Süddeutsche Zeitung

Raumsonde "Dart":Getroffen - aber auch das Ziel erreicht?

Die Nasa hat mit einer Raumsonde einen winzigen Asteroiden im Weltraum gerammt. Nun muss sie noch herausfinden, ob der fliegende Geröllhaufen auch aus seiner Flugbahn gelenkt wurde.

Von Peter Michael Schneider

Dimorphos ist ein grauer, eiförmiger Gesteinsbrocken, bedeckt mit Geröll und Staub, so viel weiß die Welt schon mal. Das letzte Bild, das die Nasa-Raumsonde Dart von dem Himmelskörper Dienstagnacht um 1.14 Uhr an die Erde sendete, nahm sie aus zwölf Kilometer Entfernung auf. Es zeigt einen Ausschnitt der Oberfläche des fliegenden Geröllhaufens, weniger als 20 Meter breit, in bestechender Auflösung. In den zwei Sekunden nach dieser Aufnahme blieb der Sonde keine Zeit mehr, die Daten eines weiteren Bildes vollständig zur Erde zu funken - zu schnell raste das kleine Raumschiff mit etwa 22 500 Kilometern pro Stunde seinem Ende entgegen.

Der gezielte Zusammenstoß im scheinbaren Nirgendwo des Sonnensystems ist ein großer Erfolg für die Nasa und ihr Planetary Defense Coordination Office, ihre Abteilung für Planetenschutz, und vielleicht eines Tages auch ein Segen für die Menschheit. Schließlich steht die Dart-Mission nun für eine reale Option, einen Asteroiden oder Kometen abzulenken, der tatsächlich die Erde bedroht.

Während der Jubel der Ingenieure über ihren Volltreffer im All allmählich verklingt, beginnt die Analyse der Kollision. Der erfolgreiche Einschlag der Sonde auf Dimorphos, elf Millionen Kilometer von der Erde entfernt, war nur der erste, technische Teil der Mission. Der zweite besteht darin zu messen, ob und wie weit die Sonde die Bahn des Asteroidenmonds beeinflusst hat.

Schließlich hatte die Nasa den lediglich 160 Meter großen Himmelskörper vor allem deswegen ausgewählt, weil sie hofft, mit der nur 570 Kilogramm schweren Sonde überhaupt einen Effekt zu erzielen. Hätte sie stattdessen auf den 780 Meter großen und deutlich massereicheren Asteroiden Didymos gezielt, den Dimorphos umkreist, hätte der sich womöglich gar nicht oder nur kaum messbar bewegt.

Die spannendste Frage ist daher, ob sich die Umlaufzeit von Dimorphos um Didymos um etwa ein Prozent verringert hat, wie die Astronominnen und Astronomen im Vorfeld berechnet haben. Dafür richten sie in den kommenden Wochen weltweit Teleskope auf Dimorphos und Didymos, um sie zu beobachten. Sie wollen die Zeit messen, mit welcher der Trabant den Asteroiden umkreist. Das lässt sich einfach bewerkstelligen, da das Licht von Didymos jedes Mal schwächer wird, wenn Dimorphos zwischen ihm und der Erde vorbeizieht. Vor dem Aufschlag benötigte Dimorphos 11,92 Stunden für ein Runde. Wenn das Licht etwa zehn Minuten früher abdunkelt, wissen die Astronomen, dass die Dart-Sonde ihren Auftrag erfüllt hat.

Die schnell schwankende Lichtkurve war zudem ein zusätzlicher und sehr praktischer Beweggrund, den Asteroidenmond als Ziel auszuwählen und nicht den Asteroiden selbst. Didymos benötigt mehr als zwei Jahre für eine Runde um die Sonne. Hätte die Raumsonde ihn auf eine leicht andere Umlaufbahn geschubst, hätten sich die Astromomen entsprechend länger gedulden müssen, um das über die Änderung seiner Umlaufzeit zu ermitteln.

Auf der Liste der Esa stehen mehr als 1200 Himmelskörper, die der Erde gefährlich werden könnten

Eine wichtige Unbekannte in den Berechnungen: Die Wissenschaftler wissen nicht, an welcher Stelle Dart Dimorphos getroffen hat und in welchem Maß der Boden am Aufschlagsort die Energie des Aufpralls abgepuffert hat. Da die Sonde ihr eigenes Ende nicht selbst beobachten konnte, hatte die Nasa huckepack LICIACube mitreisen lassen. Die Minisonde aus Italien hatte sich Ende September gelöst und sollte nach Plan drei Minuten nach Darts Ende über den Einschlagkrater und die kilometerhohe Wolke aus Staub hinwegfliegen, die der Aufprall aufgewirbelt haben dürfte. Da das Gerät nur über sehr kleine Antennen verfügt, braucht es einige Wochen, bis es die Bilder zur Erde funkt. Astromomen der Universität von Hawaii haben aber bereits über Twitter gemeldet, dass ihr ATLAS-2-Teleskop auf der Insel Mauna Loa während des Aufschlags einen Lichtblitz verzeichnet hat. Auf einem Video ist deutlich zu sehen, wie daraufhin eine Wolke von dem Himmelskörper aufsteigt.

Nach der erfolgreichen Demonstration von Dart dürfte die Methode des "kinetischen Impakts" als Mittel der Wahl gelten, um Himmelskörper abzulenken, wenn einer davon auf Kollisionskurs geht. Allein auf der Risiko-Liste der europäischen Raumfahrtagentur Esa stehen derzeit mehr als 1200 Himmelskörper, die der Erde gefährlich nahe kommen und das Potenzial haben, größere Zerstörungen anzurichten.

Allerdings dauerte es fünf Jahre, die Dart-Sonde zu bauen. Zeit ist jedoch ein wichtiger Faktor bei der Asteroidenabwehr: Weil die Masse eines potenziell gefährlichen Himmelskörpers im Verhältnis zu Raumfahrzeugen wie Dart so riesig ist, können mehrere Jahre vergehen, bis sich eine Kurskorrektur so stark auswirkt, dass die Erde sicher verschont bleibt.

Immerhin dürfte es im Ernstfall schneller gehen - für die Esa wäre das beispielsweise ein auf die Erde zufliegender Asteroid ab 50 Meter Größe. "Wir haben jetzt eine Blaupause, wir wissen, wie es geht", sagt Elena Adams, leitende Ingenieurin von Dart. Planetenschützer halten es für möglich, fast fertig gebaute Forschungssonden im Zweifelsfall zur Rammsonde umzufunktionieren, Hauptsache sie sind schwer und schnell einsatzbereit. Im Idealfall würden die Raumfahrtagenturen zudem nicht nur eine Sonde starten, sondern gleich mehrere - zur Sicherheit.

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