Debatte um artgerechte Haltung:Gäbe es keine Zoos, man sollte sie erfinden

Debatte um artgerechte Haltung: Die Haltung von großen Tieren wie Braunbären wird von Zoogegnern heute infrage gestellt - doch auch Fachleute räumen Verbesserungsbedarf ein

Die Haltung von großen Tieren wie Braunbären wird von Zoogegnern heute infrage gestellt - doch auch Fachleute räumen Verbesserungsbedarf ein

(Foto: RANDO)

Unwürdige Haltungsbedingungen und Schnitzel beim Zoobesuch: Mit ihrer Radikalkritik treffen Zoogegner wunde Punkte. Doch zugleich irren sie. Denn Zoos sind nicht für die Tiere da - sie leisten Wichtiges für den Menschen.

Gastbeitrag von Bernd Schildger

Zoos passen nicht mehr in unsere Zeit. Diese These formulierte Colin Goldner in einem SZ.de-Interview. Doch dem kann eine schlüssige Antwort entgegengestellt werden, weshalb sie dies eben doch tun.

Die Leistungen der Zoologischen Gärten werden heutzutage nicht nur von radikalen Zoogegnern, sondern auch von Zoofachleuten kritisch hinterfragt. Gitterkäfighaltungen, nächtliches Einsperren und wenig tiergerechte Haltung ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der anvertrauten Kreaturen konterkarieren die hehren Ansprüche der Zoos. So beschreibt es der emeritierte Zoodirektor David Hancocks bereits im Jahr 2007. Diese jahrelangen Bemühungen der Zoos, die Lebensbedingungen der gehaltenen Tiere zu verbessern, werden von Zookritikern wie Colin Goldner schlicht in Abrede gestellt. Einige Beispiele dienen als Generalbeleg, oder die Reformen werden als bloße Verbesserung des Erscheinungsbilds umgedeutet.

Zur Person

Dr. Bernd Schildger ist seit 1997 Direktor des Berner Tierparks Dählhölzli. Der Zoo gilt unter Fachleuten als vorbildlich bei der artgerechten Haltung von Wildtieren. Sein Motto lautet: "Mehr Platz für weniger Tiere." Schildger ist gelernter Elektromechaniker und Tierarzt.

Ich kenne Anlagen, bei denen dieser Eindruck der Zoogegner legitim erscheint. Ich kenne aber mehr Anlagen, bei denen die Verbesserung der Tierhaltung im Vordergrund steht. Hier zu diskutieren ist sehr spannend, nämlich auf der Grenzlinie zwischen dem konfektionierten Tier als Teil einer Erlebniswelt auf der einen, und dem Tier als Ziel, als Kern des Erlebnisses für den Menschen auf der anderen Seite.

Die Haltungsbedingungen so mancher Wildtierart im Zoo entsprechen nicht den aktuellen Erkenntnissen um deren tatsächliche Bedürfnisse. Das muss zeitlich aber eingeordnet werden. So wurde im Tierpark Bern eine relativ neue Seehunde-Anlage abgerissen, weil die neuesten Erkenntnisse über die Bedürfnisse der Seehunde nach Rückzug und Ruhe in der Aufzuchtphase nicht gewährleistet waren. Vergleichbare Beispiele sind die Elefantenanlagen im Zoo Zürich und im Knies Kinderzoo Rapperswil, die Bärenanlage im Wildnispark Zürich oder die Schimpansenanlagen in Stuttgart, Basel und Apenheul. Alles alte Tieranlagen, die den Ansprüchen der Tiere nicht genügten, abgerissen und neu gebaut wurden. Meist benötigten die neuen Anlagen mehr Platz, und andere Anlagen und Tiere mussten weichen. Das Motto des Berner Tierparks "Mehr Platz für weniger Tiere" bringt die Zoovisionen auf den Punkt. Geht es hier doch nicht nur um einfach größere Anlagen als Selbstzweck, sondern um die Möglichkeit für Tiere, ihr Verhalten möglichst komplex ausleben zu können. Denn nur wenn die Tiere ihr Verhalten ausleben, kann der Mensch im Zoo das Tier "erleben". Es gibt eben gute und schlechte Anlagen (und natürlich alles dazwischen).

Knut war kein gutes Vorbild

Den Vorwurf, in Zoos herrsche eine "Knastatmosphäre", begründen Zookritiker mit der Behauptung, es würden nicht die Gehege bepflanzt, sondern die Besucherbereiche. Es mag solche Einrichtungen noch immer geben, aber alleine schon die Masoala Halle in Zürich, die einen Madagassischen Urwaldausschnitt mit freilebenden Tieren präsentiert, durch den der Mensch wandelt, stellt ein Gegenbeispiel dar. Die Bären im Bärenpark von Bern klettern nicht nur auf echten Bäumen, sondern können diese auch nach Belieben fällen.

Auch die Leistungen der Zoos für Umweltbildung und Naturschutz stellt Colin Goldner in Abrede. Der Eisbär Knut in Berlin habe nichts zur Rettung der Arktis beigetragen, ebenso wenig wie die in Zoos gehaltenen Gorillas und Orang Utans die Abholzung der Regenwälder verhindert hätten. Hier trifft der Autor einen wunden Punkt. Der konfektionierte, handaufgezogene Eisbär Knut war sicher kein gutes Beispiel für den würdevollen Umgang mit einem Wildtier und es ist nicht bekannt, wie viele der eingenommenen Millionen Euro tatsächlich in den Schutz der Arktis flossen. Allerdings ist die direkte Messung von Artenschutz schwierig und entzieht sich der Trivialmathematik nach dem Motto: zehn im Zoo gehaltene Gorillas schützen 100 Hektar Regenwald.

Die Arbeitsgruppe um Dalia Conde am Berliner Max Plank Institut hat 2011 auf Grundlage einer riesigen Datenmenge berechnet, dass Zoos weltweit mit ihren Erhaltungszuchtprogrammen bei 17 Tierarten, deren Bedrohungsstatus herabgestuft werden konnte, eine bedeutsame Rolle gespielt haben. So wäre das Europäische Wisent oder das asiatische Przewalski Pferd ohne die Bemühungen der Zoos längst ausgestorben. Allerdings erscheint durchaus fraglich, ob die Anzahl der 17 geretteten Tierarten die Gesamtsumme der Budgets aller Zoos weltweit rechtfertigen kann. Die Idee des Weltzooverbandes WAZA, dass Zoos Naturschutzzentren sein sollen, erscheint also als Euphemismus, der an der tatsächlichen Leistungsfähigkeit der Einrichtungen vorbei zielt. Nicht das abstrakte Ziel Naturschutz, sondern vielmehr der Mensch im Zoo und dessen Sensibilisierung für das Wildtier scheint das Ziel der Zoos sein zu können.

Wiener Schnitzel am Tag des Zoobesuchs

Debatte um artgerechte Haltung: Tiergehege gelten Zookritikern häufig als zu klein. Es gibt jedoch auch positive Gegenbeispiele, meint Bernd Schildger

Tiergehege gelten Zookritikern häufig als zu klein. Es gibt jedoch auch positive Gegenbeispiele, meint Bernd Schildger

(Foto: RANDO)

Ein anderer, häufig genannter Kritikpunkt ist die scheinbar geringe Verweildauer vor Gehegen. Aber die persönliche Verweildauer richtet sich auch nach persönlichen Präferenzen. Der eine mag die Flamingos, die andere fühlt sich zu den Moschusochsen hingezogen. Zudem ist der Zoo als Lernort in vielen Städten Teil des Lehrplans an den Schulen. Rabb und Saunders kommen 2005 zu dem Ergebnis, dass Verhaltensänderungen bei den Gästen durch Erlebnisinszenierung und artgerechte Tierhaltung sehr wohl erzielbar sind.

Eine der wenigen Möglichkeiten der Zoos, ihre Gäste zu einem persönlichen Beitrag zum Tierschutz verhelfen zu können, ist nach Ansicht des Zookritikers Colin Goldner der Verzicht auf Bratwurst oder Wiener Schnitzel am Tag des Zoobesuchs. Hier scheint mir, dass Herr Goldner erneut einen wunden Punkt trifft. Nachhaltige Ressourcenbewirtschaftung und Naturschutz hat tatsächlich etwas mit der Herkunft der Nahrungsmittel im Zoo zu tun. Ein lokales Produkt ist eben oft teurer - aber nachhaltiger. Hier fallen mir persönlich wenig positive Beispiele ein - vielleicht die Gans im Zoo Görlitz, die mit lokalen Senfprodukten serviert wird. Lokale Produkte und Fleisch aus vernünftiger Tierhaltung machen die Argumentation der Zoos schlüssiger, dass die artgerechte Tierhaltung ein Gebot zur Beachtung der Würde des Tieres sein kann. Dieses gilt nicht nur innerhalb der Zoomauern, sondern auch außerhalb.

Den wissenschaftlichen Arbeiten in Zoologischen Gärten werden in dem Interview nur geringe Werte zugemessen. Doch sie sind äußerst wichtig: Die Verhaltensstudien beim Kiwi am Zoologischen Garten Frankfurt dienen als Grundlage aller Erhaltungszuchten, auch in Neuseeland. Die verhaltensbiologischen Untersuchungen zum Management einer Stadttaubenpopulation am Tierpark Bern sind für die Gesellschaft aktuell und relevant.

Wenig nachvollziehbar ist für mich die Aufforderung Goldners, auf die Haltung von exotischen Tieren zu verzichten, die Nachzucht zu untersagen und die verbliebenen Tiere so halten, dass ihre Bedürfnisse und Ansprüche erfüllt seien und nicht die der Besucher. Dies ignoriert den Empfänger staatlicher Politik: den Bürger. Der Mensch als Individuum hätte nach dieser Argumentation vor den Interessen vieler zurückzutreten, eben auch vor den Interessen vieler Tiere. Sicher ist unsere Menschheit der perfekteste Eliminator, den die Erde je hervorgebracht hat. Wir eliminieren unsere allgemeine Lebensgrundlage: die Erde. Aber der Mensch ist auch der einzige, der unsere Umwelt retten kann. Den Menschen von ihr auszuschließen, ist wenig konstruktiv. Wie sollen Menschen bewegt werden, Tierarten oder Lebensräume zu retten, wenn sie diese nie selbst kennenlernen und erleben durften, weil es sie nur noch in menschenfreien Refugien gibt? Den Menschen für die Faszination von Tieren durch persönliche Erlebnisse zu sensibilisieren, ist eine Grundvoraussetzung dafür.

Das persönliche Erlebnis ist die wahre Leistung der Zoos

Das persönliche, eigene Erlebnis der Wildtiere in einem Zoo, das Suchen nach dem Fischotter, das Riechen der Ausdünstungen des Löwen, das Hören des Keckerns der Hyäne, das Beobachten wie ein Bär einen Baum erklimmt, wird durch das persönliche Erlebnis zu einem Teil unseres nicht-rationalen Bewusstseins. Dieses Erlebnis kann nicht durch eine konfektionierte Filmkonserve ersetzt werden. Dieses persönliche Erlebnis ist der eigentliche Gewinn von Zoos; für die Tiere und deren Lebensräume. Wenn wir lesen, dass erneut Quadratkilometer primären Regenwalds in Indonesien abgeholzt werden, um Palmölplantagen zu erstellen, und damit der Lebensraum des Orang-Utans unwiederbringlich verschwindet, dann werden wir das Erlebnis des Orangs im Zoo vor Augen haben - und vielleicht handeln. Hier liegt der eigentliche Beitrag der Zoos zum Naturschutz: in der Bewusstseinsveränderung des Menschen.

Eine wichtige Prämisse für dieses persönliche Erlebnis Tier gilt es zu beachten: Erst die artgemäße Tierhaltung ermöglicht dem Wildtier im Zoo, sein Verhalten möglichst umfangreich auszuleben - und uns Menschen, dieses zu erleben. Welchen Ansprüchen eine artgemäße oder tiergerechte Haltung im Zoo gerecht werden sollte, darüber gehen die Meinungen natürlich auseinander. Ganz prinzipiell können aber die 15 Thesen zur Haltungsoptimierung, die 1998 von Markus Stauffacher von der ETH Zürich formuliert wurden, als Orientierung dienen. Das Ausleben des natürlichen Verhaltensrepertoires, die Beachtung der sozialen Struktur der jeweiligen Tierart, die Bewegungsmöglichkeit und die Struktur der Anlagen, die Nahrung, das Reizangebot, die Stimulation von Erkundungsverhalten, die Rückzugsmöglichkeiten, die Beachtung der Anpassungsfähigkeit und die Routine in der Tierbetreuung sind die wichtigsten Anforderungen.

"From being about something - to being for someone" formuliert Stephen Weil 2002. Mit "someone" kann nach meiner Meinung nur der Mensch gemeint sein. Zoos sind für Menschen da! Wenn es den Zoos gelingt, für die Menschen da zu sein, können sie diese bewegen, etwas für die Tiere und deren Lebensraum, der auch unserer ist, zu tun. Erlebnisse mit Wildtieren in tiergerechten Lebensräumen sind das maßgebliche Thema der Erlebnisinszenierung im Zoo. Es ermöglicht uns Entspannung, Verweilen und Erholung. Die "kleine Flucht" vor der Gehetztheit unseres täglichen Lebens ermöglicht uns auch die Besinnung auf uns selbst und damit ein besseres Leben. Und, auch deshalb: Gäbe es keine Zoos, sollte man sie erfinden!

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