Süddeutsche Zeitung

Demenzbehandlung:Hoffnung anders definiert

Demenzerkrankungen sind eine große Belastung - für Betroffene, Angehörige und für das Gesundheitssystem. Aber es gibt auch gute Entwicklungen.

Von Theresa Parstorfer

Auguste D. hatte sich verloren. Das sagte sie, als der Arzt Alois Alzheimer sie 1901 bat, die Zahl Acht aufzuzeichnen, und sie stattdessen ihren Namen schrieb: "Auguste". Sie sagte: "Ich habe mich sozusagen verloren." Sie schien zu wissen, dass in ihrem Kopf etwas nicht stimmte. Ende des 19. Jahrhunderts nannte man Symptome wie Vergesslichkeit, Orientierungslosigkeit und Angstzustände bei älteren Menschen "altersblöd". Heute würde man feststellen: Auguste D. litt an Alzheimer.

Die Frau war 56 Jahre alt, als sie 1906 starb. Ihr Tod beschäftige Alois Alzheimer, weil er fest daran glaubte, dass es eine biologische Ursache dafür geben musste, dass sich seine Patientin nicht einmal mehr an den Namen ihres Ehemannes erinnern konnte. Deshalb ließ er sich Gewebeproben von Augustes Gehirn an seine neue Arbeitsstelle in München schicken und untersuchte sie. In und zwischen den Nervenzellen fand er Eiweißablagerungen - "Amyloid-Plaques". Auf einer Tagung der südwestdeutschen Irrenärzte in Tübingen berichtete er seinen Kollegen von dieser "seltsamen Erkrankung der Hirnrinde". Nach seinem Vortrag gab es keine Nachfragen und kaum Applaus - ganz anders als beim folgenden Vortrag zum Thema "Zwanghafte Masturbation". Das fanden die Zeitgenossen offenbar relevanter.

Laut der Alzheimer Gesellschaft lebten 2018 in Deutschland 1,7 Millionen Menschen mit Demenz

"Alzheimer hat aber letztlich gewonnen", sagte Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, bei der Eröffnung des SZ-Gesundheitsforums. Das Thema des Abends lautete "Demenz - Von Prävention bis Sterben in Würde" und fand passenderweise in einem Hörsaal der LMU in der Nussbaumstraße statt, in dem Alzheimer selbst einst unterrichtet hat. Mit "gewonnen" meinte Falkai, dass die Krankheit, die Alzheimer vor mehr als hundert Jahren zu verstehen versuchte, auf der Dringlichkeitsskala des deutschen Gesundheitssystems bis in die obersten Ränge geklettert ist.

Laut der Alzheimer Gesellschaft lebten 2018 in Deutschland 1,7 Millionen Menschen mit Demenz, jährlich kommen 300 000 Neuerkrankungen dazu. Dabei ist die prozentuale Häufigkeit der Krankheit beinahe überall auf der Welt ähnlich hoch, zumindest in Ländern, in denen die Menschen immer älter werden. "Der demografische Wandel stellt eine Herausforderung dar", sagte Robert Perneczky, Leiter der Sektion für psychische Gesundheit im Alzheimer Therapie- und Forschungszentrum der Klinik für Psychiatrie.

Er bezeichnete die Verlängerung des Lebens als eine der größten Errungenschaften der Gesellschaft. Allerdings hat die Medizin noch nicht aufgeholt mit den Folgen, die das Älterwerden für manche Menschen mit sich bringt. Vor allem für Menschen, die an Demenz erkranken, müssen noch Wege gefunden werden, wie Altern nicht zu Leiden wird. Seit Jahren wird deshalb nach erfolgreichen Therapien gegen Demenzen gesucht - immer wieder müssen Rückschläge in der Entwicklung von Medikamenten hingenommen werden. Gewonnen wurde hier noch wenig, denn das Vergessen ist kein einfacher Feind.

Wie ist das also mit der Hoffnung auf Heilung? Zunächst einmal ist Heilung ein schwieriger Begriff, wenn es um Demenz geht. Heilung in dem Sinne gibt es nicht. "Was einmal kaputt ist, kann nicht wieder hergestellt werden", sagte Timo Grimmer von der Klinik für Psychiatrie an der TU München, und meinte die Nervenzellen im Gehirn, die infolge der Alzheimer-Krankheit absterben. Dadurch vergisst der Patient nicht nur Namen und Orte, sondern es werden Hirnareale beschädigt, die motorische Fähigkeiten steuern.

Viele Patienten stolpern deswegen häufig oder kämpfen im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit Schluckbeschwerden. Dadurch gelangen häufig Speisereste in die Lunge, die nicht mehr ausgehustet werden können; es kann zu einer Lungenentzündung kommen, die das ohnehin schon geschwächte Immunsystem nicht mehr bekämpfen kann. Der Patient stirbt - oft unter Qualen. Besonders hoffnungsvoll klingt das nicht.

Und dennoch: Es ging um Hoffnung an diesem Abend. Denn vielleicht muss Hoffnung angesichts von Demenz ein wenig anders definiert werden.

Nicht bei jeder Demenz handelt es sich um Alzheimer, kaum eine Demenz tritt in "Reinform" auf, wie Robert Perneczky betonte. Mit 60 Prozent der Demenzerkrankungen ist Alzheimer zwar die häufigste Form von Demenz, allerdings gibt es darüber hinaus Vaskuläre Demenz, Lewy-Körperchen-Demenz und Chorea Huntington sowie bestimmte Mischformen oder Demenzen infolge von Unfällen. Bei jeder dieser Formen wird das Gehirn in unterschiedlicher Art, an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlichen Prozessen geschädigt. Für alle aber gilt: Der Erkrankte verliert nach und nach körperliche und geistige Fähigkeiten, bis ein eigenständiges Leben nicht mehr möglich ist.

Oft genug steht die Medizin vor dem Problem, nicht mehr rechtzeitig eingreifen zu können. So beginnt die Alzheimer-Krankheit schon sehr viel früher, erst nach Jahren wird sie durch die ersten Symptome - wie Vergesslichkeit, Zerstreutheit, getrübte Erinnerung - erkennbar, doch oft werden diese noch nicht als Problem erkannt. "Man müsste sehr viel früher mit der Therapie beginnen", so Timo Grimmer, der an der TU zur Sichtbarmachung von neurologischen Krankheiten forscht. Mit derartigen Technologien könnte es in Zukunft einfacher sein, Veränderungen im Gehirn frühzeitig festzustellen, um dann gegensteuern zu können. "Es gibt Hoffnung, aber wir müssen die Erwartungen zurückschrauben", sagte Grimmer.

Ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen Demenz ist die Prävention

Oft denken Menschen, es gebe kein Mittel gegen Alzheimer. Doch das ist nicht richtig. Medikamente mit bewiesener Wirkung, sogenannte Antidementiva, sind längst auf dem Markt. Sie schwächen den Verlauf der Krankheit ab, stoppen können sie die Demenz aber nicht. Das liegt allerdings nicht daran, wie oft vermutet wird, dass die Medikamente mit der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren. Sie lindern eben nur, aber sie heilen nicht, weil sie symptomatisch wirken, also die Beschwerden, aber nicht den Ursprung der Krankheit, die Bildung der Plaques, bekämpfen.

Neuere Medikamentenstudien enttäuschten zuletzt. Und doch gibt es neuen Anlass zur Hoffnung, sagte Grimmer: Zuletzt sei die Wirksamkeit von "Aducanumab" in der dritten Testphase bestätigt worden. Im Gegensatz zu anderen Antidementiva schwäche dieses Medikament den Krankheitsverlauf nicht nur ab, sondern reduziere tatsächlich die Menge des schädlichen Amyloids im Gehirn, ziele also auf die vermutete Ursache des Vergessens. Es sei ein neuer Hoffnungsschimmer, was die medikamentöse Behandlung angeht. Möglicherweise werde Aducanumab 2020 zugelassen.

Der vielleicht wirksamste Verbündete im Kampf gegen Demenz ist im Moment allerdings die Prävention. Bei Alzheimer spricht man von einer multifaktoriellen Ätiologie, sowohl Gene als auch Umweltfaktoren, aber auch Lebensstile beeinflussen, ob man in späteren Jahren erkranken wird. "Es gibt vieles was man tun kann, um das Risiko zu verringern", sagte Robert Perneczky. Die Forschung macht im Bereich der Vorsorge große Fortschritte.

Zum Beispiel wurde der Zusammenhang zwischen dem Wohlstand eines Landes und einem sinkenden Demenzrisiko nachgewiesen. "Vieles meint man damit erklären zu können, dass in wohlhabenden Ländern die Schulbildung besser ist", so Perneczky. "Kognitive Reserven sind ausgesprochen wichtig." Das erscheint beinahe intuitiv - nicht erst seit gestern wissen Großeltern, dass das Lösen von Kreuzworträtseln das Gehirn in Bewegung hält.

Etwas überraschender sind die Ergebnisse einer Studie von 2017, wonach neben früh beginnender Schulbildung vor allem schwindendes Hörvermögen Demenz begünstigt. "Hören ist eine wichtige Verbindung zur Außenwelt, da kann man sich vorstellen, wie wichtig dieser Sinn ist", so Perneczky, "je schlechter man hört, desto schneller fühlt man sich isoliert".

Solche Kontaktarmut, genauso wie Depressionen, Rauchen, Bewegungsmangel, Bluthochdruck, Übergewicht und Typ-II-Diabetes gehören zu den wichtigsten Risikofaktoren für eine Demenz. Und sie bieten handfeste Ansatzpunkte für Prävention: Jedem dritten Demenzfall, so haben die Autoren der Studie von 2017 errechnet, könne letztlich vorgebeugt werden. Wenn das kein Anlass zur Hoffnung ist.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2019
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