Ein paar Stängel Rosmarin, wie man sie in Mittelmeerländern vom Busch pflücken kann - in deutschen Supermärkten ist das Gewächs verpackt wie ein kostbares Elektronikgerät: in einer handfesten Plastikschachtel, die so viel wiegt wie die 25 Gramm Gewürz darin.
Ein paar Meter weiter gibt es Bananen, deren widerstandskräftige Schale die Natur in Millionen Jahren ausgeklügelt hat - in einer Schaumstoffschale und mit Folie umwickelt. Bei den Fleischwaren liegen 80 Gramm Schinken vom Biobauern, ebenfalls in einer massiven Plastikhülle. Das Fleisch ist einige Tage lang haltbar, die Verpackung mehr als 300 Jahre.
Klimaschutz ist in, Atomenergie ist out, und massiven Widerstand leisten die Deutschen gegen Gentechnik in Nahrungsmitteln. Bioläden eröffnen an jeder Ecke, sogar Biosupermärkte. Das Bewusstsein für gesunde Ernährung scheint zu steigen. Sicher, es gibt auch Discounter mit Regalkilometern voller Tiefkühlpizzen und Brathähnchen für 3,50 Euro das Stück, von denen man nicht wissen möchte, wie sie aufgewachsen sind. Aber Skandale wie jene um Gammelfleisch oder Dioxin-verseuchte Eier vom Beginn dieses Jahres zeigen, dass es durchaus Empörungspotenzial gibt, wenn mit Essen geschlampt wird.
Soziologisch interessant ist, dass mit der aktuellen Biowelle die in den 1980er Jahren teils apodiktisch verfochtene Jute-statt-Plastik-Ideologie wie weggefegt zu sein scheint. Damals verpasste McDonald's in Deutschland als Reaktion auf die Verbraucher seinen Big Macs (anders übrigens als etwa in Frankreich) eine Papierschachtel statt der zuvor eingesetzten Schaumstoffpäckchen. Von einer ähnliche Protesthaltung gegen Wegwerfplastik und Verpackungen kann heute keine Rede mehr sein. Sogar für ökologisch engagierte Verbraucher ist es meist völlig in Ordnung, wenn frische Äpfel in Kunststoff verpackt sind - Hauptsache der Inhalt ist "bio".
Plastik hat seit dem Aufkommen der ersten synthetischen Materialien innerhalb weniger Jahrzehnte den menschlichen Alltag vollständig durchdrungen. Verpackungen sind da nur das sichtbarste Symptom der Plastifizierung des Planeten. Kaum ein Kinderzimmer ist mehr ohne Plastikspielzeug denkbar, Hightech-Kunststoffe stecken in jedem Auto, Architekten freuen sich über neue Formen, die mit Plastik möglich sind. Menschen kleiden sich mit Plastik, Sportartikelhersteller nennen es Funktionswäsche. Zweifellos: Kunststoffe haben das Leben auch bereichert. Windrotoren, Kabel, moderne Brücken, Sportgeräte und medizinisches Werkzeug aller Art gäbe es ohne synthetische Materialien nicht.
Rund 250 Millionen Tonnen Kunststoffprodukte werden jährlich weltweit produziert, vor 30 Jahren war es nur ein Viertel davon. Allein in Deutschland setzt die Kunststoffindustrie jährlich 40 Milliarden Euro um. 240.000 Beschäftigte arbeiten in der Branche. Ein Drittel aller verarbeiteten Kunststoffe werden für Verpackungen und Wegwerfartikel verwendet. 2,7 Millionen Tonnen Plastikverpackungen entstehen jedes Jahr in Deutschland. Die meisten davon schneidet man einmal auf und wirft sie weg.
Wer Plastikprodukte kauft, fragt kaum, wo diese enden. Die schmutzige Seite der florierenden Kunststoffwirtschaft wird allenfalls beim Badeurlaub oder auf der Fernreise sichtbar. An den Küsten von Nord- und Ostsee und noch mehr am Mittelmeer werden unvorstellbare Mengen Plastikmüll angetrieben. In reicheren Gefilden wie den Balearen werden Strände und Küstengewässer gesäubert. Wo die Natur frei waltet, zum Beispiel in Albanien, kann man das Meer vielerorts nur erreichen, indem man erschreckende Müllberge am Ufer überwindet. In Schwellen- und Entwicklungsländern sehen die Straßenränder oft aus wie Plastikmüllkippen.
Das ist die Kehrseite des Kunststoff-Zeitalters. Die Stoffe werden besser, je nach Bedarf mal härter und mal weicher, in jedem Fall haltbarer. Doch genau diese Innovationen schaffen am Ende ein ungelöstes und zunehmendes Umweltproblem. Theoretisch lassen sich viele Kunststoffe wiederverwerten oder - wie in Deutschland - in Müllverbrennungsanlagen entsorgen. Aber in den meisten Ländern der Erde ist das nicht der Fall. Ein beträchtlicher Teil des weltweit produzierten Kunststoffs gerät unkontrolliert in die Umwelt, 80 Prozent des Abfalls enden im Meer, besagen Schätzungen.
Dabei stehen manche Grundsubstanzen moderner Kunststoffe, zum Beispiel das vielzitierte, in Millionen Produkten enthaltene Bisphenol A, im Verdacht, hormonell zu wirken und Nervenleiden zu fördern. Hinzu kommt, dass die Kunststoffindustrie pausenlos mit neuen Verbindungen und Zusatzstoffen experimentiert. Viele davon sind Weichmacher, Farbstoffe und Flammschutzmittel.
Gemäß der EU-Chemikalienverordnung Reach müssen Hersteller neuer Stoffe Daten über deren Sicherheit liefern. 30.000 Stoffe sind mittlerweile in einer EU-Datenbank erfasst. Das weckt einerseits Vertrauen. Andererseits zeigt es, wie unüberschaubar die Zahl industrieller Chemikalien inzwischen ist. Zumal Reach nur verlangt, die Sicherheit der einzelnen Stoffe nachzuweisen, aber nicht, wie mehrere Substanzen in Kombination wirken.