Das philosophische Gespräch:"Hunde sind billiger als Kinder"

Der Philosoph Eckart Voland erklärt im SZ Wissen, warum sich Menschen Hunde halten und in welchem Verhältnis beide stehen.

Philip Wolff

SZ Wissen: Neulich in der Warteschlange beim Bäcker hat sich ein Bullterrier quer über meine Füße gelegt und ist eingedöst. Eigentlich süß, aber mulmig war mir trotzdem.

Das philosophische Gespräch: Bussi für Bello: Im Kinofilm "Best in Show" gibt Harlan Pepper (Christopher Guest)seinem Bluthund Hubert ein Küsschen.

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Eckart Voland: Wie hat der Halter reagiert?

SZ Wissen: Er tat so, als sei das völlig normal. Er hat mich nicht groß beachtet.

Voland: Ich kenne den Mann zwar nicht, aber vielleicht wollte er genau das: nicht diskutieren, sondern ungefragt seinen Machtanspruch demonstrieren.

SZ Wissen: Deshalb frage ich auch lieber Sie: Warum halten sich Menschen eigentlich Hunde? Weiter vorn in der Schlange stand zum Beispiel eine Frau, die ihren Pinscher auf dem Arm trug, damit niemand drauftrat.

Voland: Das Ausleben von Autoritätsansprüchen ist ja auch nur ein mögliches Motiv, sich einen Hund zu halten. Andere Motive können Bedürfnisse wie Fürsorge sein, die Möglichkeit, empathisch zu reagieren, einen Sozialpartner zu haben, einen Ehepartner- oder Kindersatz, Einsamkeit zu bekämpfen. Und es geht zuweilen auch darum, den eigenen Sozialstatus zu kommunizieren. Rassehunde können funktionieren wie Pelzmäntel.

SZ Wissen: Das sind ziemlich viele Gründe.

Voland: Aber sie haben einen gemeinsamen Nenner: Es sind alles Motive, die mit unseren sozialen Verhaltensvorlieben zu tun haben, mit dem, was man etwas altmodisch "soziale Instinkte" nennen könnte, und die wollen befriedigt sein.

Empathie, Hierarchie- und Prestigedenken, die Wahrung von Einflussmöglichkeiten und nicht zuletzt das Mehr an Selbstbewusstsein, das aus der Hundehaltung erwächst - all das sind biologisch verankerte Verhaltenspräferenzen, die in der sozialen Evolution des Menschen entstanden sind.

Und wenn man sie zwischenmenschlich nicht so leicht ausleben kann, wird ein Hund instrumentalisiert. Hunde sind natürlich auch billiger als zum Beispiel Kinder.

SZ Wissen: Das hört sich nicht nett an.

Voland: Analysen müssen ja auch nicht nett sein.

SZ Wissen: Sagen Sie so etwas Grundsätzliches mal Hundehaltern. Einige sind ja schon beleidigt, wenn man höflich darum bittet, das Tier anzuleinen.

Voland: Weil das die eigene Persönlichkeit infrage stellt. Es kann zum Ego gehören, Angst einflößend aufzutreten oder den Hund hegend und pflegend bis zur Vermenschlichung behandeln zu können. Es gibt sogar christlichen Bestattungen nachempfundene Hundebegräbnisse.

Man sieht auch an solchen Extrembeispielen, welche motivationale Tiefe die zugrunde liegenden Verhaltenstendenzen haben. Auch deshalb werten Hundehalter Kritik gern ab und lassen sie nicht gelten. Das eigene Verhalten hingegen wird gern rationalisiert.

SZ Wissen: Rationalisiert heißt?

Voland: Dass wir immer vernünftige, sozial akzeptable Gründe für unser Verhalten angeben können, an die wir auch selbst glauben: Der Hund sei doch so hilfsbedürftig, er brauche mich und Ähnliches. Bei diesen Gründen steht der Hund im Mittelpunkt, nicht der Halter. Welche persönlichen Motive aber im Hintergrund ablaufen, und weshalb es zum Menschsein gehört, diese Motive zu haben, bleibt vielen verborgen: Man exekutiert biologisch evolvierte Präferenzen, ohne immer erkennen zu können, welche Funktionen sie tatsächlich erfüllen.

SZ Wissen: Eine Diskussion beim Bäcker wäre vermutlich weniger ertragreich gewesen.

Voland: Zumindest wären Sie nicht auf die evolutionäre Tiefe des Phänomens gestoßen. Aber Ihr Interesse, vor Belästigung geschützt zu sein, sollten Sie natürlich vertreten können.

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