Deutscher Zukunftspreis:Im Dickicht der Lupinen

Gewinner des Deutschen Zukunftspreises 2014

Vom Acker direkt auf den Teller: Blühendes Lupinenfeld.

(Foto: Ansgar Pudenz/Dt. Zukunftspreis)

Fraunhofer-Forscher haben in diesem Jahr den Deutschen Zukunftspreis für ein Verfahren erhalten, das Eiweiß aus Lupinen gewinnt. Nun gibt es Protest: Ähnliches sei schon vor 20 Jahren gelungen.

Von Christopher Schrader

Am Ende haben die Blüten gewonnen - die Blüten der Blauen Lupine. Aus dem Samen dieser im Mittelmeerraum verbreiteten, krautigen Pflanze lässt sich ein Eiweiß gewinnen, das Milchprodukte und Fleisch ersetzen kann.

Was für ein Symbol: Den Deutschen Zukunftspreis, den mit 250 000 Euro dotierten "Preis des Bundespräsidenten für Technik und Innovation", gewinnen in diesem Jahr Öko-Lebensmittel - und nicht hochtechnologische Entwicklungen der Pharma-, Metall- oder Elektronikindustrie. Ein Team des Fraunhofer-Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung (IVV) sowie der Firma Prolupin konnte sich Mitte November über die Auszeichnung freuen. Die Forscher hatten ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ein hochwertiges, neutral schmeckendes Protein aus der Blauen Lupine gewinnen lässt.

Den Preis an Lebensmitteltechniker zu vergeben, bedeutet allerdings auch, dass die prämierten Entwicklungen eine lange Vorgeschichte haben. Während niemand Stahl am eigenen Herd kocht und niemand Prüfroboter für Pharma-Wirkstoffe im Gartenschuppen baut, braucht es für die Verarbeitung von Lupinensamen weniger monströse Apparaturen. In der Szene der Biofreunde und Vegetarier haben sich schon viele mit der Pflanze beschäftigt.

Glückliches Missgeschick

Darum ist dies ist nicht die Geschichte einer singulären Entdeckung, sondern die Geschichte von mindestens zwei Erfinderteams, die im Abstand von 20 Jahren das Gleiche wollten: Lebensmittel tierischer Herkunft wie Milch oder Eier durch Proteine aus Lupinen zu ersetzen. In beiden Fällen war das Ziel, dass die ökologischen Vorteile des Anbaus sich nicht geschmacklich auswirken. Eines der Teams war zu früh dran, um eine strahlende Zukunft zu erleben, das andere wurde nun mit dem Zukunftspreis ausgezeichnet.

Lupinen werden oft unterschätzt. Wie bei Bohnen, Linsen, Erbsen und Erdnüssen sind die Samen von Lupinen sehr eiweißreich. Außerdem treiben sie ihre Wurzeln tief in die Erde, lockern diese auf und reichern sie mit düngendem Stickstoff an. Den können die Gewächse dank ihrer Symbiose mit spezialisierten Bakterien in den Wurzelknollen aus der Luft entnehmen - ein Kunststück, das nur wenigen Pflanzen gelingt. Auch für den Bauern, der die Lupinen gar nicht ernten möchte, ist ihr Anbau also ein Gewinn.

Unter Veganern sind die Lupinen längst als Lebensmittel bekannt. Ein Unternehmen im Schwarzwald bietet zum Beispiel eine fermentierte Paste nach Art des japanischen Miso an. In der Schweiz und in Frankreich gibt es Lupinen-Proteinmehl zu kaufen. Hierzulande sind Brotaufstriche aus Lupinen sowie "Schnitzel" und "Cocktail-Würstchen" für jene Esser auf dem Markt, die auf Fleisch, aber nicht auf dessen Anmutung und Konsistenz verzichten wollen.

"Produkt des Jahres" 1995

Die Samen enthalten auch essentielle Aminosäuren. Vielen Entwicklern ist das nicht genug. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, das Eiweiß aus den Lupinen zu isolieren - ohne Pflanzen-Milch oder -Milchprodukte mit dem typischen Aroma von Hülsenfrüchten zu bekommen. Einer von ihnen war Paul Bremer aus der Nähe von Bremerhaven. Er hatte dort eine Firma, die Tofu erzeugte - eine Art schnittfesten Quark aus Sojabohnen. Ende der 1980er-Jahre experimentierte Bremer mit den Samen der Weißen Lupine, die er als "Königin" bezeichnet: "Sie hatte damals den höchsten Eiweißgehalt und viel weniger Aroma- und Bitterstoffe als die Blaue." 2500 Experimente habe er gebraucht, um einen Herstellungsprozess zu entwickeln, erzählt er. Schließlich half ein glückliches Versehen: Eine Lupinenpampe war übergekocht.

Am Ende sah das Verfahren so aus: Die eingeweichten Samen mussten quellen und wurden dann vermahlen, mit Wasser angerührt und ausgepresst, um eine Art Milch zu erzeugen. Diese wurde erhitzt, bis die Proteine abgeschöpft werden konnten. Die unerwünschten Aromastoffe seien dabei weitgehend in dem zurückgeblieben, was in der Milchwirtschaft Molke heißt, sagt Bremer. Das abgeschöpfte Eiweiß ließ sich zu einer quarkähnlichen Masse verdichten.

1990 meldete der Erfinder die Methode zum Patent an, erst in Deutschland, dann in weiteren europäischen Ländern. Er entwickelte mit einem Verfahrenstechniker der örtlichen Hochschule eine Anlage, um den Lupinen-Tofu für Bioläden zu produzieren. 1995 kam seine Firma Geestland damit auf dem Markt, Markenname "Lopino". Er erhielt einen Preis für das "Produkt des Jahres" auf einer Fachmesse, über die Neuheit berichteten nicht nur die Süddeutsche Zeitung, sondern auch Wall Street Journal, Zeit und Bild.

Pilzkrankheit bedrohte Lupinen-Ernte

Doch bald stockte die Karriere der Lupine: Geestland hatte, so schildert es Bremer, Probleme damit, Produktion und Produktpalette auszuweiten. Große Lebensmittelkonzerne hätten sich für sein Patent interessiert, der Consulting-Zweig der Fraunhofer-Gesellschaft bot sich an, Kontakte herzustellen. Doch der Erfinder konnte sich mit niemandem einigen.

Und dann kam Ende der 1990er-Jahre die Pilzkrankheit Anthraknose. Sie befiel Lupinenfelder in ganz Europa. "Die Keime waren in den Samen enthalten, und beim Ausweiten der Produktion hatte man wohl nicht aufgepasst", sagt Elke zu Münster, die in Hamburg die Beratungsfirma Brotbüro betreibt. "Die Stängel verwelkten und knickten ab. Es gab kaum noch gute Samen aus Europa zu kaufen." Die Produzenten in Australien wurden ihrerseits von Dürre gelähmt, wodurch auch der Import versiegte.

Nur für die Blaue Lupine, die dank ihres größeren Gehalts an Aroma- und Bitterstoffen weniger empfindlich war, hätten sich Züchter bemüht, den Pflanzen eine Resistenz gegen den Pilz beizubringen, sagt Elke zu Münster. Erst in jüngster Zeit gebe es auch wieder stabile Ernten von Samen der Weißen Lupine. Aus ihnen fertigen heute Biofirmen Produkte, oft ohne die Aromastoffe aufwendig zu entfernen.

Für Bremers Verfahren aber bedeutete die Pilzkrankheit das Aus. Geestland ging in die Insolvenz, 2004 ließ der Erfinder sein Patent verfallen. Lopino-Tofu blieb bis 2008 auf dem Markt, produziert in wechselnden Betrieben aus zusammengekratzten Rohstoffen.

Störende Aromen, selbst bei großer Verdünnung

Peter Eisner kennt Bremers Namen, obwohl er ihn nie getroffen hat. Eisner gehört zu dem Team, das am 19. November vom Bundespräsidenten den Zukunftspreis bekommen hat. Er arbeitet am Fraunhofer-Institut IVV in Freising, wo die Proteine aus einer auf Resistenz gezüchteten Blauen Lupine isoliert wurden. Das Institut habe ebenfalls bereits in den 1980er-Jahren mit den Pflanzen gearbeitet, sagt er, "wir waren aber sicherlich auch nicht die Ersten, die sich mit der Lupine beschäftigt haben". In dieser Branche kannte man auch die Firma Geestland.

Nach der Anthraknose-Krise konzentrierte sich Eisners Institut auf die Blaue Lupine. "Bevor wir aber anfangen konnten, Lebensmittel daraus zu erzeugen, mussten wir einen Weg finden, die störenden Aromen zu entfernen", sagt er. Das wäre seiner Ansicht nach auch bei Weißen Lupinen kaum anders gewesen. Seine Kollegin Stephanie Mittermaier habe sich darum gekümmert, die zum Siegerteam des Zukunftspreises gehörte. Sie fand ungefähr 50 verschiedene Stoffe, von denen die Hälfte auch in großer Verdünnung noch deutlich wahrzunehmen waren.

Dann suchte die Forscherin nach einem Verfahren, die Aromen aus den Samen zu entfernen. Die Körner wurden geschält, zu Flocken zerrieben und schließlich mit sogenanntem überkritischem Kohlendioxid behandelt. Das CO₂ steht unter hohem Druck und verhält sich bei Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius wie eine Flüssigkeit. Es entfernt Öle und damit die meisten störenden Aromen; einen Großteil der restlichen Geschmackstoffe bannt dann ein angesäuertes Wasserbad. Danach erzeugte das Team eine Maische aus den Flocken, aus der die Proteine ausgefällt werden.

Pflanzliche Lebensmittel auch ohne Biosiegel

Im Prinzip, sagt Eisner, könnten die Eiweiße dann auch frisch verarbeitet werden wie einst bei Paul Bremers Lopino. Doch das Team entschied sich anders und lässt das Protein nun zu einem Pulver trocknen. Das sei für "sensorisch anspruchsvolle" Anwendungen unvermeidbar. "Dabei werden noch einmal viele Aromen abgetrennt", sagt der Freisinger Forscher. "Wenn Sie im Abluftstrom des Trockners stehen, riechen Sie immer noch den Hauch von Pflanzen."

Diesen Ablauf erprobten die Fraunhofer-Leute zuerst im Labor, dann in der institutseigenen Produktionsanlage, die schon fast kommerzielle Dimensionen erreicht. Schließlich gründete Eisner mit einigen Kollegen in Vorpommern die Firma Prolupin, um das Eiweiß und Produkte daraus herzustellen und zu vermarkten; Katrin Petersen, die Dritte im Zukunftspreis-Team, übernahm die Geschäftsführung.

Die Herkunft der Rohstoffe schließt eine Vermarktung als Bioprodukt aus, aber das war auch nie Anspruch der Entwickler. "Wir wollen den Menschen die Hürde nehmen, pflanzliche Lebensmittel zu probieren", sagt Eisner. "Und dafür müssen die zunächst einmal schmecken und dürfen nicht gleich Irritation erzeugen." Inzwischen erprobt das Team im Institut auch, das Pulver so mit Wasser anzurühren, dass die Textur der schnittfesten Paste an Fleisch erinnert. Den Geschmack könnten die Entwickler dann mit Gewürzen und Zusatzstoffen frei bestimmen.

Proteste anderer Hersteller gegen Zukunftspreis-Jury

Dass nun die Fraunhofer-Forscher ausgezeichnet wurden, die auf den konventionellen Lebensmittelmarkt zielen, hat unter Bioproduzenten Ärger ausgelöst. Die Schwarzwälder Miso-Produzenten etwa reklamierten auf ihrer Webseite, sie hätten ebenfalls ausgezeichnet werden müssen - obwohl sie nicht das prämierte neutrale Protein produzieren, sondern den aromareichen Geschmacksverstärker Miso. Auch Paul Bremer fragt, was genau denn das Innovative an der Freisinger Entwicklung gewesen sei.

Aus der Jury wird hierzu auf das sorgsame Entfernen der Aromastoffe verwiesen. Die Tüftler aus der Bioszene erwidern dann, beim Einsatz der dort bevorzugten Weißen Lupine sei dieser Aufwand kaum nötig gewesen. Was davon stimmt, lässt sich kaum objektiv klären. Jedenfalls haben die Preisrichter nach eigener Aussage nicht einseitig Forscher etablierter Institute bevorzugt. Die Jury habe breiteste Informationen über das Umfeld der nominierten Teams und die Vorgeschichte gehabt, heißt es dort.

Auszeichnung für neutralen Geschmack

Der Jury-Vorsitzende, Ferdi Schüth vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim, sagt: "Die Jury war sich bewusst darüber, dass es bereits frühere Versuche zur Nutzung von Lupineneiweiß gegeben hat. Beim ausgezeichneten Team wurde aber nicht ein einzelnes Produkt ausgezeichnet, sondern die Etablierung einer Prozesskette."

Hinter dem Dissens über Verfahren und Prioritäten stehen in diesem Fall auch unvereinbare Ziele. Die Biohersteller wenden sich an ein Publikum, das die Pflanzenprodukte gerade wegen ihrer Herkunft kauft und kein grundsätzliches Problem damit hat, wenn die Eiweiße ungewohnt, also entfernt nach Hülsenfrucht schmecken. Das Fraunhofer-Team hingegen will mit dem "neutralen Geschmack" ihres Proteins eine Millionenkundschaft erreichen, die es trotz seiner Herkunft konsumieren soll.

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