Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Alle Daten der Pandemie erklärt

Warum ist die Zahl der Infizierten trügerisch? Woran lässt sich am besten erkennen, wie die Lage sich entwickelt? Fragen und Antworten zu den Daten der Corona-Pandemie.

Von Christian Endt und Benedict Witzenberger

Wir haben diesen Fragen und Antworten im März 2021 auf eine andere Seite umgezogen. Die Informationen hier werden nicht mehr aktualisiert. Sie finden die aktuelle Version hier:

Wie kommen die Statistiken zu den Corona-Infizierten zustande?

Wie viele Menschen sich mit dem Coronavirus infiziert haben, ist nicht bekannt. Lediglich die Zahl der bestätigten Fälle kann daher angegeben werden. In den meisten Ländern werden nur jene Fälle gezählt, bei denen ein positives Testergebnis vorliegt. In Deutschland ordnen Ärzte oder Gesundheitsämter die Tests an. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt Empfehlungen heraus, wann ein Test angezeigt ist. Positive Testergebnisse müssen laut Infektionsschutzgesetz an die Behörden gemeldet werden. Sie fließen in die amtlichen Statistiken ein.

Aus welchen Quellen bezieht die SZ die Zahlen zur Corona-Pandemie?

Für Deutschland übernimmt die SZ inzwischen die Fallzahlen des Robert Koch-Instituts. Zu Beginn der Corona-Situation haben wir die Zahlen direkt bei den 16 Bundesländern abgefragt, um die Verzögerung durch den Meldeweg zu verringern. Inzwischen ist diese aber deutlich kleiner geworden. Internationale Daten entnehmen wir dem Datensatz der Johns-Hopkins-Universität.

Warum übernimmt die SZ die Daten der Johns-Hopkins-Universität?

Im internationalen Kontext entsteht ein weiterer Meldeverzug durch die Meldungen der Regierungen an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Hier sind Anbieter wie die Johns-Hopkins-Universität deutlich schneller, die nicht nur die nationalen Angaben erfassen, sondern auch Medienberichte untersuchen.

Wie hoch ist die Dunkelziffer unerkannter Fälle?

Viele Infektionen mit dem Coronavirus verlaufen ohne Symptome und bleiben daher in der Regel unerkannt. Eine Erkrankung kann auch mit einer Grippe oder Erkältung verwechselt werden. Und schließlich werden auch nicht alle Verdachtsfälle getestet, da die Testkapazitäten begrenzt sind. Schätzungen zufolge beträgt die tatsächliche Zahl der Infizierten daher mindestens das Doppelte der bestätigten Fälle, möglicherweise auch sehr viel mehr. Das RKI verweist auf Studien, wonach in China nur fünf bis zehn Prozent der Infektionen registriert wurden.

Um aussagekräftige Daten zu bekommen, müsste eine zufällig ausgewählte, repräsentative Stichprobe der Bevölkerung getestet werden. In Österreich hat eine solche Studie begonnen, ebenso in manchen Regionen Deutschlands wie dem Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen oder der Stadt München.

Inwiefern sind die Fallzahlen aus verschiedenen Ländern vergleichbar?

Verdachtsfälle werden im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich getestet und erfasst, die Zahlen der Infizierten sind daher nur bedingt vergleichbar. Es empfiehlt sich, zusätzlich die Zahl der Verstorbenen in den Blick zu nehmen. Man kann davon ausgehen, dass diese Zahl besser vergleichbar ist.

Woher kommen die großen Unterschiede in der Sterblichkeit von Land zu Land?

Unter der Sterblichkeit (Letalität) versteht man den Anteil der Verstorbenen unter allen Infizierten. Diese Zahl lässt sich jedoch meist nicht bestimmen, da viele Infizierte nicht erfasst werden. Etwa, weil sie keine Symptome zeigen oder die Testkapazitäten begrenzt sind. Als Orientierung können die Daten von der Diamond Princess herangezogen werden: Das Kreuzfahrtschiff lag wochenlang unter Quarantäne, Passagiere und Besatzung wurden ausgiebig getestet. Die Letalität lag bei 1,2 Prozent der Infizierten.

In den nationalen Statistiken der von Covid-19 betroffenen Länder kann nur der Anteil der Verstorbenen unter den bestätigten Fällen bestimmt werden. Ist dieser Anteil ungewöhnlich hoch, deutet das auf eine große Zahl unentdeckter Infektionen hin. Weitere Erklärungen für eine erhöhte Sterblichkeit können eine besonders alte Bevölkerung und ein überfordertes Gesundheitssystem sein.

Wie viele Tests erfolgen auf das Coronavirus?

Daten zur Zahl der durchgeführten Tests werden nicht systematisch erhoben und veröffentlicht. In Deutschland ist derzeit von 350 000 bis 500 000 Tests pro Woche auszugehen. Die Kapazität liegt aber bei mehr als einer Million Tests. Einen internationalen Überblick gibt es auf der englischsprachigen Website Our World in Data der Universität Oxford.

Welche Rolle spielt die Zahl der Tests für die Zahl der bestätigten Corona-Fälle?

Bislang wird in den meisten Staaten nach wie vor zu wenig getestet. Es ist anzunehmen, dass viel Fälle unentdeckt und die tatsächliche Zahl der Infizierten die per Test bestätigten Fälle weit übersteigt.

Generell ist jedoch auch ein umgekehrter Effekt denkbar: ein Anstieg der Fallzahlen, der nicht auf steigende Fallzahlen, sondern vor allem auf zusätzliche Tests zurückzuführen ist. Damit ist allerdings erst dann zu rechnen, wenn der Höhepunkt der Pandemie im jeweiligen Land bereits überstanden ist.

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Sollten die Fallzahlen nicht ins Verhältnis zu den Einwohnerzahlen gesetzt werden?

Es gibt Vor- und Nachteile. Setzt man die Zahlen in einen Kontext zur Bevölkerungszahl, dann lassen sich große und kleine Staaten besser vergleichen. Die absoluten Werte für ein Land wie die USA mit über 300 Millionen Einwohnern und Österreich mit knapp 9 Millionen lassen keinen sinnvollen Vergleich zu.

Man kann aber auch das Gegenteil argumentieren: Es geht in der Corona-Pandemie darum, jeden einzelnen Fall zu erfassen. Regionale Ausbrüche, wie beispielsweise in New York City erhöhen schnell die Zahl der absoluten Fällen, haben aber keinen großen Einfluss auf die Zahl pro 100.000 Einwohner in den ganzen USA. Nicht alle Einwohner im Land haben das gleiche Risiko, sich zu infizieren. Vergleicht man mehrere Staaten, so entscheiden auch die Vorgaben für Tests darüber, wie viele Fälle entdeckt werden. Da nie alle Fälle erkannt werden, kann die Rechnung in die Irre führen. Daher haben wir lange Zeit bewusst darauf verzichtet, die Zahlen pro 100.000 Einwohner für Staaten anzugeben. . Inzwischen ist die Rate der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen aber auch für das Auswärtige Amt ausschlaggebend, ob Reisewarnungen ausgesprochen oder aufgehoben werden. Zudem hat sich das Virus in den vergangenen Monaten vermutlich deutlich in den meisten Staaten verbreitet. Daher geben wir jetzt auch die Werte für Staaten an.

Auf Ebene der deutschen Landkreise machen wir schon seit einiger Zeit Angaben in Relation zur Bevölkerungszahl - denn dort ist das der politische Maßstab, und im Kleinräumigen scheint uns der Vergleich auch weniger problematisch.

Wie viele Infizierte sind inzwischen wieder genesen?

Während neue Infektionen mit dem Coronavirus laut dem Infektionsschutzgesetz an die Behörden gemeldet werden müssen, besteht bei der Genesung eines Patienten keine Meldepflicht. Daher liegen auch keine amtlichen Zahlen in Deutschland vor. Seit einiger Zeit veröffentlicht das Robert-Koch-Institut regelmäßig eine Schätzung. Demnach ist in Deutschland aktuell mehr als die Hälfte der Infizierten wieder genesen. Auch für viele andere Länder liegen keine offiziellen Angaben zur Zahl der Genesenen vor, allerdings schätzt auch die Johns-Hopkins-Universität diesen Wert, den wir veröffentlichen. Generell besagen Studien, dass 95% der Erkrankten Covid-19 nach neun Tagen seit Symptombeginn überstanden haben.

Woran lässt sich erkennen, wie sich die Lage entwickelt?

Auf absehbare Zeit wird die Zahl der Infizierten weiter steigen. Als Zeichen der Entspannung kann gelten, wenn die Zahl der Neuinfektionen pro Tag zurück geht. Dann beginnt sich die Kurve abzuflachen. Da es bei behördlichen Meldungen zu Schwankungen kommt, etwa durch das Wochenende, ist der Vergleich einzelner Tage allerdings wenig aussagekräftig. Ein guter Indikator der Dynamik zu Beginn des Anstiegs ist die Verdopplungszeit.

Wie errechnet sich die Verdopplungszeit?

Die Verdopplungszeit ist die Anzahl an Tagen, nach denen sich die Zahl der bestätigten Fälle jeweils auf das Zweifache erhöht hat. Je höher die Verdopplungszeit, desto langsamer verbreitet sich die Epidemie. Die SZ berechnet die Verdopplungszeit aus der Veränderung der Fallzahlen in den vergangenen fünf Tagen, um einzelne Schwankungen abzumildern.

Ganz exakt: die Verdopplungszeit in Tagen ergibt sich aus dem Logarithmus von 2 geteilt durch den Logarithmus des täglichen Wachstumsfaktors.

Warum wird die Verdopplungszeit in den Grafiken nicht mehr angegeben?

Zu Beginn der Corona-Pandemie haben wir die sogenannte Verdopplungszeit angegeben. Dieser Wert gibt an, nach wie vielen Tagen sich die Zahl der offiziell bekannten Infektionsfälle jeweils auf das Zweifache erhöht. Die Verdopplungszeit ist gut geeignet, um exponentielle Wachstumsprozesse zu beschreiben. Derzeit ist aber in Deutschland wie auch in anderen Ländern die Kurve der Neuinfektionen abgeflacht. In Deutschland ist das Wachstum derzeit näherungsweise linear, die Zahl der Neuinfektionen pro Tag ungefähr konstant. Das ist eine gute Nachricht und deutet darauf hin, dass die Maßnahmen ihre Wirkung zeigen.

Im jetzigen Stadium ist die Verdopplungszeit nicht mehr der beste Indikator, um den Anstieg der Infektionen zu beschreiben. Stattdessen stellen wir nun die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den Vordergrund. Solange sie konstant bleibt oder gar fällt, ist das Virus einigermaßen unter Kontrolle. Steigen die Neuinfektionen wieder an, droht eine erneute exponentielle Wachstumsphase. Wichtig ist: Nur die Zahl der offiziellen, durch Tests bestätigten Fälle kann angegeben werden. Die tatsächliche Zahl der Infektionen liegt mutmaßlich deutlich höher und kann sich auch anders entwickeln. Wir werden die Situation weiter beobachten und die Aussagekraft von Zahlen und Grafiken immer wieder überdenken.

Wie schnell wirken sich Maßnahmen, etwa Schulschließungen und Ausgangsbeschränkungen, auf die Fallzahlen aus?

Die Inkubationszeit von Covid-19 liegt laut Angaben des Robert-Koch-Instituts bei fünf bis sechs Tagen. In der Regel treten also erst eine knappe Woche nach Ansteckung die ersten Symptome auf. Ab dann kommt ein Test in Frage. Bis dieser stattfindet, kann eine Wartezeit vergehen, anschließend dauert es meist einen oder mehrere Tage, bis ein Ergebnis vorliegt. Dieses muss dann an die Behörden gemeldet und von diesen veröffentlicht werden. So finden sich neue Infektionen erst nach etwa zehn bis vierzehn Tagen in den Fallzahlen wieder. So lange dauert es daher auch, bis sich etwaige Maßnahmen in den Zahlen niederschlagen.

Die Mehrzahl der Corona-Infektionen verläuft vergleichsweise mild. Wäre es nicht sinnvoller, statt der gesamten Fallzahlen die schweren Fälle zu beobachten?

Beim Kampf gegen die Corona-Pandemie kommt es entscheidend darauf an, eine Überlastung der Gesundheitssysteme zu verhindern. Das knappste Gut sind dabei die Beatmungsplätze auf den Intensivstationen. Daher ist es wichtig, deren Auslastung zu verfolgen. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin baut mit Unterstützung des RKI eine Datenbank zur Belegung von Intensivbetten mit Covid-19-Patienten auf. Bislang sind allerdings noch nicht alle Kliniken enthalten, außerdem gibt es Hinweise auf veraltete und unplausible Einträge in der Datenbank.

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