Depression und Leistungssport:"Stress allein reicht nicht"

Nach dem Suizidversuch des Schiedsrichters Babak Rafati wird diskutiert, ob Menschen in Hochleistungsmilieus wie Sport oder Wirtschaft psychisch besonders gefährdet sind. Psychiater Ulrich Hegerl von der Uni Leipzig widerspricht.

Christian Weber

Ulrich Hegerl leitet die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie der Universität Leipzig und ist Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Urlich Hegerl

Urlich Hegerl: "Es kann schon mal sein, dass chronische Überforderung eine Depression auslöst, das ist aber nicht die Regel."

(Foto: Stiftung Deutsche Depressionshilfe)

SZ: Der Suizid Robert Enkes vor zwei Jahren, jetzt der Versuch des Schiedsrichters Babak Rafati: Sind Menschen in den Hochleistungsmilieus des Sports oder auch der Wirtschaft psychisch besonders gefährdet?

Hegerl: Nein, dafür gibt es keine Hinweise. Wahrscheinlich ist es sogar eher umgekehrt. Langzeitarbeitslose zum Beispiel erkranken häufiger an Depressionen, die ja fast immer hinter einem Suizid stehen. Wer in Spitzenpositionen gelangt, ist meistens nicht von schweren Erkrankungen geplagt.

SZ: Nach einer Studie der Universität Tübingen klagt immerhin jeder fünfte Leistungssportler gelegentlich über Depressionen.

Hegerl: Das gilt für andere Menschen auch, schließlich erkranken etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen mindestens einmal im Leben an einer Depression.

SZ: Ist es nicht naheliegend, dass der besondere Stress und Leistungsdruck psychische Krankheiten begünstigt?

Hegerl: So einfach ist es nicht. Es kann schon mal sein, dass chronische Überforderung eine Depression auslöst, das ist aber nicht die Regel. Das Leben bietet viele Auslöser für diese Krankheit: Das kann ein Misserfolg sein, ein Partnerschaftskonflikt, ein Trauerfall. Aber auch positive Ereignisse können triggern: eine bestandene Prüfung, ein Umzug, Urlaubsantritte. Und mancher rutscht ohne irgendeinen Auslöser in eine Depression. Die Vorstellung, dass der Stress im Hochleistungsbereich vermehrt psychische Störungen auslöst, stimmt so einfach nicht.

SZ: Depressive klagen häufig über Überforderung.

Hegerl: Ja, den Betroffenen fällt bereits das Aufstehen und das Zähneputzen schwer, das ist aber ein Teil der Symptomatik. Schwer Depressive können sich nicht mehr selbst versorgen, essen und trinken nicht mehr. Das intensive Gefühl der Überforderung besteht bei jeder Depression, auch wenn keine tatsächliche äußere Überforderung vorausgegangen ist.

SZ: Ihre Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat nach dem Tod von Enke dennoch ein eigenes Referat Sportpsychiatrie eingerichtet.

Hegerl: Weil der Umgang mit Depressionen im Hochleistungsbereich besonders problematisch ist. Dort tut man sich noch schwerer als sonst in unserer Gesellschaft, offen und professionell mit der Krankheit umzugehen, und deshalb ist der Weg zu einer Behandlung noch schwieriger.

SZ: Immerhin ist es geradezu in Mode gekommen, sich zu seinem Burn-out zu bekennen.

Hegerl:Das ist ein Begriff ohne klare Diagnosekriterien, der eher Verwirrung stiftet und die Depression verharmlost, die meist dahinter steckt. Er suggeriert eine Selbstüberforderung oder Überforderung von außen und kann zu falschen Bewältigungsstrategien führen.

SZ: Kann man zumindest sagen, dass es sinnvoll ist, sich zu schonen und ins Bett zu legen, wenn man sich ausgebrannt und depressiv fühlt.

Hegerl: Das erscheint naheliegend, ist aber oft nicht hilfreich. Langer Schlaf etwa ist bei vielen Betroffenen eher depressionsverstärkend. Nicht umsonst kommt es unter therapeutischer Wachtherapie, das heißt wach bleiben in der zweiten Nachthälfte, bei vielen Erkrankten zum schlagartigen Abklingen der Depression, allerdings nur bis zum nächsten Schlaf. Die Wachtherapie wird in vielen Kliniken angeboten.

Für manche ist es auch besser, wenn sie im Arbeitsrhythmus bleiben können. Grübelnd im Bett zu liegen, verstärkt meistens nur die Depression. Auch von Urlaub ist dringend abzuraten, weil die Depression mitreist. Eine Depression ist schlicht eine schwere Erkrankung, die behandelt werden muss. Und wenn man behandelt wurde, macht das, was Stress war, wieder Freude, und der Schiedsrichter pfeift wieder gerne, und der Fußballer spielt wieder.

SZ: Trotz aller Therapien sinkt die Zahl der Depressionen nicht.

Hegerl:Sie steigt aber wahrscheinlich auch nicht. Die Zahl der Depressionen erhöht sich derzeit nur scheinbar, weil sich mehr Menschen ärztliche Hilfe suchen, die Ärzte Depressionen häufiger erkennen und Depression auch Depression nennen und nicht hinter Ausweichdiagnosen verstecken. Das wiederum hat dazu geführt, dass mehr Menschen mit Antidepressiva und Psychotherapie behandelt werden.

Das dürfte ein wichtiger Grund sein, warum sich die Zahl der Suizidopfer in Deutschland seit Anfang der 80er Jahre halbiert hat - von jährlich 18.000 auf 9600. Dazu kommen aber immer noch jeweils zehn- bis 20-mal so viele Suizidversuche, also bis zu 200.000 pro Jahr. Dass davon dann auch mal ein Schiedsrichter oder ein anderer Prominenter betroffen ist, verwundert nicht.

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