. Im September 2019 stellte auch der Hauptausschuss der DFG in mehreren Fällen wissenschaftliches Fehlverhalten Birbaumers und seines Mitarbeiters Ujwal Chaudhary fest. Birbaumer durfte in der Folge fünf Jahre lang keine Förderanträge bei der DFG stellen und nicht als Gutachter arbeiten. Die DFG behielt sich vor, Fördermittel zurückzufordern. Gegen die von der DFG verhängten Maßnahmen hatte Birbaumer im Jahr 2020 juristische Schritte eingeleitet.

Vor einigen Tagen hatte Birbaumer mit Kollegen eine weitere Studie publiziert, laut der es dem Team gelungen war, mit einem vollständig gelähmten und sprachunfähigen Menschen zu kommunizieren. Das dabei eingesetzte Verfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von der früheren Methode. Dennoch äußerte sich Birbaumer gegenüber Medien dahingehend, dass er damit den Fall gewonnen habe und die gegen ihn erhobenen Maßnahmen eingestellt werden müssten.

Die DFG betont in ihrer Mitteilung nun, dass diese Auffassung Birbaumers nicht den Tatsachen entspreche. "In seiner Beratung brachte entsprechend auch der Hauptausschuss seine Verwunderung über die vorangegangenen Abläufe zum Ausdruck. Zugleich äußerte er in deutlicher Form Kritik an den kolportierten Äußerungen zum Stand des Verfahrens und einer angeblichen Rehabilitierung Birbaumers." Dennoch stimmte das Gremium der zuvor vereinbarten Beilegung des Rechtsstreits zu.

Mit Material von dpa

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