Das Unglück des U-Boots U864:Gefahr aus dem Seemannsgrab

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Wenn es schlimm kommt, könnten einem deutschen U-Boot sechs Jahrzehnte nach dem Krieg weitere Menschen zum Opfer fallen. Denn mehr als 60 Tonnen Quecksilber aus dem Wrack drohen Norwegens Küste zu verseuchen.

Sonja Zekri

Es hätte eine ganz gewöhnliche Tragödie sein können, wie es sie im Zweiten Weltkrieg zu Hunderten gab. Aber wenn es schlimm kommt, werden dem deutschen U-Boot U 864 noch weitere Menschen zum Opfer fallen - 62 Jahre nach dessen Untergang. Vor der Insel Fedje im Westen Norwegens liegt das Wrack in 150 Meter Tiefe auf dem Meeresboden - und damit auch jene mehr als 60 Tonnen Quecksilber, die die Mannschaft im Februar 1945 hätte nach Japan bringen sollen. Einige der rostigen Flaschen lagern wohl noch im Kiel, einige sind aus den geborstenen Hälften des Wracks ins Meer gefallen, genau weiß das niemand.

Jahr für Jahr, so hat die norwegische Küstenwache Kystverket in Messungen herausgefunden, treten vier Kilo Quecksilber aus: eine Gefahr für Mensch und Umwelt. U864 muss unschädlich gemacht werden. Nur wie? Durch einen Sarkophag aus Beton? Einen Deckel aus Sand? Die endgültige Bergung?

So ungewiss die Zukunft von U 864 ist, so gut dokumentiert ist ihr Untergang. In einer letzten sinnlosen Aktion - Codename ,,Cäsar'' - hatten die NS-Admiräle im Februar 1945 dieses längste U-Boot der deutschen Marine auf eine Reise um die halbe Welt geschickt, randvoll mit Hightech und Zeichnungen für den ersten Düsenjäger der Welt, die Me 262, außerdem Pläne für Torpedos, neueste Steuerungssysteme und Triebwerke.

Im Zickzackkurs zurück nach Bergen

Die in letzter Minute hochgerüsteten Japaner sollten die Amerikaner ablenken, so dass diese ihre Truppen aus Europa abziehen würden, so der aus heutiger Sicht eher naive Plan. Japanische und deutsche Ingenieure waren an Bord, und eingeschweißt im Kiel 1857 Stahlflaschen Quecksilber, das Japan dringend für die Waffenproduktion brauchte.

Doch die ,,Operation Cäsar'', der das ZDF am Sonntag um 19.30 Uhr eine gleichnamige Dokumentation widmet, wurde entdeckt, weil britische Aufklärer die Funksprüche entschlüsselten. Im Januar 1945 wurde das Boot bereits im Bunker von Bergen bombardiert. Als die reparierte U 864 am 7.Februar auslief, lag das britische U-Boot Venturer schon auf der Lauer. Vielleicht wäre U 864 dennoch durchgekommen, doch nach einem Maschinenschaden dröhnte der Motor gefährlich laut.

Im Zickzackkurs versuchte U 864, zurück nach Bergen zu schleichen, aber die Venturer hatte die Verfolgung bereits aufgenommen. Es folgte ein dramatischer Unterwasserkampf zwischen den tauchenden U-Booten. Die Briten berechneten den Kurs der Deutschen und schossen vier Torpedos ab. Der letzte, am niedrigsten gezielte, traf U 864, als es tauchend dem Angriff entgehen wollte. 73Männer starben.

Jahrzehnte später, erst 2003, entdeckte ein Fischer das Wrack. Im Jahr 2005 wurden die ersten Erkundungen mit Tauchrobotern unternommen. Seitdem steht die Frage nach der Sicherung im Raum. Umweltschützer und Anwohner sind alarmiert, und dass im Januar 2007 der zyprische Frachter Server ebenfalls vor Fedje auf Grund lief und Hunderte Tonnen Schweröl ausliefen, hat die Menschen nur zusätzlich aufgeschreckt.

Sarkophag wie in Tschernobyl

Fedje sei womöglich der am schlimmsten verseuchte Flecken in ganz Norwegen, heißt es von der Küstenwache. Bis Ostern werden die Reinigungsarbeiten für das Server-Desaster mindestens dauern. Da haben die Arbeiten an U864 noch nicht einmal begonnen. Die See ist rau vor der Küste Norwegens, die Strömung stark. Vor Sommer geschieht hier nichts.

30.000 Quadratmeter Boden sind belastet. Im Umkreis von einem Quadratkilometer um das Wrack ist der Fischfang verboten. Robotertauchgänge haben gezeigt, dass die Stahlflaschen stark verrostet sind. Nun fürchten die Norweger eine Wiederholung der Katastrophe von Minamata. In der japanischen Stadt starben in den fünfziger und sechziger Jahren fast 2000 Menschen, nachdem Quecksilber ins Meer gelangt war und die Menschen den verseuchten Fisch gegessen hatten.

So dramatisch sei die Lage vor Fedje bei weitem noch nicht, betont Gunnar Gjellan, der das Projekt für die Küstenwache leitet: In Minamata sei das gefährlichste Quecksilber, Methylquecksilber, ausgetreten. U 864 habe aber reines Quecksilber geladen, das erst, wenn es von Fischen oder Meeresorganismen aufgenommen werde, in Methylquecksilber umgewandelt werde: ,,Die bisherigen Messungen bei Fischen haben zwar eine höhere Quecksilber-Konzentration ergeben als sonst in der Nordsee, aber diese liegt noch unter den EU-Grenzwerten'', so Gjellan. Das Risiko sei eher die langfristige Kumulation.

Für Gjellan liegt die Lösung auf der Hand: Die Überreste von U864 sollen dort begraben werden, wo sie liegen. Im Dezember 2005 empfahl seine Behörde dem norwegischen Fischereiministerium, die verseuchte Fläche und das Wrack abzudecken. Vieles spreche gegen eine Bergung: ,,Das Risiko ist unkalkulierbar, denn wir wissen nicht, wo sich das Quecksilber befindet und in welchem Zustand die Behälter sind'', so Gjellan: ,,Wenn wir das Wrack heben, riskieren wir, dass sich das Quecksilber in alle Richtung ausbreitet und eine so riesige Fläche verseucht wird, dass wir diese nicht mehr reinigen können. Das ist das schlimmste Szenario.''

Wie aber bedeckt man eine Fläche von 30000 Quadratmetern und ein hochgiftiges Wrack in 150 Metern Tiefe? Noch im Herbst diskutierten die Norweger darüber, ob man vielleicht einen soliden Kasten über die Schiffsreste stülpen sollte oder einen Betonsarkophag wie über den Reaktor in Tschernobyl. Inzwischen empfehlen sie eine Abdeckung, die nicht so starr und schwer ist wie Beton, sondern aus Sand und Geröll besteht.

Man habe Experimente mit olivinhaltigem Sand gemacht und gute Absorptionseigenschaften für Metalle festgestellt, berichtet Frode Uriansrud vom Norwegischen Institut zur Wasserforschung (Niva), das die Küstenwache berät. Deshalb rät Niva - und die Küstenwache - nun dazu, den Boden mit einer olivinhaltigen Sandschicht von einem halben Meter zu bedecken, auf den eine Geröllschicht gehäuft wird: ,,Ein Deckel aus einem halben Meter löst das Problem ein für alle Mal, denn Quecksilber ist schlecht wasserlöslich und der Diffusionsprozess, der es aus der Tiefe der Sedimente an die Oberfläche bringen würde, geht sehr langsam vor sich'', so Uriansrud.

U 864 - inzwischen ein Politikum

Nach demselben Prinzip würde auch das Wrack bedeckt werden: ,,Mehrere Meter Deckmaterial auf dem Wrack werden verhindern, dass Quecksilber aus dem Kielbereich an die Oberfläche gelangt.''

Die Bürger von Fedje überzeugt das nicht. Sie haben eine Initiative gegründet für die Bergung des Schiffes und sich mit ihrer Forderung bereits an die Politik gewandt. Im Herbst sind Kommunalwahlen in Norwegen. U 864 ist inzwischen ein Politikum.

Und auch der Ludwigshafener Ingenieur Wolfgang Lauenstein, der überhaupt erst herausgefunden hat, dass der Zufallsfund des Fischers 2003 zu jenen hochgiftigen Schiffsresten gehörte, hält die Pläne für voreilig: ,,Die Art und Weise, wie die Küstenwache mit der Sache umgeht, ist katastrophal: unsystematisch und unprofessionell'', sagt er. Zu früh habe man sich festgelegt, zu wenig Energie in Alternativen investiert. So hält Lauenstein die Bergung weiterhin für ein ,,kalkulierbares Risiko''. Zwar seien die Schweißnähte des Schiffs brüchig und das Salzwasser habe das Metall des Schiffs - und der Flaschen - angefressen.

"Ich werde ja ignoriert"

Doch sei zu überlegen, ob man den Kiel, in dem die Flaschen lagern, nicht mit klammerartigen Werkzeugen fixieren könne, auf eine Rampe setzen, hochziehen und unter Wasser bearbeiten: ,,Dann könnte man in jede Kammer ein Loch bohren und hineingucken: Sind die Flaschen heil, werden sie geborgen, schwimmt Quecksilberbrühe darin, saugt man sie ab'', so Lauenstein. Überhaupt müsse man ja nicht das ganze Wrack an die Oberfläche hieven, das Quecksilber könne ja auch abgepumpt werden, wobei der verseuchte Schlick mit einem ,,großen Staubsauger'' nach oben gesaugt, gereinigt und wieder abgelassen würde.

Nur eine einzige Firma, die niederländische Smits, habe einen Vorschlag für eine Bergung abgegeben, stattdessen wäre ein europaweiter, ja internationaler Wettbewerb erforderlich gewesen, so Lauenstein: ,,Aber damit ist die Küstenwache völlig überfordert. Und ich werde ja ignoriert.'' Außerdem gehe es auch ums Geld. Das aber ist angesichts eines heraufziehenden Umweltskandals wohl in den Hintergrund getreten.

Zwar wolle man sich nicht festlegen, um die künftige Ausschreibung für den Bau des Deckels nicht zu beeinflussen, doch werde das Ganze wohl mindestens zwölf Millionen Euro kosten, heißt es von der Küstenwache: ,,Es gibt Signale aus der Regierung, dass Geld kein Thema ist.''

© SZ vom 10.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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