Das Lächeln der Mona Lisa:Geheimnisvolle Unschärfe

Lächelt sie nun oder nicht? Der irritierende Ausdruck der Mona Lisa macht das berühmteste Gemälde der Welt so faszinierend. Psychologen wollen ihr Rätsel nun gelöst haben.

Cordula Sailer

"Wie oft ist Mona Lisa schon kopiert worden. Und trotzdem stehen die Leute nach wie vor Schlange, um sich das Original anzusehen", stellte die amerikanische Jazz-Legende Louis Armstrong einst fest.

Forscher: Mona Lisa existierte und liegt in Florenz begraben

Die Mona Lisa lächelt nur solange, bis man ihr direkt auf den Mund sieht.

(Foto: dpa)

Warum aber übt Vincis Meisterwerk seit Jahrhunderten eine so einzigartige Faszination auf die Menschen aus, dass sich jedes Jahr tausende Besucher im Pariser Louvre vor dem Gemälde drängen - eine Faszination, die jedem ihrer Plagiate fehlt?

Gefesselt sind die Menschen von der Frage, wer diese Frau mit dem geheimnisvollen Lächeln eigentlich ist. Obwohl Historiker immer wieder versucht haben, dieses Rätsel zu lösen, gibt es noch immer keine Gewissheit.

Doch auch wenn der Schleier über der Identität der Frau in Zukunft gehoben werden sollte - ihr Lächeln wird die Betrachter weiter in ihren Bann ziehen.

Auch dem Geheimnis ihres Gesichtsausdrucks gehen Experten seit Jahren auf den Grund. Möglicherweise, so wurde schon vor Jahren vermutet, rührt das nicht fassbare Lächeln der Mona Lisa mit der "verrauchten" Maltechnik da Vincis zusammen.

Bei der " Sfumato" genannten Methode werden mehrere dünne Farbschichten übereinander gelegt, so dass die Umrisse der einzelnen Bildkomponenten ineinander zu fließen scheinen. Deshalb erscheint zum Beispiel der Mund der Mona Lisa verschwommen und unscharf.

Diese Technik, so vermutete bereits 2000 die US-Neurobiologin Margaret Livingstone von der Harvard Medical School in Boston, hat aufgrund unseres räumlichen Wahrnehmungsvermögens ganz besondere Effekte. Wir sehen nur das scharf, worauf wir uns konzentrieren. Alles andere erscheint uns unscharf.

"In diesen äußeren Bereichen sehen wir zum Beispiel nur grobe Helligkeitsübergänge, keine feinen Details", erklärt Florian Hutzler von der Universität Salzburg. "Und der Mund der Mona Lisa wurde so gemalt, dass ihr Lächeln nur in diesen graduellen Helligkeitsunterschieden drinsteckt - in den Mundwinkeln."

Da Vinci wusste Bescheid

Das Lächeln der Mona Lisa nehmen wir deshalb nur wahr, wenn wir ihr nicht direkt auf den Mund sehen, erklärt der Psychologe. Tun wir es doch, erkennt unser Auge wieder die Details des Gemäldes und nimmt einen neutralen, keinen lächelnden Gesichtsausdruck wahr.

"Gerade wenn ich schauen möchte, ob sie wirklich lächelt, dann entgleitet mir ihr Lächeln wieder", fasst Hutzler die These Livingstones zusammen. "Es gibt Hinweise darauf, dass Da Vinci Bescheid wusste über dieses Grundphänomen, das die Genauigkeit unseres Sehens betrifft. Und das hat er ziemlich geschickt ausgenutzt."

Allerdings konnte die Livingstone-Theorie nicht belegt werden - bis jetzt. Um den Nachweis zu bringen, hat Hutzler sich zusammen mit seinem Bamberger Kollegen Claus Carbon und der Diplomandin Isabel Bohrn daran gemacht, den Effekt von Da Vincis Maltechnik im Experiment zu simulieren.

Die Psychologen zeigten Testpersonen auf einem PC-Bildschirm Bilder von 100 verschiedenen Frauengesichtern. Die Probanden sollten abwechselnd die Augen und den Mund der Abbildungen fixieren. Zu sehen waren drei unterschiedliche Gesichtsvarianten: Gesichter mit neutralem Gesichtsausdruck, lächelnde Gesichter und Gesichter in der "Mona-Lisa-Situation".

Bei Letzteren wurde ein lächelnder Mund ohne Wissen der Testpersonen genau dann durch einen neutralen Mund ersetzt, wenn ihr Blick von den Augen zum Mund wanderte.

Das Lächeln ist nicht alles

"Wenn wir uns umschauen, dann schweift unser Blick nicht kontinuierlich, sondern er springt", erklärt Hutzler. "Das Auge steht etwa 250 Millisekunden still und dann springt es sehr, sehr schnell zum nächsten Punkt", erklärt Hutzler.

Ein solcher Augensprung, auch Sakkade genannt, dauert nicht länger als 20 bis 30 Millisekunden, doch für diesen Bruchteil einer Sekunde sind wir quasi blind.

"Genau dieses Phänomen haben wir ausgenützt. Wir haben die Änderungen am Bildschirm während dieser 20 Millisekunden durchgeführt, sodass die Versuchspersonen davon nichts mitbekommen haben", sagt der Psychologe.

Dieser unglaublich schnelle und unbemerkte Bildwechsel von einem lächelnden zu einem neutralen Mund wurde mit Hilfe einer Blickbewegungskamera, einem sogenannten Eye Tracker, möglich. Eine solche Kamera hat eine zeitliche Auflösung von etwa einer Millisekunde. Demnach wussten die Wissenschaftler für jede Millisekunde genau, wo der Blick der Versuchsperson war.

Nach jedem Test sollten die Versuchsteilnehmer das betrachtete Gesicht auf einer fünfstufigen Skala nach Gesichtsausdruck, Attraktivität sowie Vertrauenswürdigkeit bewerten. Es zeigte sich, dass die Gesichter in der "Mona-Lisa-Situation" tatsächlich stärker als lächelnd wahrgenommen wurden, als die neutral schauenden Gesichter.

Ein ungreifbares Lächeln

Als die Versuchspersonen jedoch gefragt wurden, wie überzeugt sie seien, dass ein Gesicht wirklich gelächelt habe oder nicht, waren sie sich bei den Bildern in der "Mona-Lisa-Situation" im Nachhinein unsicher.

Für Hutzler ist die Livingstone-Theorie damit eindeutig bewiesen: "Das periphere Lächeln wurde demnach wahrgenommen. Aber gleichzeitig sind die Leute unsicherer geworden, weil das Lächeln nicht greifbar ist", sagt Hutzler.

Vielleicht hat die Wissenschaft das Rätsel um Mona Lisas Lächeln demnach geklärt. Doch es muss weiter Faktoren geben, die da Vincis Gemälde so geheimnisvoll machen. Schließlich hatten die Versuchsteilnehmer die Gesichter in der "Mona-Lisa-Situation" nicht als mysteriöser eingeschätzt, als die durchweg neutralen oder lächelnden Gesichter.

Dass sie der Mona Lisa ihr Geheimnis vollständig entreißen würden, damit hatten die Forscher auch nicht gerechnet. "Sie muss da etwas ganz Besonderes besitzen", ist Hutzler überzeugt. "Wenn es einfach wäre, das herauszufinden, hätte es ein kluger Kopf schon längst geschafft."

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