Debatte: Contra Fernsehen:Jetzt mal ausschalten!

Es gibt viele Vorurteile gegenüber dem Fernsehen. Aber die Kritik am Flimmerkasten ist häufig berechtigt. Thomas Mößle vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) über die schlechten Seiten des Fernsehens.

TV macht schlau?

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Macht Fernsehen schlau?

(Foto: Foto: dpa)

Dass das Fernsehen, insbesondere informative Kinderprogramme wie die Sesamstraße Schulleistungen verbessern können, weil Kinder eine große Bandbreite des geforderten schulischen Curriculums (zum Beispiel Worterkennung oder Zahlerkennung) im Fernsehen lernen können, ist schon lange bekannt.

Auch an die Verwendung stark individualisierbarer Computerprogamme aus dem Bereich des Infotainments bzw. des Edutainments werden ähnliche Erwartungen geknüpft.

Aber: Das Medienangebot wie auch die Mediennutzungsgewohnheiten haben sich in den westlichen Ländern seit den Tagen der Erstausstrahlung der Sesamstraße dramatisch geändert. (Unter den ersten vier Lieblingssendern von Deutschen Viertklässlern befinden sich beispielsweise Super RTL, RTL 2 und RTL.) Aktuelle Studien weisen mehrheitlich auf negative Zusammenhänge zwischen exzessivem Fernsehkonsum und kognitiven Leistungen hin.

Neuseeländische Forscher kommen in einer Langzeitstudie mit circa 1000 Versuchspersonen zu dem Ergebnis, dass sich ein erhöhter Fernsehkonsum im Alter von fünf bis 15 Jahren negativ auf die Realisierung eines Schul- oder Universitätsabschlusses auswirkt. Erwachsene, die als Kinder mehr als drei Stunden pro Tag vor dem Fernseher verbrachten, hatten mit 26 Jahren öfter keinen Schulabschluss.

Die mit den niedrigsten Fernsehzeiten hatten am häufigsten einen Universitätsabschluss. Hohe tägliche Fernsehzeiten hingen zwar unmittelbar mit einem niedrigen sozioökonomischen Status der Eltern und einem niedrigen Intelligenzniveau der Kinder zusammen, die Befunde blieben jedoch auch bei Berücksichtigung dieser Faktoren bestehen.

Fernseh-Rat hilft Eltern?

Verhaltensauffälligkeiten von Kindern können mitunter durch das Fernsehen hervorgerufen worden sein. Bereits für Kleinkinder zeigen sich sehr bedenkliche Befunde: So gibt eine Längsschnittanalyse, die in den USA mit mehr als 1000 Kleinkindern durchgeführt wurde, Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen frühem Fernsehen (mit ein bis drei Jahren) und späterem Auftreten einer Aufmerksamkeitsstörung (ADHD) im Alter von sieben Jahren.

Im Alter von einem Jahr schauten die untersuchten Kinder im Durchschnitt bereits 2,2 Stunden täglich fern, im Alter von drei Jahren 3,6 Stunden. Bei einer Steigerung der Fernsehzeit im ersten Lebensjahr um eine Standardabweichung (zwei bis drei Stunden) erhöht sich das Risiko von ADHD im Alter von sieben Jahren um 28 Prozent. Zusammenhänge zwischen einer Erkrankung an ADHD und Schulleistung sind wiederum als hoch relevant einzuschätzen, da sich diese Störung vor allem durch Symptome der Unaufmerksamkeit, wie zum Beispiel Flüchtigkeitsfehler, mangelndes Zuhören, fehlende Aufgabenerledigung und leichte Ablenkbarkeit kennzeichnet.

So zeigte sich in einer weiteren Längsschnittstudie an 103 Jungen mit ADHD und 100 Jungen ohne eine solche Erkrankung unter anderem, dass die erkrankten Jungen zu 25 Prozent die Highschool abbrechen und nur zu 12 Prozent das College abschließen. Die "gesunden" Jungen hingegen brachen die Highschool nur in zwei Prozent der Fälle ab und schlossen zu 50 Prozent das College ab.

In der Schülerbefragung, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen im Jahr 2005 machte, zeigte sich für 15- bis 16-Jährige, dass Jugendliche die angeben, niemals Gewaltfilme ab 18 zu schauen, stark verringerte Gewaltprävalenzzahlen aufweisen.

Unabhängig von der Mediennutzung treten 8,6 Prozent aller Mädchen und 25,1 Prozent aller Jungen als Gewalttäter in Erscheinung. Werden derartige Filme hingegen gelegentlich, das heißt maximal dreimal im Monat, angeschaut steigen die Prävalenzzahlen bei den Mädchen bereits auf das vierfache. Besonders hoch fallen die Zahlen jedoch bei den Jugendlichen aus, die häufig, das heißt mindestens einmal wöchentlich bis täglich solche Filme anschauen.

Jetzt mal ausschalten!

TV-Helden fördern die Fantasie?

Debatte: Contra Fernsehen: Mit zunehmender Dauer des kindlichen Fernsehkonsums sinken die Ergebnisse im Mann-Zeichen Test von Vorschulkindern deutlich ab.

Mit zunehmender Dauer des kindlichen Fernsehkonsums sinken die Ergebnisse im Mann-Zeichen Test von Vorschulkindern deutlich ab.

"Vorausgesetzt natürlich, die Kinder sitzen nicht permanent vor dem Bildschirm", ist der wichtige Punkt. Tritt die Beschäftigung mit Medien jedoch an die Stelle anderer nichtmedialer Freizeit- sowie Lernaktivitäten und verdrängt diese, führt dies zu einer Einengung des Freizeiterlebens. Dies ist nicht ohne Belang - nicht nur für schulische Leistungen.

So bietet gerade ein vielseitiges Freizeitverhalten die Chance für wichtige Lernerfahrungen, den Erwerb sozialer Kompetenzen und körperlicher sowie psychischer Gesundheit und kann damit als wichtige Quelle schulischer und beruflicher Erfolge gelten. Zudem führt eine intensive Mediennutzung auch zu einer direkten Reduktion insbesondere intellektuell herausfordernder Tätigkeiten wie z. B. Hausaufgaben machen oder Lernen und verringert dadurch letztendlich die schulischen Leistungen.

Peter Winterstein und Robert J. Jungwirth haben die negativen Auswirkungen in ihrer Studie "Medienkonsum und Passivrauchen bei Vorschulkindern" aufgezeigt: Mit zunehmender Dauer des kindlichen Fernsehkonsums sinken die Ergebnisse im Mann-Zeichen Test deutlich ab (bei dem gemessen wird, wie detailliert Kinder Figuren zeichnen können).

Gemeinsam schauen verbindet?

Fernsehen verbindet, wenn gemeinsam geschaut wird und über die Inhalte gesprochen wird. Dies ist natürlich auch unsere Empfehlung an die Eltern jüngerer Kinder, da so auch am besten der Inhalt "kontrolliert" werden kann.

Die Schülerbefragung 2005 des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigte aber eine etwas andere Realität. Auf die Frage "meine Eltern interessieren sich dafür, was ich mir im Fernsehen anschaue" antworteten 30,2 Prozent mit "stimmt voll und ganz", 29,4 Prozent mit "stimmt eher", 21,4 Prozent mit "stimmt eher nicht" und 19 Prozent mit "stimmt gar nicht". Insgesamt berichten nur 42,1 Prozent der Kinder über ein durchgängiges Medienerziehungsverhalten ihrer Eltern für den Bereich des Fernsehens (also Interesse am Fernsehkonsum der Kinder gepaart mit klaren zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben).

Die Schülerbefragung 2005 ergab weiterhin, dass im Durchschnitt 36,1 Prozent der Viertklässler (bei den Jungen 41 Prozent, bei den Mädchen 30,5 Prozent) einen eigenen Fernseher im Zimmer besitzen. In der neunten Klasse sind es 64,9 Prozent (bei den Jungen 68,9 Prozent, bei den Mädchen 60 Prozent). Da der eigene Fernseher im Zimmer auch deutlich höhere Nutzungszeiten begünstigt, ist vielmehr zu befürchten, dass der Fernseher im Zimmer bei übermäßigem Konsum zu sozialem Rückzug und zu sozialer Vereinsamung führt und eben nicht verbindet.

Glotzen allein macht weder dumm noch agressiv?

Die Ausstattung von Kindern mit Mediengeräten wie Fernseher und Spielkonsole erhöht bereits deutlich die Gefahr schulischer Leistungseinbußen. Das zeigt die Schülerbefragung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens. Erhöhte Medienzeiten der Kinder insbesondere aber die Nutzung gewalthaltiger Angebote geht mit schlechteren Schulleistungen einher.

Hiervon sind insbesondere Jungen betroffen, da diese bereits im Grundschulalter mit Mediengeräten ausgestattet sind, höhere Nutzungszeiten als Mädchen aufweisen und gewaltbetonte Filme und Spiele stärker präferieren. Die Folgen für das schulische Leistungsniveau zeigen sich auch dann, wenn Geschlecht und Nationalität des Kindes, das Bildungsniveau der Eltern sowie das innerfamiliäre Klima statistisch kontrolliert werden.

Kinder mit protektiven Rahmenbedingungen scheinen sogar besonders anfällig für die Folgen problematischer Mediennutzungsmuster zu sein, indem sich diese besonders nachhaltig auf ihre schulische Leistungsentwicklung auswirken.

Träge Zuschauer inspirieren die Forscher?

Als physiologische Auswirkungen eines übermäßigen Medienkonsums werden zum Beispiel Schlafentzug, Bewegungsarmut und Übergewicht sowie ein Suchtpotential der Medien, insbesondere der Computerspiele diskutiert. Erhöhte Mediennutzungszeiten bei gleich bleibenden oder ebenfalls erhöhten sonstigen nichtmedialen Freizeitaktivitäten können zu der Notwendigkeit führen, den Freizeitanteil im Tagesverlauf zu vergrößern, indem erst später zu Bett gegangen wird.

Eine Metaanalyse von Marshall, Biddle, Gorely, Cameron und Murdey berichtet negative Zusammenhänge von Mediennutzung und körperlicher Betätigung sowohl für das Fernsehen als auch für das Computerspielen. Besonders bei Intensivspielern wird eine ungünstige Energiebilanz, eine Erhöhung des Körperfettanteils und damit langfristig Übergewicht befürchtet.

In einer Schweizer Untersuchungspopulation von Grundschülern der ersten bis dritten Klasse wurde ein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Spielen von elektronischen Spielen und dem BMI gefunden. Das Risiko der untersuchten Erst- bis Drittklässler für Übergewicht steigt mit jeder zusätzlichen täglichen Computerspielstunde auf das Doppelte an

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