Deutschland hat nach Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende sein selbst gestecktes Klimaziel im vergangenen Jahr erreicht – europäische Vorgaben aber verfehlt. Grund seien fehlende Fortschritte in den Bereichen Gebäude und Verkehr, heißt es in einem in Berlin veröffentlichten Bericht.
Im vergangenen Jahr habe Deutschland 656 Millionen Tonnen an sogenannten CO₂-Äquivalenten ausgestoßen, heißt es in der Studie. Das sind knapp drei Prozent weniger als im Vorjahr mit 674 Millionen Tonnen. Agora Energiewende stützt sich für den Bericht auf Daten und Schätzungen von Energieverbänden und Forschungsinstituten. Zur besseren Vergleichbarkeit werden andere Treibhausgase in Kohlendioxid (CO₂) umgerechnet.
Die Zahl würde einen neuen historischen Tiefstand darstellen. Die Emissionen wären damit das dritte Jahr in Folge gesunken. Ähnlich niedrig seien sie zuletzt in den 1950er-Jahren gewesen. Im Vergleich zu 1990 wäre der deutsche Treibhausgas-Ausstoß damit um 48 Prozent gesunken.
Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, seinen Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Bis 2045 will Deutschland klimaneutral sein, also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als wieder gespeichert werden können. Nach europäisch vereinbarten Vorgaben wiederum muss Deutschland seine Emissionen bis 2030 um die Hälfte senken - allerdings im Vergleich zu 2005.
Mängel in drei Bereichen
Das EU-Klimaziel hat die Bundesrepublik nach Einschätzung der Denkfabrik um zwölf Millionen Tonnen CO₂ verfehlt. „Wenn Deutschland sein europäisches Emissionsbudget bis 2030 reißt, drohen Strafzahlungen an Brüssel“, sagte Agora-Chef Simon Müller. Er spricht von einem „Mangel an strukturellem Klimaschutz in den Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr“. Eine „Verunsicherung bei Haushalten und Unternehmen“ habe zu Zurückhaltung bei Investitionen geführt.
Im Gebäudebereich sanken die Emissionen der Studie zufolge um zwei Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr. Das sei aber vor allem der milden Witterung mit niedrigerem Heizbedarf geschuldet. Das im deutschen Klimaschutzgesetz festgelegte Unterziel für den Gebäudebereich wurde demnach um neun Millionen Tonnen CO₂ überschritten.
Auch im Verkehr seien die Emissionen um zwei Millionen Tonnen gesunken, jedoch wurde das gesetzliche Unterziel um 19 Millionen Tonnen gerissen. Wegen der Wirtschaftsflaute habe es geringeren Lkw-Verkehr gegeben, der Pkw-Verkehr hingegen habe zugelegt.
In der Industrie stiegen die Emissionen trotz schlechter Wirtschaftslage sogar um drei Millionen Tonnen CO₂ an, was Agora besonders auf einen höheren Verbrauch fossiler Brennstoffe in der energieintensiven Industrie zurückführt. Das deutsche Klimaziel habe der Sektor aber um zehn Millionen Tonnen CO₂ unterschritten und damit geschafft.
Warum der Treibhausgas-Ausstoß gesunken ist
Den Löwenanteil von 80 Prozent an den fallenden Emissionen verorten die Autoren des Berichts in der Energiewirtschaft mit der Umstellung auf erneuerbare. So seien im vergangenen Jahr Kohlekraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 6,1 Gigawatt stillgelegt worden, was 16 Prozent der installierten Kohle-Kapazität entsprochen habe. Zugleich seien 55 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch erneuerbare gedeckt worden, die auch bei den gestiegenen Importen knapp die Hälfte ausmachten. Das milde Wetter und die schwächelnde Wirtschaft hätten ebenso eine Rolle gespielt.
Die nächste Bundesregierung sollte aus Sicht Müllers Anreize für mehr Klimaschutz setzen. So könnten etwa Betreiber von Wärmepumpen weniger Netzentgelte für den Strom bezahlen müssen. Für Elektroautos könnten die Steuerregelungen vorteilhafter gestaltet werden: Gerade kleine E-Autos seien im Vergleich zum Verbrenner auf die gesamte Lebensdauer noch teurer, hier könne eine gezielte Förderung helfen. Und mit einer Kaufprämie auch für gebrauchte E-Pkws könnten sich zugleich mehr Menschen Elektroautos leisten.