Delphine:"Nicht menschliche Personen"

Wissenschaftler erkennen immer mehr erstaunliche Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und den Meeressäugern - und plädieren für eine "Delphin-Ethik".

H. Charisius

"Sie geben uns das Blut freiwillig", sagt die Tierärztin Stephanie Venn-Watson und zeigt ein Foto, das einen Delphin abbildet, wie er lässig im Wasser auf den Rücken liegt und seine Schwanzflosse präsentiert. Venn-Watson erzählt, wie sie eine Kanüle in die Flossenvene fädelt und beginnt, Blut zu zapfen. Delphine scheinen keine Angst vor Spritzen und Blutspenden zu haben. Seit mehr als zehn Jahren betreut Venn-Watson die Delphine des Meeressäuger-Programms der US Navy. Wissen die Tiere, dass sie im Dienst der Forschung zur Ader gelassen werden? Wollen sie ihrer menschlichen Spielkameradin eine Freude machen? Vielleicht lockt sie auch nur der Fisch, mit dem sie nach dem Eingriff belohnt werden.

Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem, das die Tiere so kooperativ macht. "Delphine sind hochintelligente Wesen mit Ich-Bewusstsein, Persönlichkeit und Einfühlungsvermögen, die in komplexen sozialen Verbänden leben", sagt Lori Marino von der Emory University in Atlanta, Expertin für die Gehirne der Meeressäuger. Auf der Jahrestagung der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften AAAS in San Diego präsentierten Marino, Venn-Watson und eine Reihe weiterer Wissenschaftler erstaunliche Forschungsergebnisse. Dabei geht es um mehr als Anekdoten und Verklärung der Meeressäuger: Die mitunter erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Mensch und Delphin gibt Forschern Gelegenheit, auch rein menschliche Belange zu verstehen.

"Delphine haben viele neuroanatomische Eigenschaften und Funktionen, die wir bei menschlichen Gehirnen mit Intelligenz verbinden", sagt Marino. Zusammen mit ihrer Kollegin Diana Reiss hatte Marino im Jahr 2001 erstmals beobachtet, wie sich Delphine selbst in einem Spiegelbild erkennen. "Im Alter von einem Jahr setzt diese Fähigkeit ein", berichtet Reiss, "genauso wie beim Menschen." Die Meeressäuger seien zudem in der Lage, eine einfache Symbolsprache zu erlernen, sagt Reiss. "Sie können Werkzeuge benutzen und ihre Handlungen planen." Nach heutigem Wissen bewegen sie sich mindestens auf dem geistigen Niveau eines Kleinkinds. Setzt man die Größe des Gehirns in Relation zur Körpermasse, erreicht der Mensch den höchsten Wert. Doch danach folgen im Tierreich nicht Menschenaffen, sondern die Delphine.

Der Meeresbiologe Henrik Nollens von der University of Florida hat Ähnlichkeiten auf einem anderen Gebiet gefunden. Delphine können sich wie Menschen mit Viren anstecken. Manche dieser Erregern verursachen so etwas wie Schnupfen. Aber auch Papillomaviren hat Nollens bei Delphinen gefunden, die bei Frauen Gebärmutterhalskrebs hervorrufen können. Sowohl im Maul als auch an den Genitalien spürte er eine marine Variante dieser Keime auf. Krebserkrankungen fand er hingegen nie und folgerte daraus in seinem Vortrag in San Diego, dass die Tiere keine Tumoren entwickeln. Allerdings hat Nollens erst etwa 1000 Proben untersucht. In Anbetracht der Tatsache, dass auch nur ein kleiner Teil der papillom-infizierten Menschen Krebs bekommt (in Deutschland sind es etwa 13 von 10.0000 Frauen) müsste Nollens noch sehr viel mehr von diesen Tieren untersuchen, um seine These von den krebsfreien Delphinen zu stützen.

50 Virusarten hat Nollens bislang bei Delphinen gefunden, 40 davon wurden zuvor noch nie bei einem Meeressäuger entdeckt. Die meisten zählt der Veterinär zu Virus-Familien, die auch Säugetiere an Land befallen. "Bislang wurden Land und Meer als getrennte Ökosysteme verstanden", sagt Nollens, doch "die Viren bilden eine überraschende Verknüpfung zwischen diesen beiden Lebensräumen."

Er hält es für möglich, dass die marinen Viren den Sprung an Land schaffen. Über Wassertröpfchen aus den Atemlöchern der Delphine, über Fische oder Delphinfleisch könnten die Erreger auch auf den Menschen überspringen. Auf dem Land gibt es viele Beispiele für solche Zoonosen, bei denen Krankheitserreger Artgrenzen überwinden. Die Grippe und auch der Aids-Erreger HIV stammen zum Beispiel aus dem Tierreich genauso wie die Atemwegserkrankung Sars, die Pest, Milzbrand oder Borreliose. "Die marinen Viren haben viele Eigenschaften, die auch Erreger mit dem Hauptwirt Mensch gefährlich machen." Er empfiehlt, das Krankheitsgeschehen im Meer sorgfältig zu überwachen.

Diabetes-Forschung mit Delphinen

Doch die Ähnlichkeiten zwischen Delphin und Mensch bergen glücklicherweise nicht nur Gefahren. Forscher können von den Meeressäugern auch lernen, wie deren Immunsystem mit Infektionen umgeht und wie Krankheiten entstehen. Stephanie Venn-Watson glaubt etwa, eine Erklärung für die Entstehung von Diabetes beim Menschen gefunden zu haben. Es begann mit einem Zufallsbefund vor drei Jahren. Sie analysierte eine Reihe von Blutproben, die sie Delphinen abgenommen hatte, die über Nacht nichts zu fressen bekommen hatten und erst morgens ihre Fischration erhielten. Sie entdeckte, dass die fastenden Tiere in der Nacht ihren Stoffwechsel drastisch umgestellt und Blutwerte hatten, die denen von Menschen mit Diabetes vom Typ 2 ähnelten. Sie entwickelten vorübergehend eine Insulinresistenz, bis sie wieder etwas zu fressen bekamen.

Der Körper schüttet das Hormon Insulin aus, um Zucker, der mit der Nahrung aufgenommen wurde, aus dem Blut in die Körperzellen zu schleusen. Bei einer Insulinresistenz funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, der Zucker bleibt im Blut und gelangt zu langsam in die Zellen. Für die hungernden Delphine ist das ein Vorteil, weil so sichergestellt wird, dass ihr Gehirn mit dem nötigen Zucker versorgt wird - es ist eine Art Spargang. Gibt es wieder Futter, kann der Delphin zurück auf den normalen Stoffwechsel umschalten.

Venn-Watson vermutet, dass es im Laufe der Evolution Zeiten gab, in denen eine Insulinresistenz auch für Menschen von Vorteil war. Während der Eiszeit etwa ernährten sich unsere Vorfahren überwiegend von Fleisch und hatten nur wenig Kohlenhydrate zur Verfügung - genauso wie Delphine mit ihrer proteinreichen Fischkost. Was einmal ein evolutionärer Vorteil war, wurde womöglich zum Problem, als es wieder reichlich Kohlenhydrate in der Nahrung gab.

Die Tierärztin sucht nun Diabetes-Experten, die mit ihr im menschlichen Genom nach einem möglichen Schalter suchen, der wie bei den Delphinen den Wechsel zwischen Insulinresistenz und normaler Zuckerverwertung reguliert. Sie ist optimistisch, einen solchen Mechanismus auch beim Menschen zu finden. Denn umgekehrt hat sie bei Delphinen Hinweise darauf gefunden, dass die vorübergehende Insulinresistenz auch in einen chronischen Zustand übergehen kann: "Wenn wir ihnen Süßigkeiten gäben, würden sie wahrscheinlich auch Diabetes entwickeln." Weil andere Meeressäugetiere diesen Insulinschalter nicht besitzen, vermutet Venn-Watson, dass der immense Energiebedarf der großen Gehirne von Mensch und Delphin diese Eigenheit notwendig gemacht hat.

"Ebenbild im Meer"

Es gebe noch eine Reihe von Krankheiten, die nur bei Menschen und Delphinen auftreten, sagte in San Diego die Tier-Epidemiologin Lori Schwacke von der amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (Noaa) über die Auswirkungen von Umweltgiften auf die Tiere.

Krankheiten, Ich-Bewusstsein, Sprache - Mensch und Delphin gleichen sich so sehr, dass der Ethiker und Buchautor Thomas White sie als "unser Ebenbild im Meer" bezeichnet. Wegen der großen Menschenähnlichkeit plädierten die Forscher in San Diego für eine eigene "Delphin-Ethik". Sie solle zum Ziel haben, Delphinfänge zu verbieten. Philosoph White will ihnen den Status von "nichtmenschlichen Personen" zusprechen. "Nach allem was wir heute über diese Tiere wissen, haben sie alle dafür notwendigen Eigenschaften."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: