Debatte um Klonen:Die Laborgötter

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Kaum dringen Neuigkeiten aus den Laboren der Stammzellforscher, warnen Kritiker schon vor einem neuen Frankenstein. Die Wissenschaft steht den öffentlichen Befindlichkeiten hilflos gegenüber. Zugleich ruft sie nach grenzenloser Freiheit - das ist inakzeptabel.

Ein Kommentar von Patrick Illinger

Debatte um Klonen: Übertragung eines Zellkerns in eine entkernte Eizelle.  (Foto: DPA-SZ)

Nicht aus einer Rippe, wie sie Gott gemäß der Schöpfungsgeschichte verwendet haben soll, sondern aus einem Stück Haut haben amerikanische Wissenschaftler eine menschliche Urzelle, einen Embryo, hergestellt. Und es war nicht das Paradies, in dem der Eingriff geschah, sondern die Petrischale eines Labors in Oregon. Mit dieser Tat haben sich die amerikanischen Zellbiologen nach Ansicht vieler Kritiker ähnlich versündigt wie einst Eva, als sie nach dem verbotenen Apfel griff. Wenn sich Forscher vermeintlich an der Schöpfung vergreifen, ist die Empörung da: Wie weit darf die Wissenschaft gehen?

Diese Debatte vorausahnend, haben die Wissenschaftler aus Oregon ihre Mitteilungen in Teilen wie eine Verteidigungsschrift verfasst. Den fachlich korrekten, aber emotional geprägten Begriff "Embryo" vermeiden sie penibel. Ausdrücklich betonen die Forscher zudem, ihnen sei nicht am reproduktiven Klonen gelegen, also an der Erzeugung von Menschen, sondern lediglich am therapeutischen Klonen, der Gewinnung von frischem Körpergewebe.

Es wird geforscht, was das Zeug hält

Hat die Wissenschaft gelernt, mit der öffentlichen Befindlichkeit umzugehen? Eher nicht. Im wissenschaftlichen Alltag ist von Zurückhaltung nichts zu erkennen. Weltweit wird geforscht, was das Zeug hält, an Zellen, Embryonen und mutierten Viren. Auf der anderen Seite wird kritisiert, oft reflexartig und oft ohne angemessenen Sachverstand. Dazwischen liegt ein breites Feld der Verunsicherung.

Nein, trotz aller Beschwichtigungen aus Oregon: Um das Verhältnis zwischen Forschung und Öffentlichkeit steht es nicht zum Besten. Die Wissenschaft profitiert längst nicht mehr von der unterwürfigen Bewunderung jener Generation, die mit Nylonstrümpfen und Atomträumen aufgewachsen ist. Das Tun der Gelehrten steht heute unter skeptischer Beobachtung. Teile der Öffentlichkeit haben wiederum aus den Augen verloren, welch mutigen Pioniertaten der Wissenschaft es zu verdanken ist, dass eine Lungenentzündung heute behandelbar ist, die Pocken ausgerottet sind und nicht mehr jedes vierte Kind stirbt, wie es noch vor 150 Jahren in Deutschland der Fall war.

Jeder, der in dieser Debatte mit allzu dogmatischen Argumenten hantiert, muss scheitern. Die moderne Biologie greift unlauter in die Schöpfung ein? Mal langsam, bitte. Noch längst werden keine maßgeschneiderten Menschen gezüchtet. Zudem greifen Menschen in die Schöpfung ein, seit sie in der Schlucht von Olduvai die ersten Feuersteine geklopft haben. Systematisch vernichten sie seither natürliche Ressourcen dieses Planeten, vom Erdöl über Tierarten bis zum Regenwald. Die Folgen dieses Raubbaus an der Schöpfung werden härter sein als ein paar experimentelle Zellhaufen in Petrischalen. Auch synthetische Antibiotika hatte die Schöpfung nicht vorgesehen, ebenso wenig wie Insulin, Computertomografien und Tausende andere Werkzeuge, die das Leben von Menschen erleichtern, verlängern und eben auch verändern. Die meisten dieser Errungenschaften werden selbst noch so energische Kritiker des wissenschaftlichen Fortschritts kaum wieder abschaffen wollen.

Andererseits ist auch der von Seiten der Wissenschaft zu hörende Ruf nach grenzenloser Freiheit der Forschung inakzeptabel. Er impliziert eine Entkopplung der Wissenschaft vom "Rest" der menschlichen Gemeinschaft, als wären Wissenschaftler - anders als Feuerwehrleute, Handwerker oder Künstler - eine gesonderte, erhabene Spezies. Selbstverständlich sind Wissenschaftler als Individuen wie als Gemeinschaft verpflichtet, ihr Tun ständig auf Nutzen, Gefahren und Sinnhaftigkeit zu hinterfragen und zu rechtfertigen. Der naive Ansatz, wonach es nicht in ihrer Verantwortung liege, was mit Forschungsergebnissen geschieht, ist spätestens seit den Schlachten des Ersten Weltkriegs, seit Hiroshima und seit Seveso hinfällig.

Intern diskutiert die Wissenschaft durchaus kritisch über die sogenannte dual-use-Problematik, also das Phänomen, dass die meisten Erkenntnisse destruktiv und konstruktiv verwenden werden; Beispiel Dynamit. Sobald sie sich an die Öffentlichkeit wenden, offenbaren die meisten Universitäten und Institute jedoch eine völlig überkommene Haltung. Da geht es permanent um "Durchbrüche" und "bahnbrechende Erkenntnisse". Forschung wird als Feuerwerk neuer, heilbringender Erkenntnisse verkauft. Auch Zellbiologen haben in den vergangenen Jahren mögliche Therapien auf unredliche Weise in greifbare Nähe gerückt.

Abwägende Antworten sind nicht erwünscht

Zu selten trauen sich Wissenschaftler, Unsicherheit zu kommunizieren. Oft fürchten sie um ihre Fördermittel oder wollen den Eindruck von Ignoranz vermeiden. Gleichzeitig stehen sie unter Druck, weil die Öffentlichkeit in noch so komplexen Fragen klare Antworten fordert. Vieles ist aber nicht mit Ja oder Nein zu bescheiden: Wird die Energiewende klappen? Kann das neue Coronavirus eine Pandemie auslösen? Erwärmt sich die Erdatmosphäre um mehr als drei Grad? Vielleicht, wahrscheinlich, womöglich. Jenes spricht dafür, anderes dagegen. Abwägende Antworten sind aber in einer von Informationshappen überschwemmten Welt nicht erwünscht.

Gleichzeitig ist die moderne Biologie von einer im Humboldtschen Sinne suchenden, taxierenden, analysierenden Disziplin in eine Art Bauphase eingetreten. Zu verlockend ist es, all die molekularen Bestandteile des Lebens nicht mehr nur zu sortieren und zu katalogisieren, sondern sie wie einen Baukasten zu benutzen. Also hat die EU soeben eine Milliarde Euro spendiert für ein Megaprojekt, bei dem ein künstliches Gehirn entstehen soll. Von Bastellust getrieben sind auch Robotiker, die mit Hochdruck daran arbeiten, ihren einst tumben, algorithmisch agierenden Blechkameraden Selbständigkeit beizubringen. Eine Folge hiervon werden autonome Waffen sein, Drohnen zum Beispiel, die sich Schießbefehle selbst erteilen. Hier öffnet sich mindestens so viel Raum für ethische Debatten wie in der Stammzellenforschung.

Doch ethisch und theologisch motivierte Wissenschaftskritik konzentriert sich krampfhaft auf die moderne Biologie - was einerseits verständlich ist, schließlich sind wir Menschen uns selbst am nächsten. Andererseits ist es übertrieben, bei jeder Meldung aus einem Stammzellenlabor schon die Blitze zucken zu sehen, wie sie in Filmen die Geburt von Frankensteins Monster begleiten. Forschung ist ein ständiges Beschreiten von Neuland, mit allen Chancen und allen Gefahren, die sich auf unbekanntem Terrain auftun. Die Kunst ist: weder bedenkenlos voranzupreschen, noch in Angststarre auf gewohntem Gebiet zu verharren.

© SZ vom 18.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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