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Coronavirus:Wann sprang Sars-CoV-2 auf den Menschen?

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Ein Computermodell legt nahe: Das Virus könnte sich Monate früher ausgebreitet haben als bislang angenommen. Das zeigt, wie wichtig ein Überwachungssystem wäre, das gefährliche Viren früh erkennt.

Von Hanno Charisius

Offiziell wurden die ersten Infektionen mit dem neuen Coronavirus Ende Dezember 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan entdeckt. Doch wahrscheinlich begann Sars-CoV-2 Menschen schon mehrere Wochen früher krank zu machen. Diese schon länger bestehende Annahme stützen nun neue Untersuchungen einer amerikanischen Forschergruppe. Das Team um den Evolutionsbiologen Joel Wertheim von der University of California San Diego kombinierte genetische Analysen mit Computermodellen zur Ausbreitung des Erregers. Wenn die Forscher mit ihren Berechnungen richtig liegen, war die Elf-Millionen-Stadt Wuhan nicht der Ort, an dem das Virus zuerst von Tieren auf Menschen sprang. Vielmehr fanden dort wohl die ersten Superspreading-Events der Pandemie statt - Wochen nach dem Sprung zwischen den Arten.

Den Simulationen der Forschergruppe zufolge könnte sich Sars-CoV-2 bereits seit Mitte Oktober 2019 in der Provinz Hubei um Wuhan herum langsam ausgebreitet haben. Doch offiziell bemerkt wurde der Erreger erst, als es Ende Dezember zu einem größeren Ausbruch auf dem Huanan-Markt in Wuhan kam.

Der Erreger reiste wahrscheinlich in Menschen und eher nicht in Tieren nach Wuhan

Zu dieser Zeit tauchten auch in anderen Teilen der Stadt bereits Menschen mit der neuen Lungenkrankheit auf. Dies gilt als Indiz dafür, dass das Virus früher den Wirt gewechselt haben muss und dass es wahrscheinlich in Menschen in die Metropole reiste und eher nicht in Tieren. Auch gibt es Medienberichte über Krankheitsfälle, die bereits Mitte November 2019 in Hubei dokumentiert wurden. Immer wieder wird das Virus zudem in menschlichen Gewebe- oder Abwasserproben gefunden, die außerhalb Chinas vor den ersten Fällen in Wuhan genommen wurden. Die Aussagekraft dieser Analysen ist bislang meist nicht überzeugend, doch würden diese Beobachtungen zu einem früheren Sprung zwischen den Arten passen.

Im zeitlichen Ablauf fügen sich all diese Details ziemlich passgenau in die Hypothese, die nach Ansicht der meisten Expertinnen und Experten wahrscheinlich den Ursprung von Sars-CoV-2 erklärt: Demnach entwickelte sich das Virus zunächst in einem Tier. Fledermäuse sind bekannte Wirte für zahlreiche Coronaviren. Von ihnen könnte das Virus über ein weiteres Tier als Zwischenwirt den Sprung zum Menschen geschafft haben.

Das Team kann mit seinen Methoden nicht einkreisen, wo das Virus die Artbarriere übersprang, sondern nur in etwa wann das passiert sein könnte. Doch zeigen die epidemiologischen Modelle dieser Studie, dass das Virus in eine Stadt mit vielen Menschen gelangen musste, um nicht gleich wieder auszusterben. Eine Möglichkeit wäre, dass der Erreger in einer ländlichen Region von Fledermäusen auf den noch unbekannten Zwischenwirt wechselte. Tiere, die von Menschen in Massen gehalten werden, sind die wahrscheinlichsten Zwischenwirte, in denen das Virus die nötigen Mutationen ansammelte, um auch Menschen befallen zu können.

Die Modellierungen der Gruppe egeben, dass etwa zwei Drittel der Viren, die den Artensprung schaffen könnten, aussterben, bevor sie sich ausbreiten. Das zeigt einerseits, wie viel Glück die Menschheit hat, dass es nicht viel häufiger zu Pandemien kommt. Andererseits wird deutlich, wie wichtig ein System wäre, um solche Wechsel zwischen Arten (Zoonosen) rechtzeitig zu erkennen. Aktuell ziele die Überwachung auf Viren wie das erste Sars-Virus oder Mers, die sehr viele der Infizierten töten, sagt Studienleiter Joel Wertheim. Hochinfektiöse Erreger wie Sars-CoV-2, die einen kleineren Anteil der Infizierten töten, könnten jedoch ebenfalls "die Welt in Atem halten", weil sie sich rasch, aber zunächst unauffällig verbreiten.

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